14.10.2004

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taz

*   Merkel wird nur von rechts umarmt
Von Lukas Wallraff und Pascal Beucker

Die CDU-Wahlkämpfer in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein distanzieren sich von Überlegungen der Parteichefin, Unterschriften gegen den EU-Beitritt der Türkei zu sammeln - dafür wollen rechtsextreme Parteien die Aktion unterstützen.

Gemeinsam mit NPD und DVU Unterschriften gegen einen EU-Beitritt der Türkei sammeln - das dürfte auch für die CDU/CSU nicht infrage kommen. In Unionskreisen im Bundestag hieß es deshalb gestern bereits: "Die Idee ist für die Union gestorben."

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, die eine Unterschriftenaktion bislang immer noch als Option für die Union bezeichnet hatte, gerät nach der Unterstützungserklärung durch die Rechtsextremisten unter Druck, die Aktion endgültig abzublasen.

"Beziehen Sie Position, Frau Merkel", verlangte Grünen-Chefin Claudia Roth, "stoppen Sie die unsägliche Kampagne!" Der Versuch Merkels, mit einer Unterschriftenaktion gegen den Türkeibeitritt von eigenen Problemen abzulenken, habe in einer "Verbrüderungsumarmung der Rechten" geendet, so Roth. Auch Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler forderte: "Die Union muss sofort klar machen, dass sie dieses Vorhaben aufgibt."

Schon vor der unerwünschten Solidarität von NPD und DVU ließen die Landesverbände der CDU, die demnächst Wahlkampf machen müssen, erkennen, was sie über die von Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber erwogenen Aktionen denken. "Wir wollen keine Unterschriftenaktion vor der Landtagswahl im Februar", sagte der Sprecher der schleswig-holsteinischen CDU der taz. Spitzenkandidat Peter Harry Carstensen halte Aktionen gegen einen Türkeibeitritt für "nicht sinnvoll", da für ihn landespolitische Themen im Vordergrund stünden. "Es geht in Schleswig-Holstein nicht um die Türkei."

Auf Distanz zur Unionsspitze ging auch die nordrhein-westfälische CDU, die im Mai an Rhein und Ruhr die Macht übernehmen will. Am Dienstagabend beschloss der Landesvorstand unter Leitung des Landeschefs und stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden Jürgen Rüttgers, er halte "eine Unterschriftenaktion für nicht erforderlich".

Der Grund für die ablehnende Haltung: Nicht wenige im NRW-Landesverband befürchten, eine Unterschriftenkampagne gegen den EU-Beitritt der Türkei könnte die Chancen der Union in den Großstädten empfindlich schmälern - so wie Rüttgers "Kinder statt Inder"-Fiasko vor fünf Jahren. Auch die Kölner Christdemokraten erteilten den Überlegungen Merkels deshalb eine schroffe Abfuhr.

Die vorgeschlagene Unterschriftensammlung würde "nur Ressentiments in der Bevölkerung schüren" und außerdem "die zahlreichen türkischen Bürger vor den Kopf stoßen, die sich hier in Köln in und für die CDU engagieren", sagte der Chef der Kölner Christdemokraten, Walter Reinarz. Auch Kölns Stadtoberhaupt Fritz Schramma (CDU) bezog eindeutig Stellung: "Solange ich hier Oberbürgermeister bin, werden in Köln keine Unterschriften gegen den EU-Beitritt der Türkei gesammelt."

CSU-Chef Stoiber sagte zu den kritischen Stimmen, eine Diskussion sei bei einem solchen Thema ganz natürlich. Die Frage einer Unterschriftenaktion sei aber derzeit "nicht aktuell". Am Montag hatte er noch von einer "vernünftigen Idee" gesprochen.


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