24.03.2004

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taz

*   Kölner Müllverfahren droht zu platzen 
Von Pascal Beucker und Frank Überall

Bislang verborgene Akten könnten Glaubwürdigkeit des Hauptzeugen in Prozess um Bestechungsskandal erschüttern.

Der Müllskandalprozess vor dem Kölner Landgericht droht zu platzen. "Es ist jetzt die Frage, ob überhaupt weiter verhandelt werden kann", sagte der Vorsitzende Richter Martin Baur am gestrigen Verhandlungstag. Hintergrund ist das Auftauchen neuer Beweismittel.

"Die Kripo hat uns gestern 30 Kartons voll Akten gebracht", berichtete Baur. Die Unterlagen waren bisher nicht in das Verfahren eingeführt worden, weil die Staatsanwaltschaft sie nicht für beweiserheblich gehalten haben will. Laut Baur hat jedoch schon eine erste grobe Sichtung ergeben, dass sich darunter zahlreiche Unterlagen befänden, "die verfahrensrelevant sind". Im Falle von Aussetzungsanträgen der Verteidiger müsste das Gericht wegen der Fülle des Materials diesen nachkommen, betonte Baur. Dies würde faktisch ein Ende des Prozesses bedeuten.

Brisant ist der neue Aktenberg aufgrund von Vorwürfen, die Anklagebehörde habe wichtige Beweismittel bewusst nicht in die Prozessakte aufgenommen, um zu verhindern, dass die Glaubwürdigkeit des Angeklagten Ulrich Eisermann erschüttert wird. Denn auf den Aussagen des Ex-Geschäftsführers der Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft Köln (AVG) beruht vollständig die Anklage gegen Kölns Ex-SPD-Fraktionschef Norbert Rüther und nicht unerheblich auch die gegen den Ex-Manager des Gummersbacher Anlagenbauers Steinmüller, Sigfrid Michelfelder.

Im Kölner Müllskandalprozess geht es um gut 11 Millionen Euro Schmiergelder, die in den 90er-Jahren beim Bau der knapp 405 Millionen Euro teuren Müllverbrennungsanlage (MVA) in Köln-Niehl geflossen sein sollen. Ein Großteil des Geldes soll an Eisermann gegangen sein. Er will allerdings von seinem Schwarzgeldkuchen 2 Millionen Mark an Rüther und 2,4 Millionen Mark an Michelfelder weitergegeben haben. Während Rüther dies vehement bestreitet, räumt Michelfelder nur die Annahme von einer Million Mark ein.

Den jetzigen Eklat ausgelöst hat ein Coup des Rüther-Verteidigers Georg Leber. Der zauberte während der Vernehmung eines Polizeibeamten einen "verschollenen" Brief aus der Tasche. In dem beantwortet ein Anwalt im Namen eines Mitarbeiters der Schweizer Briefkastenfirma Pentag Fragen des Beamten zu einer möglichen Verbindung Eisermanns mit der Geldwaschanlage Pentag. Das Schreiben legt nahe, dass der Ex-AVG-Geschäftsführer nicht nur bei Steinmüller, sondern auch bei der Deutschen Babcock die Hand aufhielt. Der Polizist konnte nicht erklären, warum das Schreiben sich nicht in den Prozessakten befand.

Inzwischen versuchen sich Kripo und Staatsanwaltschaft gegenseitig den schwarzen Peter für diesen strafprozessualen Fehler zuzuschieben. Ex-SPD-Mann Rüther hat jetzt auf jeden Fall allen Grund zur Freude. Denn für das Gericht stellt sich nun "die Frage, inwieweit die Glaubwürdigkeit von Herrn Eisermann überhaupt noch überprüfbar ist", konstatierte gestern Richter Baur. "Das bedeutet für Herrn Rüther Freispruch - wir haben ja nur die Aussage Eisermanns und sonst nichts", so Baur.


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