20.07.2004

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taz

*   Harsche Worte am Kap 
Von Pascal Beucker

Zwischen Cap-Anamur-Gründer Rupert Neudeck und dem Vorsitzenden Elias Bierdel eskaliert der Streit um die Art und Weise der Rettungsaktion.

Im "Cap Anamur Office" in der Thebäerstraße brodelt es mächtig. Hier, wo direkt um die Ecke Günter Wallraff wohnt, beriet gestern bis zum späten Nachmittag der Vorstand zusammen mit weiteren Aktivisten der Organisation über das Italien-Desaster ihres Chefs Elias Bierdel. Und die Stimmung ließ sich am treffendsten mit dem Titel des größten Bestsellers des Nachbarn beschreiben: Ganz unten. Über die Konsequenzen seiner Beratungen will das Notärztekomitee erst heute in der Bundespressekonferenz in Berlin berichten. Bis dahin kreisen wilde Spekulationen - bis hin zu einer Ablösung Bierdels.

Tief sitzt die Kritik an dem Vorgehen Bierdels. Besonders die harschen Worte, mit denen sich Cap-Anamur-Gründer Rupert Neudeck von seinem Nachfolger absetzte, schmerzen: Die Rettung von 37 afrikanischen Flüchtlingen von einem Schlauchboot aus dem Mittelmeer sei schlecht vorbereitet gewesen und Bierdel sei es vor allem um Medienwirkung gegangen, schimpfte er. "Die Crew schipperte sechs Tage ohne Not mit Flüchtlingen an Bord durchs Meer, damit ihr Chef Bierdel mit Kamerateams dazustoßen konnte", polterte Neudeck und fragte sich, ob das Notärztekomitee noch seine Organisation sei. Das Vorgehen Bierdels bezeichnete er als "eine einzige Rufschädigung".

Bierdel, der erst am Freitag zusammen mit zwei Mitarbeitern nach fünftägiger Untersuchungshaft freigekommen war, nahm die Kampfansage an. Im "Deutschlandfunk" keilte er zurück: Neudeck gehöre "zu den ganz wenigen Menschen in Deutschland, die sich auch ohne jede Detailkenntnis selbst zu sehr komplizierten Sachverhalten jederzeit öffentlich äußern dürfen", giftete der 37-Jährige. Wenn es stimmen sollte, dass sein Vorgänger tatsächlich "in Bezug auf das Sterben da draußen auf dem Meer Begriffe wie ,höhere Komik' benutzt hat, dann haben wir es hier möglicherweise mit einem bizarren Fall von senilem Zynismus zu tun, wenn nicht gar mit Schlimmerem". Auch eine ehemalige Mitarbeiterin Neudecks sprang Bierdel bei. Angelika Mattke, von 1994 bis 1997 die erste und einzige Geschäftsführerin des Komitees, wirft Neudeck vor, er sei selbst "der Meister der Inszenierung" und es sei "sein Markenzeichen" gewesen, "bei den spektakulärsten Aktionen des Komitees niemand mit einzubeziehen". Mattke: "Cap Anamur hat sich mit Bierdel im wahrsten Sinne des Wortes freigeschwommen … und dies gut!"

Tatsächlich verwundert die drastische Kritik Neudecks. Schließlich stand auch schon zu seiner Zeit die Arbeit der Cap Anamur immer wieder in der Schusslinie. So warfen ihr im Sommer 2000 ehemalige Cap-Anamur-Mitarbeiter "mangelnde Vorbereitung", "fehlende Sorgfalt" und "ineffizientes Arbeiten" vor. In der ARD-Sendung "Report Mainz" wurde Neudecks Organisation kritisiert, sie habe während des Kosovokriegs insgesamt fast 58 Millionen Mark an Spenden eingenommen - aber "nicht einmal jede zehnte Mark unmittelbar für Flüchtlinge ausgegeben". Neudeck reagierte starrköpfig: Der Beitrag sei "nicht ausreichend recherchiert" und habe offensichtlich das Ziel, die humanitäre Arbeit von Cap Anamur zu zerstören.

Auch manch anderes kommt durchaus bekannt vor. Beispielsweise der Vorwurf des Innen- und Rechtspolitikers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach, es sei von Cap Anamur "verantwortungslos, noch häufiger mit Schiffen durchs Meer zu kreuzen, um mehr Flüchtlinge nach Europa zu bringen". Dadurch würden sich Menschenmassen auf den Weg nach Europa begeben und zudem Schleuserbanden in die Hände gespielt.

Ähnliche Vorhalte hatte es auch schon bei der Rettung der vietnamesischen Boatpeople Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre gegeben. Der Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes, Jürgen Schilling, sah seinerzeit in der "Arbeit des Schiffes" sogar eine Art "organisierte Einwanderungshilfe, die unser Asylrecht pervertiert".

Wäre es ihm damals eingefallen, hätte Neudeck auf solche Vorhalte wohl mit exakt dem gleichen treffenden Bild geantwortet, das jetzt Bierdel seinen Kritikern entgegenhält: "Das wäre so, als wollte man für die Abschaffung der Bergwacht plädieren, mit der Begründung, die Menschen würden sich ja nur deshalb mit leichten Schuhen ins Gebirge wagen, weil sie wüssten, dass nachher der Hubschrauber kommt."

Bierdel gibt sich denn auch weiter kämpferisch. Zwar habe seine Organisation auch Fehler gemacht. Aber die entscheidende Frage müsse doch "jenseits aller Regelarien und bürokratischen Regeln, die es da gibt", sein: "Können wir weiter hinnehmen, dass Menschen vor den Toren der Festung verrecken?" Seine Antwort: "Ich sage Nein, ich möchte was dagegen tun, wir sind in der Lage und haben es begonnen."


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