24.03.2004

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taz

*   Dem Müllprozess droht die Entsorgung
Von Pascal Beucker und Frank Überall

Weil erst jetzt zahlreiche Akten dem Gericht übergeben wurden, droht der Kölner Müllskandalprozess zu platzen. Die Akten könnten Ulrich Eisermanns Glaubwürdigkeit erschüttern, hoffen die Anwälte seiner Mitangeklagten Rüther und Michelfelder.

Der 30. Verhandlungstag im Kölner Müllskandalprozess war für die Staatsanwälte ein rabenschwarzer Tag. Immer wieder versuchten sich die Ermittler gestern zu rechtfertigen, warum sie die jetzt erst dem Landgericht übergebenen Unterlagen nicht schon früher eingebracht hatten. "Wir wollten den Streitstoff beschränken", lamentierten sie.

Doch Richter Martin Baur kanzelte sie ab: Der Bundesgerichtshof habe klare Vorgaben gemacht, was zu einem Prozess gehöre und was nicht. Die Tatsache, dass dem Landgericht 30 Kartons voll Aktenordner vorenthalten wurden, solle man nicht "schönreden". Die Anklagebehörde versuchte sich nach Kräften zu wehren: "Vielleicht nehmen Sie Rücksicht darauf, dass es der Staatsanwaltschaft als selbstständige Verfolgungsbehörde obliegt, zu entscheiden, was ihrer Meinung nach zum Verfahren gehört!" Doch trocken beschied Baur: "Die Staatsanwaltschaft sollte sich entschuldigen."

Die neu aufgetauchten Unterlagen sind deshalb so wichtig, weil sie den ganzen Prozessablauf in Frage stellen. Zum einen haben Polizei und Staatsanwaltschaft kurz vor der Zielgeraden den Verteidigern die Möglichkeit eröffnet, das ganze Verfahren völlig neu aufrollen zu lassen. Denn stellen sie einen Aussetzungsantrag, droht das Platzen des Prozesses. Aufgrund der Fülle des zu sichtenden Materials müsste dann die Hauptverhandlung länger als zehn Tage unterbrochen werden - was die Strafprozessordnung gar nicht mag.

Zum anderen könnten die Unterlagen Auskunft darüber geben, was von den Aussagen des Ex-Geschäftsführers der Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft Köln (AVG), Ulrich Eisermann, zu halten ist. Was nicht gerade unrelevant ist. Denn der Ex-Sozialdemokrat ist nicht nur Angeklagter im Müllskandalprozess - er ist auch der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft gegen die Mitangeklagten Norbert Rüther und Sigfrid Michelfelder. Ist er tatsächlich glaubwürdig? Oder hat er vielleicht seine beiden Mitangeklagten nur belastet, um so wenigstens doch noch einen "kleinen" Rest aus seinem Schmiergeldanteil vor dem Zugriff der Ermittler zu retten? Ein Polizist räumte gestern im Zeugenstand freimütig ein, dass in der Ermittlungskommission über die Glaubwürdigkeit Eisermanns kontrovers diskutiert worden sei: "Irgendwann hieß es von der Staatsanwaltschaft aber, wir glauben Herrn Eisermann." Darauf hätten sich die weiteren Ermittlungen dann konzentriert.

Doch einige der jetzt aufgetauchten Unterlagen stellen die Glaubwürdigkeit Eisermanns deutlich in Frage. So erwägt das Gericht inzwischen, auch seine Einlassungen zu den Geldflüssen außer Betracht zu lassen. Das würde für Rüther Freispruch bedeuten. Denn außer der Aussage des Ex-Parteifreundes hat die Anklagebehörde nichts gegen das einstige Schwergewicht der Kölner SPD in der Hand.

Heute will Richter Baur nun mit seinen Schöffen darüber beraten, wie es weiter gehen soll. Am Donnerstag wollen dann sowohl das Gericht als auch die Verteidiger ihre Meinung zu dem Justiz-Chaos und seiner Bedeutung für den Prozess sprechen. Baur hofft, dass die Angeklagten an einem schnellen Urteil interessiert sind und ihre Verteidiger deshalb darauf verzichten, das Verfahren platzen zu lassen. Bei der nunmehr großen Aussicht auf einen Freispruch muss Norbert Rüther, der immer wieder seine Unschuld beteuert hatte, jedenfalls großes Interesse an einem baldigen Ende haben. Die 30 Verhandlungstage auf der Anklagebank seien schon eine ziemlich Nerven zerrende Zeit gewesen waren, sagte er der taz.


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