28.02.2004

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*   Der reformbedürftige Beamte
Von Pascal Beucker und Frank Überall

Wie wirtschaftlich darf der Staat sein? Der Streit um die Auslegung "hoheitlicher Aufgaben".

Die Privatisierung staatlicher Unternehmen und Bereiche ist in den letzten Jahren nicht zuletzt wegen der angespannten Lage öffentlicher Kassen in die Diskussion geraten. Der Bund der Steuerzahler wirbt bereits damit, dass dies sogar ein verfassungsrechtliches Gebot sei. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip sowie das Subsidiaritätsprinzip seien Vorgaben, aus denen sich die Forderung nach Überprüfung und Wahrnehmung von Möglichkeiten zur Privatisierung ableiten ließen. Am liebsten hätte der Verband ein ausdrücklich formuliertes "Privatisierungsgebot" in der Verfassung verankert, um dauerhaft die Steuerlasten zu mindern. In der Wirtschaft und bei der FDP mag der Verein dafür Beifall bekommen, bei vielen Arbeitnehmern kaum.

Neuerscheinung "Die Beamtenrepublik"Und zwar zu Recht. Denn Privatisierung ist entgegen den Behauptungen liberalistischer Ideologen kein Allheilmittel. Auch wenn die Vorstellung, dass staatliche Apparate privaten Unternehmen unterlegen seien, zur vorherrschenden Meinung geworden zu sein scheint, so ist es doch für ein leistungsfähiges und lebenswertes Gemeinwesen unerlässlich, dass bestimmte gesellschaftliche und soziale Aufgaben den vielbeschworenen Kräften des Marktes entzogen bleiben. Die vom nordrhein-westfälischen Innenministerium einberufene Bull-Kommission warnt denn auch aus gutem Grund vor einer "Privatisierung um jeden Preis": "Die privatwirtschaftliche Betätigung orientiert sich notwendigerweise an der möglichen Gewinnerzielung; die dadurch entstehende Belastung der Leistungsempfänger und sonstigen Nutznießer muss in die Kosten-Nutzen-Rechnung einbezogen werden." Zudem müsse die "Definition der erwarteten Leistungen und die Kontrolle der Abläufe sowie der Qualität der Leistungserbringung jedenfalls in der Verantwortung des Staates" verbleiben.

Das heißt allerdings im Umkehrschluss auch: Privatisierungen können in manchen Fällen auch durchaus sinnvoll sein. Zum Beispiel beim vormals staatlichen Gestüt im münsterländischen Warendorf. Vor über 175 Jahren wurde es von der preußischen Armee gegründet. Es sollte der Hengstzucht der Kavallerie dienen. Die Reiterdivisionen verschwanden - das Landesgestüt blieb in staatlichem Besitz. Nun erfüllen die Hengste als "nordrhein-westfälische Landbeschäler" ihre Pflicht. Auch wenn sie es dabei manchmal mit den viel beschworenen "preußischen Tugenden" offenbar nicht allzu ernst nehmen. So musste der nordrhein-westfälische Finanzminister Jochen Dieckmann vergangenes Jahr in einem Bericht an den Landtag einräumen, dass sich "nach Beendigung der Decksaison 2002" unerwartet herausgestellt habe, "dass die Deckeinnahmen um mehr als 200.000 Euro geringer ausfallen werden". Gründe dafür seien vor allem "ein um 200 Stuten geringeres Bedeckungs- und Besamungsergebnis sowie eine größere Beanspruchung von geringerpreisigen Hengsten". Die FDP-Landtagsfraktion spottete daraufhin, es gehöre wohl "zu den weithin unbekannten Besonderheiten nordrhein-westfälischer Haushaltspolitik, dass die Einnahmen des Landes auch vom Paarungswillen münsterländischer Rassepferde abhängig sind".

Möglich allerdings, dass sie ihren Dienst auf dem mit über eine Million Euro vom Land subventionierten Zuchthof nur deshalb nicht mit der gebotenen Sorgfalt verrichteten, weil ihnen inzwischen etwas fehlt: ihre Beamten. Denn auf dem Landesgestüt, so berichtet der Staats- und Verwaltungsrechtler Ulrich Battis, "waren bis vor einiger Zeit auch die Bereiter Beamte".

Auch wenn die gegenläufige These der nordrhein-westfälischen Landtags-FDP, die Warendorfer Deckhengste hätten sich verweigert, "um die überfällige Privatisierung des Landesgestüts zu erzwingen", etwas verwegen sein dürfte, spricht doch vieles dafür, dass beispielsweise die Produktion von "Rassepferden" anders als noch zu den Zeiten Preußens nicht mehr unbedingt zu den vornehmsten Aufgaben staatlichen Handelns gehören muss.

Entscheidend ist dabei jedoch tatsächlich, dass bei jedem einzelnen Projekt gewissenhaft geprüft wird, welche sozialen Folgen eine Privatisierung hat und ob diese in einem vertretbaren Verhältnis nicht nur zu dem rein monetären, sondern auch zu einem möglichen gesellschaftlichen Gewinn stehen. Und nicht zuletzt muss sorgfältig untersucht werden, ob sich eine solche Privatisierung auch wirklich rechnet. Dabei dürfen nicht kurzsichtig nur die finanziellen Ressourcen der aktuellen Generation im Auge behalten werden. Vielmehr muss mit einbezogen werden, welche Kosten mittel- und langfristig entstehen und welche ordnungspolitischen Folgen ein solches Vorgehen hat.

Schließlich können selbst Kontroll- und Einflussmöglichkeiten der öffentlichen Hand nicht so umfassend abgesichert werden, dass "aus dem Ruder laufende" private Unternehmen dadurch in die Knie zu zwingen sind. Wenn zum Beispiel der Steuerzahlerbund damit wirbt, dass im Versorgungsbereich die Rechte von den Aufsichtsbehörden verliehen und jederzeit zurückgezogen werden könnten, wenn Unternehmen ihre Marktmacht missbrauchen, entspricht das nicht der wirtschaftspolitischen Realität großer Konzerne. Durch die Globalisierung, durch nationale und europäische rechtliche Rahmenbedingungen wie auch durch Lobbyismus sind den Einflussmöglichkeiten des Staates schon jetzt enge Grenzen gesetzt.

Was jedoch so oder so nicht sein kann, ist, dass der Staat sich mit Verweis auf den "Funktionsvorbehalt" gezwungen sieht, Beamte in Bereichen einzusetzen, wo im Falle einer Privatisierung ganz plötzlich "normale" Angestellte ausreichen. So hätte es der Effektivität, der Rentabilität und auch der Kundenorientiertheit der Post sicherlich gut getan, hätte sie auch schon vor ihrer Privatisierung grundsätzlich auf die Anstellung von Beamten verzichten können. Warum kann ein Postbote plötzlich ein "stinknormaler" Angestellter sein, wenn vor noch nicht allzu langer Zeit die Austragung der Briefe noch als vorgeblich unverzichtbare "hoheitliche Aufgabe" definiert wurde?

Nicht nur den Postbeamten, die sich in den 1970er- und 1980er-Jahren noch inquisitorischen Überprüfungen ihrer Verfassungstreue ausgesetzt sahen, damit sie die Päckchen auch wirklich an ihren Adressaten und nicht in den Kreml auslieferten, dürfte es übel aufstoßen, dass plötzlich möglich war, was vorher als unabänderlich deklariert wurde, damit die Grundfesten der Bundesrepublik nicht ins Wanken gerieten. Wie zu Zeiten Preußens im 19. Jahrhundert aus ökonomischen Gründen die Post und die Eisenbahn unter staatliche Obhut genommen wurden, so wurden sie in den 1990er-Jahren wieder aus dieser entlassen. In den Jahren dazwischen allerdings wurde ein ideologischer Popanz aufgebaut. Heute würde jeder darüber lachen, wenn jemand behauptete, die Tätigkeiten bei Bahn und Post müssten unbedingt von Beamten verrichtet werden. Seinerzeit - vor der Privatisierung - lachte niemand.

Das Problem tangiert die gesamte Debatte über das Berufsbeamtentum. Denn diejenigen, die einen grundsätzlichen Umbau des öffentlichen Dienstes befürworten, drohen zwischen den Fronten zerrieben zu werden. Dabei stehen ihnen auch noch gleich drei Schlachtreihen gegenüber (man mag das militärische Bild verzeihen, aber es geht schließlich hier auch um preußische Traditionen): Da stehen auf der einen Seite jene, die immer noch einem obrigkeitsstaatlichen Denken verpflichtet sind, die am liebsten nicht nur den Beamten, sondern allen Bürgern das Streiken verbieten würden und die das Beamtentum zur Aufrechterhaltung der Staatsautorität für unerlässlich halten. Für sie ist das Berufsbeamtentum sakrosankt, weil das, was schon bei Kaiser Wilhelm I. richtig war, auch heute nicht falsch sein kann. Für sie steht "die unstrittige Legitimation des Beamtenverhältnisses" fest.

Da stehen ferner jene, die im Grunde eigentlich gegen das Berufsbeamtentum sind, weil sie in ihm ein Relikt alter Obrigkeitsstaatlichkeit und außerdem eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Beschäftigten sehen, die sich praktisch aber trotzdem stets gegen Veränderungen stemmen, weil sie hinter ihnen böse neoliberale Tendenzen ausgemacht zu haben glauben. Das führt dann dazu, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund schon darüber empört ist, wenn die Länder die so genannten Öffnungsklauseln ins deutsche Beamtenrecht schlagen wollen. Der mit einem grünen Parteibuch ausgestattete Ver.di-Chef Bsirske sah darin sogar schon einen Verstoß gegen das Grundgesetz.

Dann sind da noch diejenigen, die am liebsten alle staatlichen Bereiche privatisieren würden, wenn sie denn dürften, es selbstverständlich für absurd halten, dass in privaten Betrieben staatlich alimentierte Beamte arbeiten, jedoch vehement dagegen sind, schon vor der angestrebten Privatisierung Beamte in den entsprechenden Bereichen abzuschaffen. Angewendet auf den Fall des Warendorfer Landesgestüts würde dann die Position so lauten: Das Gestüt muss privatisiert werden, die "Bereiter" müssen Beamte bleiben - allerdings nur so lange, bis das Gestüt privatisiert ist, weil der Beamte ja dann für den Privatbetrieb unrentabel ist.

Das alles klingt sonderbar? Ja, das ist es auch. In der Tat ist es sonderbar, wenn Konservative, traditionelle Linke und Neoliberale gemeinsam dafür kämpfen, dass der deutsche Beamte so bleibt, wie er ist - eine fatale Allianz und eine unselige Gemengelage, die es Modernisierern schwer macht. Anstatt grundsätzlich das Beamtentum in Frage zu stellen, ist es denn auch bequemer, nur über Einsparungspotenziale zu disputieren. Hier kann jeder mitreden, ohne sich zu nachhaltig die Finger zu verbrennen.

Das Beamtenrecht ist in seiner zweihundertjährigen Entwicklung nicht nur zu einem überregulierten Bereich geworden, sondern hat zu einer gravierenden Fehlentwicklung geführt: der Ausdehnung des Verwaltungsmodells der Hoheitsverwaltung und zu einer entsprechenden Personalpolitik in allen vom Staat organisierten und regulierten Aufgabenbereichen. Hier sind Rückführungen unabdingbar. Das wird selbstverständlich nicht ohne Widerstände vonstatten gehen.

Denn auch wenn die meisten Politiker nur als Kernbereich die Justiz, die Polizei und die Steuerverwaltung sehen, spricht Peter Heesen, der Bundesvorsitzende der Standesorganisation, von einem "antiquierten Verständnis von dem, was hoheitliche Staatsaufgaben sind": Weil im Grundgesetz inzwischen neben dem Rechtsstaatsprinzip auch das Sozialstaatsprinzip eingeführt worden sei, müssten konsequenterweise alle Aufgaben der staatlichen Daseinsvorsorge staatlicher Natur sein. Mit dieser Argumentation lässt sich freilich die Beamtenschar beliebig erweitern statt begrenzen. Und genauso wurde es ja auch lange praktiziert.

Wie es gerade in den Kram passte, wurden bestimmte Bereiche als hoheitlich und damit Beamten vorbehalten eingestuft. Hatte man in den 1970er-Jahren noch die Müllmänner und Sozialarbeiter als hoheitlich Tätige angesehen, beschränkt man sich heute oft auf die Bereiche der so genannten Eingriffsverwaltung. Aber auch diese Konstruktion bröckelt längst.

Ein bezeichnendes Beispiel dafür liefern die Technischen Überwachungs-Vereine (TÜV). Wer einmal mit einem alten Auto zur Prüfstelle gefahren ist, hat die Macht der nichtverbeamteten Eingriffsverwaltung unter Umständen in aller Härte zu spüren bekommen - als Verweigerung der gesetzlich vorgeschriebenen Prüfplakette. Kein Mensch aber käme auf die Idee, diese Aufgabe wieder staatlichen Stellen, womöglich noch besetzt mit Beamten, zurückzugeben. Dass die Kontrolle solcher Institutionen dem Staat obliegen muss, ist dabei selbstverständlich. Aber das TÜV-Modell zeigt, dass man nicht für jede Aufgabe unumgänglich und für alle Zeiten festgeschrieben Beamte braucht.

Es ist heute nicht mehr begreiflich zu machen, was staatliche Hoheitsakte sind und wozu es der "Funktionsvorbehalte" zugunsten von Beamten bedarf. Und es ist auch nicht mehr wirklich begreifbar zu machen, warum ein einheitliches Dienstrecht für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst nicht möglich sein soll.

FRANK ÜBERALL, Jahrgang 1971, lebt als freier Journalist in Köln. PASCAL BEUCKER, geboren 1966, lebt ebenfalls in Köln. Er ist NRW-Korrespondent der taz. Ihr Buch "Die Beamtenrepublik. Der Staat im Würgegriff seiner Diener?" erscheint dieser Tage im Campus Verlag, Frankfurt am Main (276 Seiten, 21,90 Euro).

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