17.04.2029

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Neuer Zollhof in Düsseldorf heute - Köln-Chorweiler 2029? 

ANMERKUNG: Anlässlich ihres 25-jährigen Jubiläums produzierte die taz am 17. April 2004 eine "Zukunfts-taz": Wie wird das Leben in 25 Jahren aussehen? Die Autorinnen und Autoren bekamen also die Aufgabe, ihre Artikel aus der Sicht des 17. April 2029 schreiben. So entstand auch dieser Text.

* Plattenbau à la Frank O. Gehry 

Von Pascal Beucker

Freizügig, individuell, einzigartig. Nichts erinnert mehr an das standarisierte Wohnen im Chorweiler von einst, an die trostlose Anonymität in den grauen Betonburgen. Das gigantische Werk von Stararchitekt Frank O. Gehry ist fertig. Im Kölner Norden ziehen die ersten Mieter in die Heinrich-Böll-Siedlung ein. Das Leben pulsiert wieder.

Vor noch nicht allzu langer Zeit hätte es sich niemand vorstellen können: Es gibt wieder Leben im Kölner Norden. Wo vor ein paar Jahren nur Bauruinen als traurige Zeugen einer städtebaulichen Katastrophe übrig geblieben waren, spielen wieder Kinder, begegnen sich wieder Menschen auf der Straße und beginnen ein Gespräch. Dort, wo unlängst noch Ödnis herrschte, ist etwas Neues auferstanden aus Ruinen: die "Heinrich-Böll-Siedlung" - eine multikulturelle Oase, deren Bewohner sich wohl zu fühlen scheinen.

Dabei hatten sich die Kölner die Entwürfe des Star-Architekten Frank O.Gehry zunächst nur skeptisch angesehen: Dreißig "krumme Häuser" ausgerechnet dort, wo einst die "Neue Stadt" stand, jenes architektonische Verbrechen, das als "Chorweiler" in die Kölner Analen eingegangen ist? Ob das gut gehen kann?

Vorbild Neuer Zollhof

Neuer Zollhof in Düsseldorf heute - Köln-Chorweiler 2029?Dass der legendäre US-Amerikaner seiner Schwäche für kühne Konstruktionen auch in Köln freien Lauf lassen würde, war so überraschend allerdings nicht - er ist bekannt für Entwürfe, die böse Zungen "Bau-Kollagen in Trümmer-Ästhetik" nennen und damit Gebäude wie das Baseler Vitra Design Museum oder das titanverkleidete Guggenheim-Museum in Bilbao meinen.

Oder den Neuen Zollhof in Düsseldorf. Das vor dreißig Jahren erbaute Ensemble aus drei Bürogebäuden im "Medienhafen", die aussehen, als wären sie mitten in einer Bewegung erstarrt, wirkt wie ein kleiner Prototyp der Heinrich-Böll-Siedlung. Es bezieht seinen Charme aus dem Spiel mit einer Dreieinigkeit der Gegensätze. Wie auch in Köln unterscheiden sich die einzelnen Teile in Form und Fassade grundsätzlich: Der kantige Bau mit hermetischer Backsteintapete wird konterkariert durch einen mittleren Bau, dessen gewellte Edelstahlhülle die Umgebung reflektiert. Gelassen überragt das Ganze ein weiß verputzter Bau mit voluminösen Rundungen.

Tatsächlich diente der Neue Zollhof als Vorbild für die Rekultivierung des früheren Chorweiler. Und nicht nur das: Ohne den Düsseldorfer Gebäudekomplex wären die Kölner Neubauten gar nicht denkbar gewesen. Denn Gehry hatte damals eine kleine bautechnische Revolution zustande gebracht: Erstmals war es gelungen, stark gekrümmte Freiformflächen unmittelbar in Fertigbauteilen nachzubilden. Mit dem damals neuen technischen Verfahren hatte er bis dahin unbekannte Wege aufgetan, Bauten unabhängig von ihrer Gestalt im Fertigbau zu realisieren. Hierdurch demonstrierte der Kalifornier ausgerechnet in Düsseldorf, dass seine exaltierten Formen auch für wenig Geld in Plattenbauweise zu haben sind.

Für Philip Johnson, den Altmeister der amerikanischen Architektur, hatte der Neue Zollhof denn auch das Zeug, die Büchse der Pandora zu öffnen: "Jetzt weiß jeder, dass es geht!" Vor allem der im vergangenen Jahr im Alter von 99 Jahren verstorbene Gehry selbst. Trotzdem dauerte es noch drei Jahrzehnte, bis er sich kurz vor seinem Tod mit seinem letzten Projekt nun ein beinahe schon gigantomanisches Denkmal gesetzt hat: Denn die Heinrich-Böll-Siedlung ist der Neue Zollhof mal zehn!

Hier, rund um den Pariser Platz, erinnert heute nichts mehr an die Trostlosigkeit der vergangenen Jahrzehnte. Nicht einmal mehr der Name des Stadtteils. Nachdem der Strukturwandel im linksrheinischen Norden Erfolge zeitigt, gerät dabei schnell in Vergessenheit, dass es sich bei diesem Gebiet noch bis vor kurzem um einen urbanistischen Notfall handelte. Lange schaute man einfach nicht hin, überließ die größte hochgeschossige Neubausiedlung des damaligen Nordrhein-Westfalen sich selbst - und dem Verfall.

Dabei hatte es hier doch ursprünglich alles besser sein sollen. Damals, nach dem Zweiten Weltkrieg, als Stadtplaner überall in der Bundesrepublik die Gelegenheit bekamen, Städte komplett neu zu konzipieren. Wohnraum wurde dringend gebraucht, und die Planer konnten entwerfen, was sie für die "Stadt der Zukunft" hielten. Das Problem war nur: Zu dieser Zeit verstand man Urbanität noch als Kreuzung zweier Straßen mit einem dahingeworfenen Neubau der Kreissparkasse. Das traurige Ergebnis: Überall in der Republik entstanden unwirtliche Trabantenstädte. Am Anfang noch als moderne Errungenschaften gefeiert, dauerte es nicht lange, bis sie sich als schreckliche Fehlplanungen herausstellten. Ein Beispiel für eine solche Karriere ist Chorweiler.

1957 wurde das Projekt "Neue Stadt" im Rat der Stadt beschlossen. 13 Kilometer von der Innenstadt entfernt sollten in der Neuen Stadt, wie sie hieß, bevor man sich auf den Namen "Chorweiler" - eine Bezeichnung, die aus der alten Ortsbezeichnung Weiler und dem vorhandenen Waldstück Chorbusch zusammengesetzt worden war - einigte, Wohnraum für 100.000 Menschen geschaffen werden. Die Planer sahen in der "Neuen Stadt" die Gelegenheit, vermeintliche Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Die großen Städte waren bis dahin, so schien es ihnen, planlos gewuchert, unzusammenhängend und ungegliedert. In Chorweiler sollte alles anders werden: überlegte Verkehrsführung, systematische Aufteilung in ein Schlafviertel, ein Behörden- und Einkaufsviertel und ein Industrieviertel.

Folge: Anonymität

Dabei folgten die Architekten der Nachkriegsmoderne dem gleichmacherischen Schlachtruf von Walter Gropius: "Die Mehrheit der Bewohner hat gleichartige Lebensbedürfnisse", hatte der Architekt des Dessauer Bauhauses, der 1957 an der Erbauung des Berliner Hansaviertels beteiligt war, schon 1927 geschrieben. Daher liege es "im Sinne eines wirtschaftlichen Vorgehens, diese gleichartigen Massenbedürfnisse einheitlich und gleichartig zu befriedigen". Es sei "also nicht gerechtfertigt, dass jedes Haus einen anderen Grundriss, eine andere Außenform, andere Baustoffe und einen anderen ,Stil' aufweist."

Was für ein Irrtum! Schon die ersten Bewohner Chorweilers machten inmitten von Baustellen Bekanntschaft mit ungeplanten Nebenwirkungen. Die Anonymität der Trabantenstadt war ein vorher nicht gekanntes Problem. In den gewachsenen Vierteln der Innenstadt waren soziale Bindungen über lange Zeit gewachsen. In der "Neuen Stadt" aber waren alle neu, zusammengewürfelt, hatten keine gemeinsamen Traditionen und blieben sich fremd. Hinzu kamen Lärm und Luftverschmutzung durch die doch so gut gemeinte Nähe des Industrieviertels nebenan. Bereits Mitte der Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts gab es eigentlich nur noch einen Weg: Der Abriss des gesamten Komplexes schien die angemessene Lösung zu sein.

Doch stattdessen versuchten die Stadtoberen mit massiven Investitionen über die Krise hinwegzuhelfen. Eine Straße wurde abgerissen, große Teile des Zentrums umgebaut. Sozialarbeiter und Bewohnerinitiativen versuchten mit vereinten Kräften, ein Viertel zu schaffen, in dem sie nicht wegen, sondern trotz der ursprünglichen Ideen leben wollten.

Alles vergeblich. Das Viertel starb langsam aus. Nachdem in den 2010er-Jahren die Mieten in anderen Kölner Stadtbezirken drastisch gefallen waren, flohen die Menschen beinahe fluchtartig vor ihrer sozialen Stigmatisierung und vor allem vor den unwirtlichen Wohnburgen Chorweilers. Zurück blieben Betonruinen - quasi als überdimensionale Mahnmahle menschenfeindlicher Bauplanungen der Vergangenheit.

Und dann kam Frank O. Gehry. Alles begann am 25. Dezember 2023 mit dem Besuch eines Restaurants, einem ausgezeichneten Himmel und Äd und der anschließenden Skizze des Stararchitekten auf einer Serviette. "Frank, do it", habe er damals zu Gehry gesagt, berichtet Jochen Ott. Es war ein Geniestreich des 54-jährigen Kölner Oberbürgermeisters: Die Idee zur Heinrich-Böll-Siedlung war geboren. Trotz nicht geringer Widerstände im Rat besonders der Konservativen im Rat wurde schon ein Jahr später mit dem Abriss der Ruinenlandschaft begonnen.

In dieser Woche wurde der letzte der dreißig Bauten in der Siedlung fertiggestellt. Der Stadtteil beginnt wieder zu leben. Bereits vor Jahren haben sich viele Menschen um eine Wohnung beworben, nun ziehen sie in den neuen Stadtteil - in äußerst geräumige Drei- bis Siebenraumwohnungen; in Häuser, die so sind wie sie: nicht genormt, individuell, einzigartig. Und scheinbar immer in Bewegung.


Chorweiler-Mitte

Anfang dieses Jahrhunderts lebten in Chorweiler-Mitte noch rund 17.500 Einwohner. Damals waren eine extrem hohe Bevölkerungsdichte, ein Ausländeranteil von 41 Prozent und eine starke Konzentration sozial benachteiligter Bewohnergruppen Kennzeichen des Stadtteils. In städtischen Präsentationen wurden das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Einkaufszentrum sowie das evangelische und katholische Gemeindezentrum als "Akzente" des Viertels angepriesen. Aufgrund der überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenrate blieb den Menschen in Chorweiler auch nicht viel anderes übrig, als zu beten. Chorweiler war ein Synonym für soziale Kälte und Fehlplanung, die an den Bedürfnissen der Bewohner vorbeiging. Vandalismus und Bauschäden waren die äußeren Zeichen von Kriminalität und Verwahrlosung.


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