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26.05.2006

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*   Eine mit Überzeugungen
Von Pascal Beucker

FRISCHER WIND IM DGB-VORSTAND*Annelie Buntenbach, ehemalige Grünen-Politikerin, ließ sich in ihren friedenspolitischen Grundsätzen nicht beirren

Dass sie auf dem turbulenten Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin mit einem besseren Ergebnis als DGB-Chef Michael Sommer abschneiden würde - damit hatte Annelie Buntenbach selbst nicht gerechnet. Mit einer Zustimmung von 78,8 Prozent wählten die Delegierten die Arbeitsmarkt- und Sozialexpertin der IG Bauen Agrar Umwelt (IG BAU) neu in den geschäftsführenden Bundesvorstand. Eine kleine Kulturrevolution: Mit der 51-jährigen hemdsärmeligen Bielefelderin sitzt erstmalig eine Grüne in dem erlauchten Gremium.

Als Ende vergangenen Jahres die ersten Gerüchte in der Öffentlichkeit kursierten, Buntenbach könnte für die altgediente Sozialdemokratin Ursula Engelen-Kefer in den geschäftsführenden DGB-Bundesvorstand aufrücken, war das Erstaunen groß. Die frühere grüne Bundestagsabgeordnete war seit ihrem Ausscheiden aus dem Parlament 2002 aus dem medialen Blickfeld gerückt. Kaum jemand hatte ihren Wechsel von der politischen Bühne zur Leiterin der Abteilung Sozialpolitik bei der IG BAU registriert. Mit ihrem freiwilligen Verzicht auf eine Wiederkandidatur für den Bundestag schien das Kapitel Buntenbach abgeschlossen. Und nicht zuletzt in ihrer eigenen Partei waren nicht wenige froh darüber.

Es war nur eine kurze Zeit gewesen, in der Annelie Buntenbach während ihrer politischen Karriere im Scheinwerferlicht gestanden hatte. Aber die hat nachhaltig Spuren hinterlassen. Denn es waren jene historischen Tage nur kurz nach dem Regierungswechsel 1998, an die heute mancher Grüne und manche Sozialdemokratin nicht mehr gerne erinnert wird, weil sie den rot-grünen Sündenfall markierten: die Beteiligung der Bundesrepublik an dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Ex-Jugoslawien. Buntenbach gehörte damals zu jenem kleinen Häuflein grüner Abgeordneter, die weder mit fliegenden Fahnen ins Lager der Bellizisten überwechselten, noch sich unter Verweis auf die Koalitionsräson dazu bringen ließen, wider ihre Überzeugung abzustimmen. Sie sei offenbar "psychisch nicht geeignet" für die Arbeit in einer Regierungskoalition, bescheinigte ihr ein Kollege. Für andere hingegen wurde die in Solingen geborene Tochter eines Schuhmachers und einer Verkäuferin zur friedensbewegten Hoffnungsträgerin: Beinahe über Nacht avancierte die bis dahin eher im Hintergrund stehende linke Flügelfrau zur wichtigen Gegenspielerin der Parteioberen um Joschka Fischer.

Auch auf dem legendären Farbbeutel-Bundesparteitag im Mai 1999 hatte die grüne Basis unter Ausnahmezustandsbedingungen eine Grundsatzentscheidung zu treffen. "Die Entscheidung für den Krieg war nicht alternativlos: der Krieg ist keine Alternative", erinnerte Buntenbach in der Bielefelder Seidenstickerhalle in einer mitreißenden Rede die Delegierten an das bis dahin geltende grüne Wahlprogramm. Vergeblich. Unter tumultartigen Umständen segnete eine Mehrheit den Kurs der Partei- und Fraktionsführung ab und verabschiedete sich damit von einem Gründungskonsens der Grünen.

Buntenbach allerdings blieb unbeirrbar. Eine Erklärung dafür dürfte auch in ihrer Familiengeschichte liegen: Schon ihr Großvater trat aus der SPD aus, als die Sozialdemokraten 1914 den Kriegskrediten zustimmten. Ihr Vater ging in der jungen Bundesrepublik gegen die deutsche Wiederbewaffnung auf die Straße. Sie selbst wurde als Jugendliche durch den Vietnamkrieg politisiert. "Krieg ist zuallererst eine Verletzung von Menschenrechten, ein toter Zivilist eben kein Kollateralschaden", brachte Buntenbach in einem Interview mit dem Freitag im März 2000 ihre Grundüberzeugung auf den Punkt. Da stand ihr der letzte große Streit im Parlament noch bevor: die Entscheidung über die Entsendung deutscher Soldaten im Rahmen von Enduring Freedom, die Bundeskanzler Gerhard Schröder mit der Vertrauensfrage verknüpfte. Trotz enormen Drucks aus den eigenen Reihen verweigerte sich Buntenbach auch diesmal: Als eine von gerade noch insgesamt fünf Abgeordneten aus dem Regierungslager stimmte sie am 16. November 2001 gegen den Bundeswehreinsatz und damit auch gegen Kanzler Schröder. Danach hatte sie innerlich ihr grünes Mandat gekündigt. Frühzeitig erklärte Buntenbach, nicht mehr bei der kommenden Bundestagswahl antreten zu wollen.

Wer Annelie Buntenbach heute zu ihrem Verhältnis zu der Partei fragt, für die sie von 1984 bis 1989 zunächst im Bielefelder Stadtrat und dann von 1994 bis 2002 im Bundestag saß, merkt, wie tief die Narben sind, die die damaligen Auseinandersetzungen hinterlassen haben. Inhaltlich haben die heutigen Grünen und ihre frühere Repräsentantin nicht mehr viel gemeinsam. Nicht nur in ihrer grundsätzlichen Haltung zu Krieg und Frieden. Ausgetreten ist sie trotzdem nicht. Aus Nostalgie? Aus alter Verbundenheit? Sie will es nicht verraten. Der Weg ihrer früheren grünen Anti-Kriegsmitstreiterin Monika Knoche jedenfalls war nicht der ihre: Knoche, Mitgründerin der Öko-Partei und nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag 2002 für den Verdi-Bundesvorstand tätig, verließ Mitte vergangenen Jahres die Grünen, um als Parteilose für die Linkspartei wieder in den Bundestag einzuziehen.

Buntenbach hingegen sitzt nun im geschäftsführenden DGB-Bundesvorstand. Die Wahl der undogmatischen Linken hat das Farbspektrum der DGB-Spitze sichtbar erweitert. Denn bislang stach nur der schwache schwarze Tupfer des nunmehr zum stellvertretenden DGB-Vorsitzenden aufgestiegenen CDU-Mitglieds Ingrid Sehrbrock aus dem SPD-Parteibuchrot der restlichen Vorständler um DGB-Chef Michael Sommer leicht hervor. Mit Buntenbach hält zudem auch mehr Kenntnis über heute weit verbreitete Arbeitsbiografien in die DGB-Chefetage Einzug: Anstatt in einem klassischen Ausbeutungsverhältnis sozialisiert worden zu sein, arbeitete Buntenbach nach Lehramtsstudium und Examen zunächst mehrere Jahre als Setzerin in dem von ihr mitgegründeten, selbst verwalteten grafischen Betrieb "Satzbau" in Bielefeld. Dass sie auch noch dem wissenschaftlichen Beirat des globalisierungskritischen Netzwerks Attac angehört, dürfte darüber hinaus zu einer Entkrampfung des distanzierten Verhältnisses des Gewerkschaftsdachverbandes zu außerparlamentarischen Initiativen beitragen.


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