09.06.2004

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Jungle World

*   Ein Kaplan zu viel in Köln
Von Pascal Beucker

Die Bundesregierung, die Opposition und die öffentliche Meinung sind sich einig, dass Metin Kaplan abgeschoben werden soll. Wie auch immer die Gerichte entscheiden.

Den weißen Zettel an der roten Wohnungstür hat er wieder abgehängt. »Schlüssel beim Nachbarn. Die Tür bitte nicht eintreten!« war darauf zu lesen. Hier, im sechsten Stock eines Hochhauses im Kölner Stadtteil Chorweiler, wohnt er: Metin Kaplan, der bekannteste Islamist der Republik. Und er wird wohl auch noch für einige Zeit zusammen mit seiner Frau, seinen drei Kindern und einem Schwiegersohn hier auf achtzig Quadratmetern leben.

In Deutschland besäßen »Extremisten die besten Überlebenschancen, wenn sie sich penibel an die Vorschriften halten«, kommentierte Christoph Keese, der neue Chefredakteur der Welt am Sonntag, den bislang vergeblichen Versuch, Kaplan abzuschieben. Wäre es nach den Planungen des Kölner Ausländeramts gegangen, befände sich Kaplan wahrscheinlich nicht mehr in der Bundesrepublik. Denn die Behörde hielt offenbar weniger als die von Keese genannten Extremisten davon, sich penibel an die Vorschriften zu halten.

Deshalb erwirkte sie am 26. Mai, kurz nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in Münster über die Zulässigkeit der Abschiebung Kaplans, einen Haftbefehl gegen ihn. Dabei wusste sie genau, dass sie nicht rechtens handelte. Bereits aufgeschreckt durch Medienberichte über die Planungen der Behörden, Kaplan unmittelbar nach der Urteilsverkündung in die Türkei auszufliegen, hatten die Richter eindeutig erklärt, ihr Urteil dürfe wegen der Möglichkeit einer Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht »vorläufig keine tatsächlichen und rechtlichen Folgen« haben. Wäre Kaplan also abgeschoben worden, bevor das Urteil rechtskräftig gewesen wäre, wäre dies »ein schwerwiegender Verstoß gegen seine Verfahrensgrundrechte« gewesen, sagte der Senatsvorsitzende Max Seibert.

Doch die Kölner Beamten und auch das Landes- und das Bundesinnenministerium, mit denen die Aktion abgestimmt gewesen sein dürfte, scherten sich nicht darum und versuchten es trotzdem. Sie wollten Kaplan schnell abschieben. Und wenn irgendwann ein Gericht die Rechtswidrigkeit der Abschiebung festgestellt hätte, was soll’s? Weg ist weg. Der Plan hätte wohl funktioniert, wenn Kaplan ihn nicht durch sein kurzzeitiges Abtauchen vereitelt hätte.

Ihm blieb nichts anderes übrig, als aus seiner Wohnung zu verschwinden. Denn über den Eilantrag seiner Anwältin Ingeborg Naumann, per einstweiliger Anordnung der Bundesrepublik zu untersagen, Kaplan vorzeitig abzuschieben, wollte das Verwaltungsgericht Köln an jenem Mittwoch nicht entscheiden. Denn wie ein Sprecher des Gerichts sagte: »Es gibt keine Anhaltspunkte, dass Metin Kaplan am Gericht vorbei in die Türkei abgeschoben werden soll.« Die gab es für das Gericht dann doch, aber erst am Abend des folgenden Tages. Da wäre es ohne Kaplans Verschwinden jedoch bereits zu spät gewesen.

Als bereits nach dem Islamisten gefahndet wurde, verhängte das Verwaltungsgericht ein mindestens zwei Monate dauerndes Abschiebeverbot. Zur Begründung verwies es auf die Weigerung der Stadt Köln, »auch nach einem ausdrücklichen gerichtlichen Hinweis« zuzusagen, den 51jährigen nicht vor dem Abschluss der gerichtlichen Überprüfung im Eilverfahren abzuschieben.

Die Stadt hat gegen die Entscheidung inzwischen Beschwerde eingelegt. Bei der Frage, ob weitere rechtliche Schritte seitens der Rechtsvertretung Kaplans eine »aufschiebende Wirkung« hätten, seien das Bundes- und das Landesinnenministerium gemeinsam mit der Stadt Köln nach wie vor »übereinstimmend der Auffassung, dass dies nicht der Fall ist«, erklärte eine Sprecherin der Stadt.

Wer hätte sich schon darüber empört, wenn die Abschiebung funktioniert hätte? Die Einigkeit, mit der der Islamist von der Bundesregierung über die Union bis hin zu den Republikanern, von der veröffentlichten Meinung bis zum letzten Stammtisch zum Bösewicht Nummer eins erklärt wurde, ist beeindruckend. Nicht einmal, ob er tatsächlich schwer krank ist, wie ihm ärztliche Atteste bescheinigen, ist von Interesse. Schließlich geht es nicht mehr um einen Menschen, sondern um einen Feind, gegen den alle Mittel recht sind.

Das mag daran liegen, dass sich der kleine Mann mit dem Turban, der von seinen nicht mehr sonderlich zahlreichen Anhängern als »Emir der Gläubigen« und »Kalif der Muslime« verehrt wird, hervorragend zum Feindbild eignet. Viel Skurriles predigte der religiöse Fanatiker, dessen Schriften sich durch eine beeindruckende intellektuelle Schlichtheit auszeichnen, den Untertanen seines »Kalifatsstaats« in Köln-Nippes, als er noch predigen durfte.

Etwa das: »Genauso wie ein Tropfen Unreines einen Kessel Wasser verunreinigt, so wird die Religion zerstört und verdorben, wenn eine andere Ordnung als die Ordnung Allahs anerkannt werden sollte.« Mit der Demokratie konnte sich Kaplan nicht sonderlich anfreunden: »Die Demokratie ist gefährlicher als der Kommunismus.« Der Islam verleugne die Demokratie. »Mit dem säkularen Regime ist er nicht zu vereinbaren.« Ein Muslim dürfe niemals »zur Wahlurne der Demokratie gehen«, und mit den Ungläubigen dürfe er sowieso keinen Kontakt pflegen: »Diejenigen, welche die Ungläubigen zu ihren Freunden nehmen, sind wie solche.« Dem Muslim bleibt eigentlich nur die Treue zu Kaplan selbst: »Diejenigen, die dem Kalifen keinen Treueeid geleistet haben, sterben den Tod der Unwissenheit.«

Einen solchen Tod starb im Jahr 1997 der Berliner Arzt Halil Ibrahim Sofu. Zuvor hatte Kaplan in der Zeitschrift Ümmet-i Muhammed und auf zwei Veranstaltungen eine Todesfatwa gegen den »Gegenkalifen« ausgesprochen. Dafür wurde Kaplan, der zuvor bereits wegen antisemitischer Äußerungen vor Gericht gestanden hatte, im November 2000 vom Oberlandesgericht Düsseldorf zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt.

Diese Strafe hat Kaplan inzwischen abgesessen. Straffällig ist er seitdem nicht mehr geworden und an die strengen Auflagen, denen er seit seiner Haftentlassung unterliegt, hat er sich auch nach Auskunft der Ausländerbehörde bislang stets gehalten. So unterliegt er einem politischen Betätigungsverbot, darf das Kölner Stadtgebiet nicht ohne ausdrückliche Genehmigung verlassen und musste sich einmal pro Woche bei der für ihn zuständigen Polizeiwache in Köln-Chorweiler melden. Seit Dienstag vergangener Woche muss er dort sogar täglich vorbeischauen.

Am vergangenen Mittwoch setzte die Bundesanwaltschaft auch noch durch, dass er jede Übernachtung außerhalb seiner Wohnung anmelden und genehmigen lassen muss. Zudem wird er auch noch vom Verfassungsschutz überwacht. Dieser kontrolliert, ob das selbst ernannte »Staatsoberhaupt im Islam« nicht vielleicht doch seinen Dienstpflichten in dem im Dezember 2001 von Bundesinnenminister Otto Schily zu recht verbotenen »Kalifatstaat« nachkommt.

Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum versteht indes die ganze Aufregung um Kaplan nicht mehr. »Die meisten Politiker haben hier einfach die Maßstäbe verloren«, sagte er der Jungle World. Er finde es »grotesk, dass sich Herr Schily schon seit längerem persönlich mit Herrn Kaplan so intensiv auseinandersetzt, als hinge das Wohl und Wehe unseres Staates von dem Schicksal dieses Mannes ab«. Natürlich müsse man gegen Islamisten wie Kaplan vorgehen. »Aber man muss ebenso die Kraft haben, auch für die Gegner unserer Verfassungsordnung die Regeln des Rechtsstaats gelten zu lassen«, fordert Baum. Mit solcher Besonnenheit steht der 71jährige Liberale mittlerweile ziemlich allein auf weiter Flur.


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