Meisners
Neujahrsrede.
Gäbe es ihn
nicht, könnte man fast auf die Idee kommen, Joachim Meisner müsse
erfunden werden. Seit 1989 - noch vor der Maueröffnung! - amtiert der
DDR-Flüchtling auf Karol Woitylas Geheiß nun schon als Erzbischof in
Köln. Und versteht es doch immer noch, Jahr für Jahr die Kölnerinnen
und Kölner bei Laune zu halten. Auch diesmal wieder in seiner
Silvesterpredigt.
Da wartete
der Kardinal, dramaturgisch geschickt, zunächst mit einer
besorgniserregenden Nachricht auf: "Wer über die Grenzen unseres
Landes in die weite Welt hinaus schaut, macht die erstaunliche
Feststellung, dass der Atheismus weltweit auf dem Rückzug ist."
Aber dann folgte sogleich die Entwarnung: "Bei diesem weltweiten
Trend auf Gott zu bleibt die Bundesrepublik Deutschland mit den
westeuropäischen Nachbarländern im Abseits."
Ist das nicht
eine frohe Botschaft? Ebenso wie diese: "Man sagt uns, dass der
sich zu Jesus Christus bekennende amerikanische Präsident George W.
Bush gerade deshalb von vielen Amerikanern erneut zu ihrem Präsidenten
gewählt worden ist. In Europa könnte er nicht einmal EU-Kommissar
werden ..." Mit solch erbaulichen Worten geht man doch gerne in
das neue Jahr!
Aber der 71-Jährige
weiß natürlich, dass in der Metropole des rheinischen Frohsinns
nicht nur frohe, sondern auch lustige Botschaften gefragt sind. Auch
davon hat er einige parat. So baute er in seine kleine Ansprache einen
wirklich guten Witz ein: "Könnten wir selbst zum Beispiel nicht
auch die in Süddeutschland übliche Begrüßungsform ,Grüß Gott' für
den Alltag übernehmen, damit auch Gott wieder in der Umgangssprache
vorkommt und hörbar wird?" Über Köln lacht die Sonne - über
die Bayern sogar unser Erzbischof.
Ja,
Katholen-Joe gibt sich alle Mühe, Spaß zu bescheren. Und einem Spaßmacher
kann viel nachgesehen werden. Sogar, dass er neben der einen oder
anderen guten Pointe bisweilen viel reaktionäres Gebrabbel von sich
gibt. So gönnen wir denn auch dem beruflich verordneten Single, dass
er sich nach einer Zeit zurücksehnt, als sich seines Glaubens nach
der Mensch noch "sehr präzise" als Abbild des von Meisner
angebeteten Gottes verstanden haben soll, "nämlich als Frau, die
auf den Mann hin geordnet ist, und als Mann, der auf die Frau hin
geordnet ist, sodass sie sich in der Ehe zusammen taten". Wie
sang noch einst Wolf Biermann: "Was verboten ist, das macht uns
grade scharf!"
So könnte
denn auch an dieser Stelle amüsiert wie friedfertig geendet werden.
Wenn da nicht jene paar perfiden Worte wären, bei denen sich auch bei
aller zugestandenen Alterssenilität und katholischen Verblendung
jeder Witz verbietet. Nein, der Spaß ist vorbei: Abtreibung sei ein
"Tatbestand", geiferte Meisner in seiner Silvesterpredigt im
Dom, "der wohl alle bisherigen Verbrechen der Menschheit in den
Schatten stellt". Wie geschichtsvergessen, wie fanatisch, wie
unmenschlich muss jemand sein, der so etwas zum Anbruch des Jahres
sagt, in dem sich die Befreiung der Überlebenden von Auschwitz zum
sechzigsten Mal jährt?