Heft 8/05 - August 2005 |
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NRW-Koalition: Gewollt unscharf |
Von Pascal Beucker |
Eine
"Koalition der Mitte" und "Koalition der
Erneuerung" soll es sein. Nach fast 39 Jahren
sozialdemokratischer Regierungsherrlichkeit wird Nordrhein-Westfalen
seit dem 22. Juni wieder von einem Christdemokraten regiert. Welche
Konsequenzen diese historische Zäsur für die Menschen in dem bevölkerungsreichsten
Bundesland nach sich ziehen werden, liegt bislang indes weitgehend im
Dunkeln. Noch sind die Konturen der neuen schwarz-gelben Regierung
unscharf - und sie werden es wohl auch zumindest bis zur
Bundestagswahl bleiben. Denn
schließlich ist die Ausgangslage bei der kommenden Bundestagswahl im
Herbst vergleichbar mit der bei der Wahl am 22. Mai in NordrheinWestfalen.
Der Erdrutschsieg der Christdemokraten an Rhein und Ruhr resultierte
weder daraus, dass die Wählerinnen und Wähler in Jürgen Rüttgers
den besseren Spitzenkandidaten gegenüber seinem SPD-Pendant Peer
Steinbrück erkannten, noch dass sie das politische Angebot der CDU für
wirklich überzeugender hielten. Es war nicht die eigene Stärke, die
SchwarzGelb zum Erfolg führte, sondern die Schwäche der
regierenden Koalition. Die Abnutzungserscheinungen waren unübersehbar,
viele Menschen wollten einfach einen Regierungswechsel - ohne sich
jedoch unbedingt einen grundsätzlichen Politikwechsel zu wünschen.
Entsprechend galt es für den Herausforderer Rüttgers, dem
politischen Gegner im Wahlkampf so wenig Angriffsfläche wie möglich
bieten. Festlegungen wich er aus und blieb lieber im Ungefähren. So führte
der CDU-Landeschef einen Wahlkampf, der darauf ausgerichtet war, bloß
nichts falsch zu machen und niemanden zu verschrecken. Sein
Erfolgsrezept will Angela Merkel nun offensichtlich kopieren. Dazu gehört,
sich darum zu bemühen, weder den Eindruck aufkommen zu lassen, der
Union gehe es um eine konservative Revolution in der Bundesrepublik,
noch darum, die Axt an die Wurzel des Sozialstaats anzulegen. Kein
einfaches Unterfangen bei den vielen schrillen Stimmen aus ihrer
Partei. Auf jeden Fall würde es zu einer solchen Strategie nicht gut
passen, wenn nun, unmittelbar nach dem Regierungsantritt des
"Referenzmodells" in Düsseldorf, Schwarz-Gelb mit allzu
unpopulären Maßnahmen für unvorteilhafte Schlagzeilen sorgte. Entsprechend
bekundete Rüttgers auf dem Sonderparteitag der NRWCDU Mitte Juni,
auf dem der Koalitionsvertrag abgesegnet wurde, seine Partei stehe auf
der Basis des Ahlener Programms und der Leitsätze Konrad Adenauers für
mehr Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Einzelnen. Dies habe
nichts mit einer neoliberalen Ellbogengesellschaft zu tun, betonte er.
Tatsächlich geht die neue schwarz-gelbe Regierung in
Nordrhein-Westfalen derzeit recht vorsichtig zu Werke. So erscheint
die Vereinbarung, auf die sich CDU und FDP verständigt haben, in
weiten Teilen als Fortsetzung des Landtagswahlkampfs von Rüttgers mit
anderen Mitteln: Sie lässt vieles im Vagen und glänzt vor allem als
Werk politischer Prosa: "Freiheit vor Gleichheit, Privat vor
Staat, Erarbeiten vor Verteilen, Verlässlichkeit statt
Beliebigkeit" - so lautet das Credo. Und: "Wir werden für
diese neuen Chancen arbeiten, damit Nordrhein-Westfalen wieder auf die
Erfolgsspur kommt, auf der sich Wachstum und soziale Gerechtigkeit in
größtmöglicher Freiheit verbinden.“ Doch was sich konkret
dahinter verbirgt, liegt in weiten Bereichen noch im schwarzgelben
Nebel. Überbordenden
Erwartungen beugt die CDU/FDP-Koalition mit dem Hinweis auf die von
der Vorgängerregierung hinterlassene desolate Haushaltslage des
Landes vor: 110 Mrd. Schulden, 13 Mio. Euro tägliche Zinszahlungen
und ein strukturelles Defizit von 6,5 Mrd. Euro haben die Koalitionäre
errechnet. "Geschenke sind nicht zu erwarten", betonen sie
denn auch bereits auf der ersten Seite ihres Koalitionsvertrages.
Weder für teure Konjunkturprogramme zur Schaffung von Arbeitsplätzen,
noch für staatlich finanzierte Großprojekte sei Geld vorhanden. Auch
alle in dem Vertrag vereinbarten Vorhaben stünden unter einem
Haushaltsvorbehalt: von der Wiedereinführung der
Polizei-Reiterstaffeln bis hin zu der versprochenen Einstellung von
4000 zusätzlichen Lehrern. Die als dramatisch beschriebene
finanzielle Situation dient ebenso dazu, die Bürger auf ein rigides
Sparprogramm einzustimmen, ohne allerdings genauer ins Detail zu
gehen. Das erschwert die Mobilisierung sozialen Protests: Gegen
Unbestimmtes lassen sich Menschen schwer auf die Barrikaden bringen. So
hat Rüttgers zwar angekündigt: "Wir werden überall sparen müssen,
und jeder wird es merken." Aber auch seine Ankündigung, man
wolle "an jedes Leistungsgesetz ran " und "
Zuwendungsempfänger werden mit weniger auskommen müssen", lässt
offen, welche sozialen Grausamkeiten sich dahinter verbergen. Auch der
Koalitionsvertrag verrät nicht mehr. Dort heißt es ebenfalls nur
allgemein: "Wir werden die Mittel für Leistungsgesetze und Förderprogramme
zurückführen mit dem Ziel einer Senkung der entsprechenden Ausgaben
um bis zu 20 Prozent." Nicht die einzige Stelle, an der auf Präzisierungen
verzichtet wurde.
Akzentverschiebungen Der
letzte rot-grüne Koalitionsvertrag brachte es vor fünf Jahren noch
auf 119 Seiten - CDU und FDP reichen hingegen 64 Seiten. Augenfällig
sind die Akzentverschiebungen: Widmeten SPD und Grüne beispielsweise
der Gleichstellungspolitik noch ein eigenes -Kapitel, beschränkt sich
Schwarz-Gelb auf ganze fünf Sätze. Dennoch ist die schwarz-gelbe
Vereinbarung kein Zeugnis einer "geistig-moralischen Wende",
wie sie einst Rüttgers' Ziehvater Helmut Kohl zu seinem
Regierungsantritt 1982 propagierte; sie orientiert sich eher an dem
Motto Gerhard Schröders von 1998: "Wir wollen nicht alles
anders, aber vieles besser machen." Die
Neu-Koalitionäre scheinen gegenwärtig sichtbar darum bemüht, den
Eindruck eines ideologisch geprägten abrupten politischen
Richtungswechsels zu vermeiden. Das zeigt sich auch in einem Satz wie
diesem: "Gleichgeschlechtliche Paare dürfen nicht diskriminiert
werden. Ihre Selbstorganisation werden wir weiterhin angemessen
unterstützen." Selbst in der Drogenpolitik haben sich die
Christdemokraten erstaunlich flexibel gezeigt: "Wir akzeptieren
die auf kommunaler Ebene getroffenen Entscheidungen zur Einrichtung
von Drogenkonsumräumen und werden die Weiterentwicklung von
Substitutionsprogrammen aktiv begleiten." Manche Passagen des
Koalitionsvertrags klingen beinahe, als seien sie aus grünen Papieren
abgeschrieben, beispielsweise wenn hervorgehoben wird, welche
"große Bedeutung" das "Recht auf informelle
Selbstbestimmung" habe und sich CDU und FDP nachdrücklich"
gegen die Aushöhlung des Datenschutzes" wenden und die
"Rechte der Datenschutzbeauftragten stärken" wollen. Allerdings
kosten solche Absichtserklärungen nichts, und es spricht einiges dafür,
dass es sich nur um nett klingende, gleichwohl unverbindliche Rhetorik
handelt. Deutlich wird das vor allem im Bereich der Ökologie: Während
sich die Koalition einerseits "zum Schutz der Umwelt und natürlichen
Lebensgrundlagen als Bewahrung der Schöpfung bekennt", verkündet
sie andererseits, "Bürger und Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen
dürfen nicht länger durch einseitige und unverhältnismäßige
Umweltschutzauflagen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen
Bundesländern und Staaten eingeschränkt werden", Das passt
ebenso wenig zusammen, wie die Aussage, man wolle die
Integrationstradition lebendig halten und fortentwickeln" zu dem
Bekenntnis zur "Orientierung an den christlichen Grundwerten
unserer Gesellschaft". So
hinterlässt die Arbeitsgrundlage der neuen Koalition vor allem den
Eindruck, dass hier nur via Duftnoten unterschiedliche
gesellschaftliche Gruppen wohlfeil bedient - beruhigt oder befriedigt
- werden sollen.
Bunter
Gemischtwarenladen Damit
kein falscher Eindruck entsteht: CDU und FDP haben nicht alles im
Unverbindlichen gelassen. Die Steinkohlesubventionen sollen
schrittweise abgebaut, der damit verbundene Arbeitsplatzabbau indes
sozialverträglich vollzogen werden. Konkretes bietet ferner vor allem
der Schulbereich - angefangen vom Kopftuchverbot für muslimische
Lehrerinnen über die Wiedereinführung der unseligen Kopfnoten für
Fleiß und Betragen auf den Zeugnissen bis zu der begrüßenswerten
Ankündigung, dass Schulkonferenzen zukünftig selbst die Schulleiter
wählen können. Außerdem sollen die Schulen eigene Stellen- und
Sachmittelbudgets, Schulen und Klassen mit einem hohen Anteil an
Migrantenkindern eine bessere Mittelausstattung erhalten. Veränderungen
sind auch für den Hochschulbereich angekündigt: Die Hochschulen
sollen künftig "unbegrenzt Vermögen bilden und eigene Einnahmen
erwirtschaften können". Dazu gehört auch, ihnen das Recht
einzuräumen, bis zu einer Höchstgrenze von 500 Euro pro Semester ein
nachgelagertes "Studienentgelt" zu erheben; allerdings
sollen BAföG-Empfänger hiervon ausgenommen sein. Darüber hinaus
gibt es noch eine Reihe von Details, wie die Privatisierung von
Landeseigentum, die beabsichtigte Freigabe des Ladenschlusses an
Werktagen, die Einführung des Zwei-Stimmen-Wahlrechts bei
Landtagswahlen bis hin zu dem grandiosen Versprechen: "Wir
ergreifen eine Initiative zur Anpflanzung von 100 Alleen in ganz
Nordrhein-Westfalen." Ein bunter Gemischtwarenladen -
Neoliberales steht neben Folkloristischem, Konservatives neben
Progressivem. Nicht
einmal einen Monat benötigten CDU und FDP, um ihr Bündnis zu
besiegeln. In vergleichbarer Zeit lag Rot-Grün 2000 gerade erst in
der kritischen Phase der Koalitionsverhandlungen. Anders als
seinerzeit Wolfgang Clement und Bärbel Höhn präsentierten sich die
schwarz-gelben Verhandlungsführer in demonstrativer Harmonie, Alleine
das bot bereits einen demonstrativen Kontrast zu jener ungeliebten
Notlösung, als die die allzu selbstherrlichen Sozialdemokraten Rot-Grün
in "ihrem" Land stets angesehen hatten. Die nordrhein-westfälische
SPD verstand es nicht, eine rechnerische Notwendigkeit als
potenzielles Erfolgsmodell, geschweige denn als Reformprojekt zu präsentieren
- weil sie Rot-Grün so nicht begreifen konnte und wollte. Denn obwohl
sich die NRWGrünen in der Regierungsverantwortung nicht weniger
pragmatisch zeigten als ihre Parteifreunde in Berlin, verpassten die führenden
Sozialdemokraten in Düsseldorf selten eine Gelegenheit, deutlich zu
machen, dass sie sie eigentlich nur für Störenfriede hielten -und
lieferten so der Opposition permanent Munition frei Haus. Fast
vier Jahrzehnte haben die Genossen das bevölkerungsreichste
Bundesland regiert. Auch die langen bitteren Jahre
sozialdemokratischer Opposition während der Ära Kohl im Bund nahm
man hier gelassen. Schließlich blieb NRW weiter fest in ihrer Hand.
In Düsseldorf regierte seinerzeit der rote Übervater Johannes Rau,
zumeist mit absoluter Mehrheit. Was will man mehr? Nordrhein-Westfalen
- das war halt |
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