23.07.2004

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taz

*   Die uneinsichtigen Sechs 
Von Pascal Beucker

Das Gericht übte zwar heftige Kritik an den Angeklagten, zur Verurteilung reichte es aber nicht. Richterin wehrte sich gegen "Stammtischexperten".

Das Häuflein vor dem Haupteingang des Düsseldorfer Landgerichts nimmt es mit geradezu gelassenem Sarkasmus. Mit Konfetti bewaffnet, Zigarren im Mund und Sekt in der Hand würdigen die knapp 30 Attac-Aktivisten die Urteilsverkündung im Mannesmann-Prozess auf ihre ganz spezielle Weise: mit einer "Solidaritätsdemonstration". Auf einem Transparent fordern sie: "Schluss mit der Diskriminierung unserer Wirtschaftseliten."

"Schluss mit dem Falschgeiz in der deutschen Wirtschaft!", ruft ein Redner im Anzug und mit dunkler Sonnenbrille vorbeieilenden Passanten zu. Sein Vorschlag: Ex-Mannesmann-Chef Klaus Esser solle neuer Justizminister und Deutsche-Bank-Boss Josef Ackermann SPD-Vorsitzender werden. Den IG-Metall-Heroen Klaus Zwickel schlägt er für das Bundesverdienstkreuz vor. Aus einer Lautsprecherbox dröhnt Bobby McFerrins "Dont Worry, Be Happy!".

Währenddessen hat im überfüllten Schwurgerichtssaal L 111 der letzte Prozesstag in dem wohl spektakulärsten Wirtschaftsstrafverfahren der bundesdeutschen Geschichte bereits begonnen: mit einer persönlichen Erklärung. In der klagt die Vorsitzende Richterin Brigitte Koppenhöfer über Telefonterror, Schmähbriefe bis hin zu Morddrohungen, die das Gericht nach einem so genannten Rechtsgespräch Ende März erhalten habe. Bei dieser Zwischenbilanz hatte die Richterin bereits angedeutet, dass sie die Angeklagten wohl freisprechen werde.

Noch nie in ihren 25 Dienstjahren seien ihr derart massive Versuche untergekommen, auf das Urteil Einfluss zu nehmen, schimpft Koppenhöfer. "Dass sich sämtliche Stammtische melden, war nicht überraschend. Überraschend war, wer an den Stammtischen Platz genommen hat." Zu den "Stammtischrechtsexperten" hätten auch Politiker gehört, die Straftatbestände wie "Sauerei, Schweinerei und Perversion" erfunden hätten. Das Gericht habe jedoch keine moralischen oder ethischen Bewertungen zu treffen gehabt, betonte Koppenhöfer: "Wir sind kein Scherbengericht für die Wirtschaft. Wir bewerten nicht die deutsche Unternehmenskultur, selbst wenn die Beweisaufnahme Anlass zu Verwunderung gab."

Nein, auch die anschließende Urteilsverkündung wird kein Scherbengericht für die angeklagten Wirtschaftsführer und ihre gewerkschaftlichen Abnicker - obschon die Ausführungen der Richterin vielfach nicht gerade schmeichelhaft für sie sind. Etwa für Ex-IG-Metall-Chef Zwickel, der intern immer alles brav abgenickt habe und nach außen vortäuschte, er sei dagegen. Aber wie für Ackermann und Esser sowie den früheren Aufsichtsratschef Joachim Funk, Konzernbetriebsrat Jürgen Ladberg sowie Ex-Manager Dietmar Droste lautet auch für ihn der zentrale Satz: "Die Angeklagten werden freigesprochen." Der sechs Monate dauernde Prozess habe keine Belege für ein strafbares Handeln erbracht, so die Richterin in ihrer anschließenden mehrstündigen Begründung. "Vermutungen und Verdächtigungen reichen nicht aus."

Eine erwartete wie herbe Schlappe für die Staatsanwaltschaft: Sie hatte für die sechs Angeklagten Haftstrafen von bis zu drei Jahren beantragt. Die Anklagebehörde hatte den Beschuldigten vorgeworfen, die 180 Milliarden Euro teure Übernahme von Mannesmann durch das britische Mobilfunkunternehmen Vodafone genutzt zu haben, um Managern und Ex-Vorständen ungerechtfertigte Abfindungen in Höhe von fast 60 Millionen Euro zuzuschieben. Allein Esser hatte 30 Millionen erhalten.

Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft will nun vor einer Entscheidung über eine Revision vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe die Gründe für die Freisprüche "sorgfältig prüfen". Es sei klar, dass die Ankläger mit dem Tenor des Urteils "nicht übereinstimmen", sagte Sprecherin Simone Kämpfer. Allerdings sei die Kammer immerhin in wesentlichen Punkten der Auffassung der Ankläger gefolgt.

Nur eben nicht in ihren Schlussfolgerungen. So attestierte auch Koppenhöfer, dass bei den Millionen-Prämien für Esser wie auch für Funk gegen das Aktienrecht verstoßen worden sei. Allerdings sei das im Fall Esser nicht strafbar, da es sich um keine gravierende Pflichtverletzung des Aufsichtsrats gehandelt habe. Bei der Gewährung der 3 Millionen Euro für Funk sei zwar von einer "gravierenden Pflichtverletzung" Ackermanns und Zwickels als Mitglieder des Aufsichtsrats-Präsidiums auszugehen. Wegen eines "unvermeidbaren Verbotsirrtums" reiche dies aber nicht zur Verurteilung. "Beiden fehlte die Einsicht, Unrechtes zu tun."

"Ein Freispruch ist ein Freispruch", kommentierte Josef Ackermann kurz und knapp das Urteil. Sogar "froh und zufrieden" gab sich Klaus Esser: "Mit diesem Urteil kann die Rufschädigung überwunden werden."


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