24.01.2006

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taz

*   Man spricht Deutsch
Von Kerstin Speckner, Georg Löwisch und Pascal Beucker 

Auf einem Schulhof in Berlin dürfen die Schüler nur noch Deutsch sprechen - und die finden das in Ordnung so. Die Lehrergewerkschaft aber protestiert.

Jutta Steinkamp ist eine geduldige Schulleiterin. Ihr ist nicht anzumerken, ob sie genervt ist. Darüber, dass die türkische Zeitung Hürriyet ihre Schule der Diskriminierung bezichtigt. Oder dass sie an diesem Tag in der Bild Thema war - zwischen einer verschollenen Seiltänzerin und einem bibbernden Elefantenbaby. Steinkamp, Lehrerin für Englisch, Geschichte und katholische Religionslehre, sagt: "Ich habe noch nichts Schlechtes von meinen Schülern darüber gehört."

Sie meint das Deutschgebot in ihrer Berliner Herbert-Hoover-Oberschule. Keiner darf auch in den Pausen und auf Klassenfahrten eine andere Sprache als Deutsch sprechen - das steht in der Hausordnung, die Schülerinnen und Schüler unterschreiben mussten. "Ein Verstoß gegen das Grundgesetz", urteilt der Berliner Grünen-Politiker Öscan Mutlu empört. Und die stellvertretende Bundesvorsitzende der Lehrergewerkschaft (GEW), Marianne Demmer, findet so ein Verbot "mindestens so kontraproduktiv wie den Einbürgerungsleitfaden aus Baden-Württemberg".

Eigentlich ist das Deutschgebot schon vor 18 Monaten beschlossen worden. Doch nun empfiehlt Berlins Bildungssenator Klaus Böger (SPD) seinen Schulen ausdrücklich, andere Sprachen im Schulalltag ebenfalls zu verbieten (siehe Interview).

Die Hausordnung

In der Hausordnung der Schule im Berliner Stadtteil Wedding steht: "Die Schulsprache unserer Schule ist Deutsch, die Amtssprache der Bundesrepublik Deutschland. Jeder Schüler ist verpflichtet, sich im Geltungsbereich der Hausordnung nur in dieser Sprache zu verständigen."

Tatsächlich ist für die meisten der 366 Schüler Deutsch nicht die Muttersprache: 281 haben keinen deutschen Pass. Die größten Gruppen stellen Türken und Libanesen. Auch sie haben als Eltern- und Schülersprecher in der Schulkonferenz die neue Regel mit beschlossen. Schulleiterin Steinkamp sagt, gerade den Zehntklässlern sei klar, dass sie ohne ausreichende Deutschkenntnisse keinen Ausbildungsplatz bekämen und auf dem Arbeitsmarkt keine Chance hätten.

Penibel durchgesetzt wird das Verbot nicht, und es gibt auch keine Strafen. In der Pause, räumt Steinkamp ein, werde nicht nur Deutsch gesprochen. "Wenn ein Lehrer an einer Gruppe vorbeigeht, die Türkisch spricht, sagt er, sie sollen Deutsch sprechen", berichtet Steinkamp, "wenn der Lehrer weitergeht, wird auch wieder Türkisch gesprochen."

Als Indiz für die Akzeptanz des Programms wertet Steinkamp die vielen Anmeldungen an ihrer Schule: "Wir hatten im letzten Jahr den größten Zulauf im Bezirk Mitte." Dass die Sprachverpflichtung die Deutschkenntnisse der Schüler verbessert, glaubt sie schon. Allerdings nur im Zusammenwirken mit dem Schulprogramm. Die Schule ist Schwerpunktschule für Deutsch: Die Schüler haben mehr Deutschunterricht als an anderen Schulen. Der Unterricht findet in Kleingruppen statt.

Deutschförderung mit Fremdsprachverbot - Lehrer- und Elternvertreter halten das nicht für ein nachahmenswertes Modell. Wilfried Steinert, Vorsitzender des Bundeselternrates, einer Dachorganisation aller Elternsprecher, fürchtet, dass ein Verbot der Muttersprache den Kindern ein Stück Identität nimmt. "Durch so einen Zwang wird nur diskriminiert: Wer nicht Deutsch spricht, entspricht nicht der Norm." Das glaubt auch GEW-Vizechefin Demmer: "Niemand hätte etwas dagegen, wenn sich die Schüler auf Englisch unterhalten."

Elternsprecher Steinert, der selbst Schulleiter in Brandenburg ist, sagt, wer Integration erreichen wolle, müsse für die Migrantenkinder Bereiche schaffen, in denen sie mit ihrer Muttersprache ernst genommen würden. Und Marianne Demmer von der GEW meint, die Menschen in Deutschland müssten sich daran gewöhnen, dass sie in einer mehrsprachigen Gesellschaft lebten. "Es ist gut, wenn Jugendliche mehrsprachig aufwachsen. Das über Verbote erreichen zu wollen ist pädagogisch falsch."

Andere Elternvertreter begrüßen nur die Grundidee: Ansatz gut, Umsetzung falsch. Die Vereinbarung, Deutsch zu sprechen, gehöre eher in ein Leitbild der Schule und nicht in die Hausordnung. "Eine Hausordnung ist verbindlich einzuhalten", sagt Christiane Staab aus Karlsruhe. Sie ist Landeselternbeirats-Vorsitzende in Baden-Württemberg. "Wenn sie die zur Selbstverpflichtung machen, wird sie ausgehöhlt."

Rot-roter Streit

In Berlin könnte das Sprachverbot an Jutta Steinkamps Schule zum Streit in der rot-roten Koalition führen. "Das provoziert die Jugendlichen", sagt die PDS-Politikerin Evrim Baba. Sogar der SPD-Migrationspolitiker Thomas Kleineidam spricht von "billiger Alibipolitik."

Bisher sind keine Nachahmer bekannt. Nur in Ostwestfalen gab es schon ein paar Schulleitungen, die Ähnliches einführen wollten. Das Düsseldorfer Kultusministeriums, sagt ein Sprecher, habe die Rektoren "dahin gehend beraten", die Verbote sein zu lassen. Sie seien "keine geeignete Form der Integration".


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