04.05.2004

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taz

*   Große Feier nach der Krise
Von Pascal Beucker

Vor 100 Jahren wurde der Kölner Versicherungskonzern Gerling gegründet. Der stand vor kurzem knapp vor der Pleite. Davon redet heute keiner mehr - auch nicht von Robert Gerling junior.

Nein, von Krise will Björn Jansli nicht mehr reden. Die sei überstanden, verkündet der Vorstandsvorsitzende der Gerling Versicherungs-Beteiligungs-AG. Genau zum richtigen Zeitpunkt. Heute feiert Gerling sein 100-jähriges Bestehen mit einem Festakt in seiner Kölner Zentrale. Da blickt man gerne weit zurück. Auf die guten, alten Zeiten. Und weniger auf die erst kürzlich vergangenen Jahre.

Denn noch vor kurzem hätten nicht viele mehr einen Pfifferling auf Gerling verwettet. Durch die Misswirtschaft früherer Vorstände an den Rand der Pleite gewirtschaftet und durch die Terroranschläge in New York am 11. September 2001 zusätzlich unter Druck geraten, kämpfte das traditionsreiche Familienunternehmen noch unlängst ums nackte Überleben. Seit März 2003 nun ist der gebürtige Norweger mit britischem Pass Jansli Chef bei Gerling. Er leitete ein Notprogramm ein, verkaufte die Rück- und die Kreditversicherung und brachte das operative Geschäft auf Vordermann. Die Belegschaft wurde fast halbiert.

4.000 Mark Startkapital

Den Grundstein des Gerling-Konzerns legte Ahnherr Robert Gerling mit der Gründung der "Centrale für Versicherungswesen Robert Gerling & Co GmbH" vor genau 100 Jahren. 4.000 Mark betrug das eingezahlte Kapital, was den damaligen Mindestanforderungen entsprach. Nur 1.000 Mark stammten von dem damals 26-jährigen Gerling, der Rest kam von Teilhabern, die jedoch später samt und sonders auf mehr oder weniger freundliche Weise nach und nach ausgebootet wurden. 1920 wurden die Gerling-Gesellschaften erstmals von einer Holding geführt, die bald zur Spitzengruppe des deutschen Versicherungswesens gehörte - was auch den bisweilen ruppigen Methoden des Firmengründers zu verdanken war. "Frevler im Assekuranz-Wald" und "Versicherungs-Hyäne" schimpfte ihn die Konkurrenz, weil er durch heimliche Rückvergütung von Provisionen und enorme Rabatte bei Großabschlüssen ihren Kartellabsprachen zuwiderhandelte. "Was kräftig gedeihen soll auf Erden, muß dunklen Mächten seinen Zoll bezahlen", umschrieb später Gerlings Haus- und Hofdichter Wolf von Niebelschütz das Geschäftsprinzip.

Der verlorene Sohn

1935 verstarb Robert Gerling, erst 56-jährig, als einer der reichsten Männer Deutschlands - ohne allerdings ein ordentliches Testament zu hinterlassen. Nun begann eine der undurchschaubarsten Perioden der Konzerngeschichte. Sie ist verbunden mit einem Namen, der in den offiziellen Geschichtswürdigungen des Konzerns merkwürdigerweise nicht auftaucht: Robert Gerling junior, dem ältesten Sohn des Verstorbenen. An ihn hatte der alte Gerling in einer schriftlichen Abmachung sechs Monate vor seinem Tod den Aktienbesitz der Dachgesellschaft, der "Gerling-Konzern Rheinische Versicherungsgruppe AG", übertragen. Doch der damals Anfang 20-Jährige siedelte 1939 in die USA über, "wo er sich als Jazz-Fan wohler fühlte denn im von Marschmusik dröhnenden ,Dritten Reich'", wie der Schriftsteller Bernt Engelmann schrieb. Wie sich seine Brüder Hans und Walter in den folgenden Jahren den Konzern nicht gerade auf die feine Art aneigneten, war nach dem Krieg Anlass für eine ganze Reihe von Prozessen, die erst 1958 mit einem Vergleich endeten: Robert junior bekam 30 Millionen Mark Abfindung und behielt zudem die schweizerischen und us-amerikanischen Gerling-Unternehmen. Der riesige bundesdeutsche Besitz blieb bei Hans und Walter. Und Robert junior verschwand aus den Konzern-Chroniken.

Der starke Mann am Konzernruder war nun Hans Gerling. Er machte den Versicherer zu einem der bedeutendsten Assekuranz-Unternehmen der Bundesrepublik. Seine pompöse Lebensweise brachte ihm indes den Titel "König von Köln" ein. Er galt als schwierig, unnahbar, reserviert, öffentlichkeitsscheu - und erzreaktionär, wie eindrucksvoll bei Günter Wallraff nachzulesen ist. Unter der Leitung von Hans Gerling nahm der Konzern eine steile Aufwärtsentwicklung. Doch 1974 rutschte Gerling in die erste große Krise. Ursache war die durch wilde Fehlspekulationen verursachte Pleite des Kölner Bankhauses Herstatt, dessen Mehrheitsaktionär Gerling war. Hans Gerling musste die Führung seines Konzerns aufgeben. Er verkaufte 51 Prozent seines Konzerns, um die Herstatt-Gläubiger abzufinden. Die Anteile landeten bei der Flick-Gruppe, die damit bei Gerling den Ton angab. Hans Gerling arbeitete an seinem Comeback. 1978 übernahm er erneut den Vorstandsvorsitz. Acht Jahre später kaufte er von Flick die Anteile zurück.

Hoffen auf bessere Zeiten

Als Hans Gerling 1991 starb, wurde sein Sohn Rolf Alleinerbe. Der jedoch hatte kein Interesse an der Führung des Konzerns. Seitdem agieren Manager an der Unternehmensspitze. Die Deutsche Bank, die zwischenzeitlich 34,5 Prozent der Gerling-Anteile hielt, hat kürzlich ihr Paket zum symbolischen Preis von einem Euro an Rolf Gerling zurückgegeben. Dabei hatte der Gründer-Enkel sich auf dem Höhepunkt der jüngsten Krise noch bereit erklärt, sich von seiner Aktienmehrheit zu trennen, sprich: die Familientradition zu beerdigen. Aber es fand sich kein Käufer. Nun hält er 94 Prozent. Der Rest der Anteile liegt bei Joachim Theye, dem Aufsichtsratsvorsitzenden. Und Gerling, immer noch einer der größten Versicherer Deutschlands, hofft wieder auf bessere Zeiten.


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