13.09.2004

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taz

*   Auch abstruse Listen haben gute Chancen
Von Pascal Beucker

Bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen gilt die Fünfprozenthürde nicht mehr: Die etablierten Parteien müssen nun mit Wählerlisten konkurrieren, die oft von frustrierten Exmitgliedern gegründet wurden. Der Wahlausgang ist völlig offen.

Am Morgen hatte es in Köln noch geregnet. Doch pünktlich zum Aufritt von Peer Steinbrück strahlt die Sonne am Samstag. Eine Steilvorlage für den SPD-Ministerpräsidenten: Mit der politischen Stimmungslage sei es wie mit dem Wetter, versucht er den Genossen Mut zu machen. Ganz schnell könne die wechseln: Die SPD habe "jede Möglichkeit, dass wir uns gut stabilisieren über die Kommunalwahl". Denn: "Es wird nicht über Bundespolitik abgestimmt, es geht um Kommunalpolitik."

Ihren vorsichtigen Optimismus ziehen die nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten aus einer von ihr selbst in Auftrag gegebenen Forsa-Umfrage, bei der nur ein Viertel der Befragten angegeben hatte, sich bei ihrer Wahlentscheidung am 26. September von der Bundespolitik beeinflussen zu lassen. Doch die Hoffnung der SPD könnte trügen, davon zu profitieren. Denn viele Wähler dürften sich für kommunale bürgerliche und linke Protestlisten entscheiden.

Sie nennen sich "Pro-Bürger-Partei", "Soziale Liste Bochum", "Detmolder Alternative", "Mülheimer Bürger-Initiativen" oder auch einfach "Basta. Es reicht!" Wie die Stadtparlamente künftig zusammengesetzt sind, ist oft unkalkulierbar. Denn vor fünf Jahren hat das Münsteraner Landesverfassungsgericht die Fünfprozenthürde gekippt. Allerdings war es damals, nur zwei Monate vor der Kommunalwahl, zu spät für viele Initiativen, um sich noch für einen Wahlantritt zu entscheiden. Doch nun spricht vieles dafür, dass es in den Kommunalparlamenten in Nordrhein-Westfalen künftig so ähnlich aussehen dürfte wie in den südlichen Bundesländern, wo unabhängige Wählergemeinschaften kaum mehr aus den Volksvertretungen vor Ort wegzudenken sind. Dabei dürften die Wählervereinigungen von links bis rechts davon profitieren, dass viele Bürger unzufrieden sind mit der "etablierten" Politik.

So sieht beispielsweise eine aktuelle Umfrage des Marktforschungsinstituts OmniQuest in Köln "andere" bei stolzen 11 Prozent der Stimmen - und die 3 Prozent für die PDS sind dabei nicht einmal mitgezählt. Vielmehr verbirgt sich dahinter vor allem wohl das "Kölner Bürger Bündnis", das "gegen Parteienklüngel und Gemauschel" antritt und maßgeblich von frustrierten SPDlern, CDUlern sowie Grünen gegründet wurde. Kölns CDU-Oberbürgermeister Fritz Schramma traut dieser Konkurrenz inzwischen "durchaus 8 bis 10 Prozent" zu. In Recklinghausen gestehen Lokalpolitiker der dortigen Liste "Basta. Es reicht!" sogar ein Potenzial von über 10 Prozent zu.

Auch die Aussichten für die "UWG-LEMMERListe" in Düsseldorf stehen nicht schlecht - obwohl sich hinter der "Unabhängigen Wählergemeinschaft" ein bizarres Sammelsurium verbirgt. Benannt wurde sie nach Torsten Lemmer, der bundesweit als Rechtsradikaler bekannt wurde und der inzwischen angeblich durch Christoph Schlingensief geläutert ist. Unterstützt wird die Liste auch durch den fraktionslosen Landtagsabgeordneten Jamal Karsli, der durch antisemitische Äußerungen auffiel. Ansonsten kandidieren vor allem frühere Sozial- und Christdemokraten. Ihr Motto: "Schluss mit dem Filz und der Korruption in der Düsseldorfer Stadtpolitik."

Auf über 5 Prozent hofft auch der prominente Soziologe Arno Klönne. Er ist "Mentor" der "Demokratischen Initiative Paderborn", kurz DIP. "Rot/Grün/Schwarz/Gelb sind mit verteilten Rollen dabei, den Sozialstaat zu zerstören, den Menschen das Fell über die Ohren zu ziehen", meint der 73-jährige emeritierte Professor. Deswegen hat der altgediente Sozialdemokrat in einem Schreiben an "Freunde in der SPD" zur Wahl der DIP aufgerufen: "Demokratische Unruhestiftung ist notwendig."


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