04.06.2005 |
Startseite taz köln taz |
Bajonette am Heumarkt |
Von Pascal Beucker |
Vor fünf Jahren erschien
die erste Ausgabe der taz köln. Zum Einstand gab’s einen Reprint
der Neuen Rheinischen Zeitung. Seither läuft der 38. Versuch
einer unabhängigen Kölner Zeitung. Knapp ein Jahr lang
hatte die Redaktion durchgehalten. Mutig schrieb sie gegen Fürsten
und für die Demokratie. Doch dann blieb nichts als die Flucht aus Köln.
Sie mussten, wie Redakteur Friedrich Engels feststellte, "unsere
Festung übergeben, aber wir zogen ab mit Waffen und Bagage, mit
klingendem Spiel und mit der fliegenden Fahne der letzten, roten
Nummer". Das Redaktionsbüro
der Neuen Rheinischen Zeitung, die am 19. Mai 1849 das letzte
Mal erschien, befand sich auf dem Kölner Heumarkt. Heute erinnert
daran nur eine Erinnerungsplakette. Dafür gehörte ein Reprint des
Blattes zu den Einstandsgeschenken, über die sich die Kölner
Redaktion der taz freuen durfte, als sie im Mai 2000 ihr erstes
Büro nur wenige Meter vom Heumarkt entfernt bezog. Und irgendwie
passte es: Auch die legendäre Revolutionszeitung hatte einst
"mit fast gar keinen Geldmitteln angefangen" (Engels) - und
auch für die taz in Köln galt es, der Obrigkeit zu trotzen.
In der Domstadt herrschen schließlich immer noch feudalistische Verhältnisse,
zumindest im Medienbereich: Es regiert der Pressezar Alfred Neven
DuMont. Mit dessen Vorfahren hatte sich schon der Neue Rheinische
Zeitung-Chefredakteur Karl Marx herumzuschlagen gehabt. Anders als die taz-Redaktion
im Ruhrgebiet war die Kölner taz eine Gründung "von
oben": Die Zentrale in Berlin hatte sich Ende 1999 zu
dem Experiment entschlossen, eine wöchentliche NRW-Beilage mit
regionalen Fenstern erscheinen zu lassen. Erfolgsaussichten, das wurde
den Planern schnell klar, konnte dieses Projekt nur haben, wenn dabei
auch die Millionenstadt des Landes "bespielt" würde. Köln war dabei
politisch wie journalistisch spannend. Nach dem Sturz des SPD-Oberbürgermeisterkandidaten
Klaus Heugel über ein Insider-Aktiengeschäft war einiges in Bewegung
geraten: Nach 43 Jahren regierte erstmals kein Sozialdemokrat in der
Domstadt. Bei der OB-Stichwahl im Herbst 1999 verlor die Grüne Anne Lütkes
zwar gegen Harry Blum (CDU), landete aber bei 45,2 Prozent. Dann
verstarb Blum nach nur 169 Tagen im Amt: Mit der zweiten Nullnummer am
23. März 2000 begann der nächste Wahlkampf: "Was kommt nach
Harry?" lautete die Schlagzeile. Der Aufmacher der ersten
Nullnummer befasste sich mit einem Thema, mit dem sich die taz köln
- leider - immer noch beschäftigen muss: inhumaner kommunaler Flüchtlingspolitik. In dieser ersten
Ausgabe findet sich übrigens auch erstmalig die Kolumne eines
Autoren, deren erster Satz lautete: "Mein Name ist Christian
Gottschalk." Zwei Wochen nach dem Erscheinen der ersten regulären
Ausgabe folgte am 18. Mai der Erstling des Kabarettisten Heinrich
Pachl. Am 6. Juli komplettierte Wilfried Schmickler das
Kolumnistentrio: "Der Kölner - so ein weitverbreitetes und nach
meinen Erfahrungen absolut zutreffendes Vorurteil - kommt mit der
Pappnase zur Welt, ernährt sich obergärig und hat nur eins im närrischen
Sinn: durchzumachen bis morgen früh und ,bummsfallara' zu singen,
kurzum: Karneval zu feiern." Entsprechend schwer
hat es hier kritischer Journalismus. Der Stadthistoriker Martin
Stankowski weiß von mindestens 37 gescheiterten Anläufen für eine
unabhängige Kölner Zeitung. Die taz trotzt indes in der
Domstadt seit nun
bereits
mehr als fünf Jahren allen Widrigkeiten. Um Angriffe auf die
Pressefreiheit abzuwehren, lagerten in der Redaktion der Neuen Rheinischen
Zeitung einst acht Bajonettgewehre. Die einzigen Waffen, über die die taz
köln verfügt, sind ihre Leserinnen und Leser. |
© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen bei dem Autoren. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autoren. |