Arschloch musst du
heißen, wenn du nach vorn willst, hatte ihm Herbert Wehner einst
beschieden. Aber Hans-Jürgen Wischnewski wurde was, nicht nur in der
SPD. Er verhandelte mit Guerilleros und mischte in der Kölner SPD
mit. Nun ist der "Held von Mogadischu" gestorben. Ein Nachruf.
Nein, von
Ruhestand hatte Hans-Jürgen Wischnewski bis zuletzt nichts wissen
wollen. Nach zwei Herzinfarkten und mehreren Hüftoperationen blieb er
auch im Rollstuhl unerschütterlich mobil: Im April vergangenen Jahres
besuchte er den libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi, im
November flog er mit Joschka Fischer zur Trauerfeier für Jassir
Arafat nach Kairo - und im Dezember hielt er auf dem Parteitag der Kölner
SPD ein flammendes Plädoyer für die Wahl von Stadtparteichef Jochen
Ott in den Landtag. Die große Welt- und die kleine Parteipolitik - für
Wischnewski gehörte beides stets zusammen.
Geboren am
24. Juli 1922 im ostpreußischen Allenstein, wuchs Wischnewski ab 1927
in Berlin auf. Sein Elternhaus beschrieb er als "ausgeprägt preußisch",
"sehr protestantisch" - und antinazistisch. Von 1940 bis
1945 zur Wehrmacht eingezogen, verschlug es Wischnewski nach kurzer
amerikanischer Kriegsgefangenschaft zunächst nach Niederbayern. Hier
wurde er Metallarbeiter - eigentlich nur, um sich sein späteres
Studium zu finanzieren, denn er wollte Journalist werden. 1946 trat
Wischnewski der SPD sowie der IG Metall bei. Nach einer Ausbildung in
Arbeits- und Sozialrecht schickte ihn die Gewerkschaft sechs Jahre später
nach Köln. Und anders als geplant kehrte er nicht nach Bayern zurück.
Er blieb - über fünfzig Jahre lang. Die Domstadt wurde zu seiner
Heimat.
33 Jahre lang
vertrat Wischnewski seine Wahlheimat im Bundestag. Als er 1957 über
die NRW-Landesliste erstmals in den damals in Bonn residierenden
Bundestag gewählt wurde, erhielt er zu seinem großen Missfallen nur
einen Platz in der letzten Reihe, weil in der SPD-Fraktion die Plätze
nach dem Alphabet vergeben wurden. Sauer habe er Herbert Wehner
gefragt: "Um Gottes willen, wie weit ist das hier, bis man da mal
nach vorne kommt?" Der habe geantwortet: "Hier musst du
Arschloch heißen, wenn du nach vorne willst." Diese Anekdote erzählte
Wischnewski gern. Ein Direktmandat in seinem Kölner Wahlkreis konnte
er erstmalig 1965 erobern - und gab es bis zu seinem Ausscheiden aus
dem Bundestag 1990 nicht mehr ab.
Wischnewski
war zum einen der Parteisoldat, über den Helmut Schmidt einmal sagte,
er sei "mit Leib und Seele ein Sozi von altem Schrot und
Korn". Vom Ende der 60er- bis Mitte der 80er-Jahre diente er
seiner Partei unter anderem als Bundesgeschäftsführer, Schatzmeister
und auch stellvertretender Vorsitzender. Als eine seiner
herausragendsten Leistungen gilt noch heute sein unauffälliger, aber
für die SPD entscheidender Beitrag zum ersten Machtwechsel in der
Bundesrepublik: die Bildung der sozialliberalen Koalition 1969.
"Ich war meiner Partei nie ein guter Ideologe, sondern eher ein
Pragmatiker", sagte im Rückblick Wischnewski, der in der Regel
auf dem konservativen SPD-Flügel zu verorten war und die Abgrenzung
gegen links pflegte.
Wischnewski
war aber auch der Internationalist, der besonders in der arabischen
Welt ein hohes Ansehen genoss. Sein Engagement begann mit der aktiven
Solidarität für den algerischen Freiheitskampf gegen die französische
Kolonialmacht von Mitte der 50er- bis Anfang der 60er-Jahre.
Angefangen von der großen Koalition von 1966 bis 1969, der
Wischnewski als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit
angehörte, bis zur rot-grünen Regierung machten sich alle fünf
Bundeskanzler seine hervorragenden internationalen Kontakte zunutze.
Auch Helmut
Kohl wollte nicht auf die Dienste des Krisenmanagers verzichten und
schickte ihn 1985 nach El Salvador, um nach der Entführung der
Tochter des salvadorianischen Präsidenten Duarte zwischen der
dortigen rechten Regierung und den linken Guerilleros der FMLN zu
vermitteln. Als Wischnewski zurückkehrte, hatte er ein umfangreiches
Friedenspaket im Gepäck, auf das sich die beiden Seiten geeinigt
hatten. Die FMLN bedankte sich mit einem ungewöhnlichen Geschenk, das
auf dem Köln-Bonner Flughafen für Aufregung sorgte: Sie schickte ihm
eine Kalaschnikow. Entschärft und auf eine blank geputzte Holztafel
geschraubt hielt Wischnewski sie in Ehren.
Ein erster
spektakulärer Coup war ihm bereits im "Schwarzen September"
1970 gelungen, als er sich in Amman erfolgreich für die Passagiere
aus drei von palästinensischen Terroristen gekidnappten Flugzeugen
einsetzte. In das kollektive bundesdeutsche Gedächtnis hat sich sein
Name im Zusammenhang mit der Entführung der "Landshut" im
Oktober 1977 eingebrannt. Die Boeing 737 der Lufthansa mit 91 Menschen
an Bord war auf ihrem Flug von Mallorca nach Frankfurt von dem palästinensischen
"Kommando Martyr Halimeh" entführt worden - eine Unterstützungsaktion
für die deutsche RAF. Nach mehrtägigem Irrflug landete die Maschine
in der somalischen Hauptstadt Mogadischu. Bundeskanzler Schmidt
schickte Wischnewski, um mit den Hijackern und den somalischen Behörden
zu verhandeln, sowie notfalls die gewaltsame Befreiung der Geiseln zu
organisieren. Dafür hatte Schmidt seinen Staatsminister im Kanzleramt
mit umfangreichen Vollmachten ausgestattet. Am Morgen des 18. Oktober
1977 ließ Wischnewski das Flugzeug von der GSG 9 stürmen. Dabei
starben drei der vier Entführer, aber alle Entführten blieben
unverletzt. Unvergessen sind bis heute die anschließenden Bilder von
dem korpulenten, schwitzenden Mann mit der dunklen Brille inmitten der
befreiten Geiseln. Die gelungene Befreiungsaktion machte ihn zum
"Helden von Mogadischu".
Im Juli 2002
lud Wischnewski einige Journalisten in sein Haus ein. Kurz vor seinem
achtzigsten Geburtstag wollte "Ben Wisch" - ein Spitzname,
den ihm Willy Brandt verliehen hatte - Bilanz seines Lebens zu ziehen.
Der greise Politiker habe ihn an Joda erinnert, den altersweisen
Yedi-Ritter aus der Stars-Wars-Saga, "dessen Rat gefragt ist, als
die dunkle Seite der Macht immer bedrohlicher wird", schrieb
anschließend Hans-Jörg Heims in der Süddeutschen. So
muss Wischnewski auch seinen gebeutelten Kölner Genossen erschienen
sein. Für sie war der leidenschaftliche Briefmarkensammler die
einzige verbliebene Galionsfigur aus der "guten, alten
Zeit". Dafür verehrten sie ihn. Was auch daran lag, dass sie
sich auf ihn verlassen konnten. Beispielsweise als er auf dem
Sonderparteitag nach der Aufdeckung des SPD-Spendenskandals im Mai
2002 das Wort ergriff, um sich über die "kriminellen
Machenschaften" dieser "Strolche" zu empören - und um
gleichzeitig wieder Mut zu machen: "Wir müssen nicht wegen der
Verfehlungen einiger weniger nun alle in Sack und Asche gehen."
Seine
scheinbar ungebrochene Unrast der letzten Jahre dürfte für den
Ehrenbürger von Bethlehem auch eine Verarbeitung zweier
Schicksalsschläge gewesen sein: 1999 der Suizid seiner Tochter Elke
aus erster Ehe, die zwanzig Jahre an Multipler Sklerose litt, sowie
2002 der Tod seiner Frau Gika, mit der er 35 Jahre zusammengelebt
hatte.
Natürlich
hatte Wischnewski nicht fehlen wollen, als Gerhard Schröder und Peer
Steinbrück am vergangenen Aschermittwoch dem Gürzenich ihren Besuch
abstatteten. Bei seiner Begrüßung erhielt er von den über tausend
Genossen Standing Ovations. Am folgenden Samstag wurde er mit Atemnot
ins Krankenhaus gebracht und in ein künstliches Koma versetzt, aus
dem er in der vergangenen Woche wieder schrittweise erwachte.
"Guter Dinge" sei er bereits wieder gewesen, berichtete sein
persönlicher Referent Arnold Joosten. Noch am Montag habe sich
Wischnewski nach den Ergebnissen der Landtagswahl in
Schleswig-Holstein erkundigt und "fragte nach dem algerischen
Parteitag". Er schien auf dem Weg der Genesung. Doch am
Donnerstag ist Hans-Jürgen Wischnewski im Alter von 82 Jahren
gestorben. |