29.07.2005

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*   Bombardieren erlaubt
Von Pascal Beucker
Kölner Gericht lehnt Klage der Opfer von Varvarin ab.

Lange, sehr lange her scheint es zu sein. Weit weg. Will sich wirklich heute noch jemand daran erinnern? An den Krieg der Nato gegen Jugoslawien? Daran, wie sich Deutschland zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wieder an einem Überfall auf ein fremdes Land beteiligte? An jenen rot-grünen Sündenfall, der Außenminister Joschka Fischer ein rotes Ohr bescherte und vielen Menschen in Jugoslawien Tod und Verderben brachte? Und interessiert sich noch jemand dafür, was in Varvarin passierte, damals an einem schönen Frühlingstag vor sechs Jahren?

Bis dahin schien der Krieg weit entfernt von der südserbischen Kleinstadt mit ihren 4.000 Einwohnern. Keine Eisenbahn führte hin, auch keine Fernstraße. Rund 200 Kilometer vom Kosovo, 180 Kilometer von Belgrad entfernt, nur über Nebenstraßen erreichbar und militärstrategisch gänzlich uninteressant, galt Varvarin als sicheres Gebiet. Bis zu jenem 30. Mai 1999.

Doch an diesem Tag gegen 13 Uhr halten zwei Kampfjets der Nato Kurs auf Varvarin und nehmen eine schmale, verrostete Eisenbrücke ins Visier. Zwei Raketen schlagen ein. Sechs Minuten später treffen zwei weitere. Die Bilanz: zehn Tote, dreißig zum Teil Schwerverletzte. Allesamt Zivilisten. Es habe sich um ein "legitimes militärisches Ziel" gehandelt, erklärt der Nato-Sprecher Jamie Shea am Tag danach.

Die Nato hat bis heute nicht erklärt, was ausgerechnet die altersschwache Brücke von Varvarin dazu qualifiziert haben soll. Aus welchem Land die Piloten stammten, hat sie ebenfalls nie verraten. Wie es überhaupt zu diesem Angriff kommen konnte, wurde ebenso wenig aufgeklärt.

Auch nicht vom Oberlandesgericht Köln. Das urteilte gestern in zweiter Instanz über die Entschädigungsklage von 35 Varvariner Opfern und Angehörigen, die die Bundesrepublik stellvertretend für die NATO verklagt hatten. Das Gericht entschied gegen sie: Die Klageansprüche fänden "weder im humanitären Völkerrecht noch unmittelbar in den Grundrechten des Grundgesetzes noch im deutschen Staatshaftungsrecht eine hinreichende Stütze".

Es könne "dahin stehen, ob tatsächlich deutsche Flugzeuge unterstützend in den streitigen Luftangriff eingebunden gewesen und ob die konkreten Umstände dieses Angriffs völkerrechtswidrig oder gar kriegsverbrecherisch gewesen seien", befand das Gericht. Denn auch wenn die beklagte Bundesrepublik über die Zielauswahl informiert gewesen sein sollte, hätte sie "darauf vertrauen können, dass ein möglicher künftiger Angriff in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht erfolgen werde".

Den Richterspruch kommentierte Zoran Milenkovic als "große Enttäuschung". Der Bürgermeister von Varvarin kündigte an, Revision beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe einzulegen. Seine Tochter starb bei dem Luftangriff vor sechs Jahren. Sanja wurde gerade einmal 15 Jahre alt.


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