15.11.2006

Startseite
Jungle World

*   Eine Köpenickiade
Von Pascal Beucker

Koalitionsstreit ums Bleiberecht.

Parteizugehörigkeiten haben manchmal etwas Willkürliches. So mancher autoritäre Charakter hat sich nur deshalb irgendwann einmal in die SPD verirrt, weil er zufällig in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen ist und es dort bis vor kurzem noch der Karriere dienlich war, von sich zu behaupten, Sozialdemokrat zu sein. In Baden-Württemberg hingegen wäre derselbe Mensch selbstverständlich Mitglied der CDU geworden. Manchmal treffen sich solche Leute später in einer Großen Koalition. Was allerdings dann nicht ganz unkompliziert ist. Denn dort müssen dieser und jener so tun, als bestünden zwischen ihnen ernsthafte politische Differenzen. Vor der Innenministerkonferenz führen Franz Müntefering und Wolfgang Schäuble dieses Schauspiel auf. Es könnte lustig sein, wenn es dabei nicht um Menschen ginge, die die Leidtragenden dieser schmierigen Aufführung sein werden.

Ihre Unterscheidbarkeit versuchen der sozialdemokratische Bundesarbeits- und Sozialminister und der christdemokratische Bundesinnenminister ausgerechnet an der Frage des Umgangs mit nur geduldeten, jedoch nicht anerkannten Flüchtlingen zu veranschaulichen. Der eine will ihnen eine Arbeitserlaubnis nur dann zugestehen, wenn sie eine Aufenthaltserlaubnis besitzen. Der andere hingegen will Flüchtlingen nur eine Aufenthaltserlaubnis gewähren, wenn sie einer Erwerbsarbeit nachgehen. Irgendwie erinnert das an den Teufelskreis des legendären Hauptmanns von Köpenick, der einst vor dem Problem stand, ohne Arbeit keine Wohnung und ohne Wohnung keine Arbeit zu bekommen. Es ist ein bizarrer, ein perverser Streit, der um ein Bleiberecht für die insgesamt über 186 000 geduldeten Flüchtlinge, von denen etwa 120 000 schon länger als fünf Jahre in permanenter Unsicherheit in Deutschland leben, ausgetragen wird.

Müntefering ist besorgt um seine Arbeitslosenstatistik. Deswegen ist er nur für eine »einmalige Altfallregelung« für »gut integrierte Ausländer«, die »für den deutschen Arbeitsmarkt verkraftbar ist«. Ferner schlägt er vor, geduldeten Flüchtlingen, die vor dem 1. Januar 2000 in die BRD eingereist sind, eine befristete Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre zu geben. Ein rein taktischer Vorschlag, denn der frühere SPD-Chef weiß: Genau das wollen Schäuble und die Union explizit nicht.

Denn erhielten Langzeitgeduldete eine solche Aufenthaltserlaubnis, bekämen sie auch bessere Rechtsschutzmöglichkeiten. So treten denn auch einige Unionsinnenministerien demgegenüber für eine »privilegierte Duldung« ein, die zwar die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit möglich macht – aber auch eine Abschiebung. Nicht nur Müntefering argumentiert tricky, Schäuble hält mit: An den »lieben Franz« schrieb er, er wolle »allen Geduldeten, Asylbewerbern in laufenden Verfahren und Bürgerkriegsflüchtlingen (…) den Arbeitsmarkt ohne Vorrangprüfung eröffnen«.

Klingt klasse, überholt Schäuble jetzt Müntefering von links? Leider nicht. Denn sein Vorschlag hat einen Haken – und zwar einen großen; vor allem für jene Flüchtlinge, die trotzdem keine Erwerbsarbeit finden können. Bisher erhalten geduldete Ausländer drei Jahre lang verminderte Bezüge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, danach die höhere Sozialhilfe. Nach dem Vorschlag Schäubles entfällt diese Anhebung der Leistungen. Nun ja, auch in diesem »Koalitionsstreit« wird sich ein Kompromiss finden lassen. Der Dissens ist ja auch nicht so grundsätzlich. Mit einer humanen Flüchtlingspolitik hat schließlich keiner der beiden etwas im Sinn.


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.