FRISCHER
WIND IM DGB-VORSTANDAnnelie
Buntenbach, ehemalige Grünen-Politikerin, ließ sich in ihren
friedenspolitischen Grundsätzen nicht beirren
Dass sie
auf dem turbulenten Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes
in Berlin mit einem besseren Ergebnis als DGB-Chef Michael Sommer
abschneiden würde - damit hatte Annelie Buntenbach selbst nicht
gerechnet. Mit einer Zustimmung von 78,8 Prozent wählten die
Delegierten die Arbeitsmarkt- und Sozialexpertin der IG Bauen Agrar
Umwelt (IG BAU) neu in den geschäftsführenden Bundesvorstand. Eine
kleine Kulturrevolution: Mit der 51-jährigen hemdsärmeligen
Bielefelderin sitzt erstmalig eine Grüne in dem erlauchten Gremium.
Als Ende vergangenen Jahres die ersten Gerüchte in der Öffentlichkeit
kursierten, Buntenbach könnte für die altgediente Sozialdemokratin
Ursula Engelen-Kefer in den geschäftsführenden DGB-Bundesvorstand
aufrücken, war das Erstaunen groß. Die frühere grüne
Bundestagsabgeordnete war seit ihrem Ausscheiden aus dem Parlament
2002 aus dem medialen Blickfeld gerückt. Kaum jemand hatte ihren
Wechsel von der politischen Bühne zur Leiterin der Abteilung
Sozialpolitik bei der IG BAU registriert. Mit ihrem freiwilligen
Verzicht auf eine Wiederkandidatur für den Bundestag schien das
Kapitel Buntenbach abgeschlossen. Und nicht zuletzt in ihrer eigenen
Partei waren nicht wenige froh darüber.
Es war nur eine kurze Zeit gewesen, in der Annelie Buntenbach während
ihrer politischen Karriere im Scheinwerferlicht gestanden hatte. Aber
die hat nachhaltig Spuren hinterlassen. Denn es waren jene
historischen Tage nur kurz nach dem Regierungswechsel 1998, an die
heute mancher Grüne und manche Sozialdemokratin nicht mehr gerne
erinnert wird, weil sie den rot-grünen Sündenfall markierten: die
Beteiligung der Bundesrepublik an dem völkerrechtswidrigen
Angriffskrieg gegen Ex-Jugoslawien. Buntenbach gehörte damals zu
jenem kleinen Häuflein grüner Abgeordneter, die weder mit fliegenden
Fahnen ins Lager der Bellizisten überwechselten, noch sich unter
Verweis auf die Koalitionsräson dazu bringen ließen, wider ihre Überzeugung
abzustimmen. Sie sei offenbar "psychisch nicht geeignet" für
die Arbeit in einer Regierungskoalition, bescheinigte ihr ein Kollege.
Für andere hingegen wurde die in Solingen geborene Tochter eines
Schuhmachers und einer Verkäuferin zur friedensbewegten Hoffnungsträgerin:
Beinahe über Nacht avancierte die bis dahin eher im Hintergrund
stehende linke Flügelfrau zur wichtigen Gegenspielerin der
Parteioberen um Joschka Fischer.
Auch auf dem legendären Farbbeutel-Bundesparteitag im Mai 1999 hatte
die grüne Basis unter Ausnahmezustandsbedingungen eine
Grundsatzentscheidung zu treffen. "Die Entscheidung für den
Krieg war nicht alternativlos: der Krieg ist keine Alternative",
erinnerte Buntenbach in der Bielefelder Seidenstickerhalle in einer
mitreißenden Rede die Delegierten an das bis dahin geltende grüne
Wahlprogramm. Vergeblich. Unter tumultartigen Umständen segnete eine
Mehrheit den Kurs der Partei- und Fraktionsführung ab und
verabschiedete sich damit von einem Gründungskonsens der Grünen.
Buntenbach allerdings blieb unbeirrbar. Eine Erklärung dafür dürfte
auch in ihrer Familiengeschichte liegen: Schon ihr Großvater trat aus
der SPD aus, als die Sozialdemokraten 1914 den Kriegskrediten
zustimmten. Ihr Vater ging in der jungen Bundesrepublik gegen die
deutsche Wiederbewaffnung auf die Straße. Sie selbst wurde als
Jugendliche durch den Vietnamkrieg politisiert. "Krieg ist
zuallererst eine Verletzung von Menschenrechten, ein toter Zivilist
eben kein Kollateralschaden", brachte Buntenbach in einem
Interview mit dem Freitag im März 2000 ihre Grundüberzeugung
auf den Punkt. Da stand ihr der letzte große Streit im Parlament noch
bevor: die Entscheidung über die Entsendung deutscher Soldaten im
Rahmen von Enduring Freedom, die Bundeskanzler Gerhard Schröder mit
der Vertrauensfrage verknüpfte. Trotz enormen Drucks aus den eigenen
Reihen verweigerte sich Buntenbach auch diesmal: Als eine von gerade
noch insgesamt fünf Abgeordneten aus dem Regierungslager stimmte sie
am 16. November 2001 gegen den Bundeswehreinsatz und damit auch gegen
Kanzler Schröder. Danach hatte sie innerlich ihr grünes Mandat gekündigt.
Frühzeitig erklärte Buntenbach, nicht mehr bei der kommenden
Bundestagswahl antreten zu wollen.
Wer Annelie Buntenbach heute zu ihrem Verhältnis zu der Partei fragt,
für die sie von 1984 bis 1989 zunächst im Bielefelder Stadtrat und
dann von 1994 bis 2002 im Bundestag saß, merkt, wie tief die Narben
sind, die die damaligen Auseinandersetzungen hinterlassen haben.
Inhaltlich haben die heutigen Grünen und ihre frühere Repräsentantin
nicht mehr viel gemeinsam. Nicht nur in ihrer grundsätzlichen Haltung
zu Krieg und Frieden. Ausgetreten ist sie trotzdem nicht. Aus
Nostalgie? Aus alter Verbundenheit? Sie will es nicht verraten. Der
Weg ihrer früheren grünen Anti-Kriegsmitstreiterin Monika Knoche
jedenfalls war nicht der ihre: Knoche, Mitgründerin der Öko-Partei
und nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag 2002 für den
Verdi-Bundesvorstand tätig, verließ Mitte vergangenen Jahres die Grünen,
um als Parteilose für die Linkspartei wieder in den Bundestag
einzuziehen.
Buntenbach hingegen sitzt nun im geschäftsführenden
DGB-Bundesvorstand. Die Wahl der undogmatischen Linken hat das
Farbspektrum der DGB-Spitze sichtbar erweitert. Denn bislang stach nur
der schwache schwarze Tupfer des nunmehr zum stellvertretenden
DGB-Vorsitzenden aufgestiegenen CDU-Mitglieds Ingrid Sehrbrock aus dem
SPD-Parteibuchrot der restlichen Vorständler um DGB-Chef Michael
Sommer leicht hervor. Mit Buntenbach hält zudem auch mehr Kenntnis über
heute weit verbreitete Arbeitsbiografien in die DGB-Chefetage Einzug:
Anstatt in einem klassischen Ausbeutungsverhältnis sozialisiert
worden zu sein, arbeitete Buntenbach nach Lehramtsstudium und Examen
zunächst mehrere Jahre als Setzerin in dem von ihr mitgegründeten,
selbst verwalteten grafischen Betrieb "Satzbau" in
Bielefeld. Dass sie auch noch dem wissenschaftlichen Beirat des
globalisierungskritischen Netzwerks Attac angehört, dürfte darüber
hinaus zu einer Entkrampfung des distanzierten Verhältnisses des
Gewerkschaftsdachverbandes zu außerparlamentarischen Initiativen
beitragen.