14.05.2005

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taz

*   KOMMENTAR: Ein Richter auf den Barrikaden
Von Pascal Beucker

Fischer hat es in der Hand, ob auch der neue Visa-Prozess eskaliert.

Es ist ein merkwürdiger Prozess, der da vor dem Kölner Landgericht begonnen hat. Denn eigentlich spielen die beiden Angeklagten, die gestern leibhaftig im Gerichtssaal Platz nehmen mussten, nur eine Nebenrolle. Dass sie plötzlich im Scheinwerferlicht stehen, hat weniger mit den konkret gegen sie erhobenen Vorwürfen zu tun. So verwerflich auch die Schleuservergehen des Hauptangeklagten Anatoli Barg sind: Wer würde sich dafür schon ernsthaft interessieren, wenn es hier nur um die Aufklärung der Taten eines kleinen Kriminellen ginge? Bargs erster Prozess jedenfalls, der immerhin für ihn mit einer fünfjährigen Haftstrafe endete, fand weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Kein einziges Fernsehteam besuchte auch nur einen Verhandlungstag.

Das ist diesmal anders und hat maßgeblich mit dem Vertreter der Anklage zu tun. Denn Egbert Bülles hat diesen zweiten Kölner Visa-Prozess schon vor seinem Beginn zu so etwas wie einem Kampf David gegen Goliath gemacht: Ein vermeintlich kleiner "Provinzstaatsanwalt" nimmt es erneut mit den "Mächtigen" in Berlin auf. Der Ankläger sei entschlossen, die Verantwortlichkeit der Behörden für den nachweislichen Visummissbrauch klarzustellen, heißt es aus Kreisen des Landgerichts. Die Drohung sollte die rot-grüne Bundesregierung ernst nehmen.

SPD und Grüne haben dem früheren CDU-Mitglied nach seinem Auftritt vor dem Visa-Untersuchungsausschuss vorgeworfen, er sei parteiisch und überehrgeizig. Doch damit machen sie es sich zu leicht. Sie unterschätzen den Juristen, der 1983 aus der CDU austrat, nachdem CSU-Generalsekretär Gerold Tandler die Bonner Staatsanwälte, die den Parteispenden- und Flick-Skandal aufzudecken versuchten, als Terroristen beschimpft hatte. Seine für Nicht-Rheinländer äußerst gewöhnungsbedürftige Schnoddrigkeit sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bülles vor allem über eines verfügt: einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Und mit dem verträgt es sich eben nicht, wenn eine Berliner Behörde die Arbeit der Justiz bewusst erschwert. Erst das destruktive Verhalten des Außenministeriums während des ersten Verfahrens hat Bülles zu Recht auf die Barrikaden gebracht. Von denen wird er nur wieder runterkommen, wenn diesmal die Fischer-Behörde nicht wieder den Eindruck vermittelt, sie wolle Fehler vertuschen.

Das wäre auch eine sinnvolle Maßnahme, um der von der Union geführten ideologischen Kampagne wirksam zu begegnen. Denn im Mittelpunkt des jetzt begonnenen Prozess sollten eben doch die mutmaßlichen kriminellen Machenschaften zweier Angeklagter stehen. "Im Zweifel für die Reisefreiheit" hat damit nichts zu tun.


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