Die Grünen
üben sich auf ihrem Landesparteitag in Harmonie. Ihre doppelte
Wahlniederlage will niemand erforschen. "Entscheidend ist auf dem
Platz", so die neue Vorsitzende Schneckenburger.
Da soll noch jemand
sagen, die Grünen hätten keine Hoffnungsträger mehr. Zumindest
einen gibt es noch. Arnold Cassola heißt er. Nach dem verlorenen
Superwahljahr 2005 ist er nun der einzig verbliebene grüne Wahlkämpfer
in Nordrhein-Westfalen. Entsprechend groß war der Applaus für ihn am
Samstag auf der Landesdelegiertenkonferenz der nordrhein-westfälischen
Grünen in Essen.
Cassola hofft, Mitte
April das gewinnen zu können, was die bisherige Doppelspitze des
Landesverbandes, Frithjof Schmidt und Britta Haßelmann, bereits hat:
ein Parlamentsmandat. Allerdings will der aus Malta stammende
Generalsekretär der europäischen Grünen seins für das italienische
Abgeordnetenhaus erhalten. Dafür wirbt Cassola nun auch um die
Stimmen der 120.000 in Nordrhein-Westfalen lebenden Italienerinnen und
Italiener. Denn der 52-jährige Literaturprofessor kandidiert als
einziger Grüner auf der Liste des Mitte-Links-Bündnisses Unione von
Romani Prodi im - das italienische Wahlrecht macht's möglich -
Wahlkreis Europa.
Cassolas Auftritt war
einer der spärlichen Höhepunkte einer Versammlung, die sich
ansonsten durch gepflegte Langeweile auszeichnete. Denn die Grünen an
Rhein und Ruhr machen derzeit auf Harmonie. Inhaltliche Kontroversen,
gar Streit - Fehlanzeige. Bereits die beiden scheidenden Vorsitzenden
Schmidt und Haßelmann - der eine setzt seine politische Karriere im
Europaparlament, die andere im Bundestag fort - verzichteten in ihren
Abschiedsreden zu Beginn des eintägigen Parteitags geflissentlich auf
eine kritische Bestandsaufnahme. Dabei wäre es interessant gewesen zu
erfahren, welche Erklärung die beiden dafür haben, dass sich in
ihrer sechsjährigen Amtszeit die NRW-Grünen von zuvor zehn Prozent
bei der Landtagswahl 1995 in zwei Pleiteurnengängen 2000 und 2005 auf
nur noch 6,2 Prozent abgebaut haben.
Aber nicht
Selbstkritik, sondern Selbstvergewisserung war an diesem Tag im
Essener Congress-Centrum angesagt. So kaprizierten sich denn auch fast
alle Rednerinnen und Redner in der anschließenden politischen
Aussprache darauf, nur das Tagungsmotto "NRW braucht Opposition -
NRW braucht Grün" in allen möglichen Varianten rhetorisch zu
untermauern. Zum Beispiel Sylvia Löhrmann. "NRW wird richtig
mies regiert", rief die grüne Landtagsfraktionschefin unter großem
Applaus in den Saal. "Das können wir besser." Nur blöd,
dass ein Großteil der Wählerinnen und Wähler den ersten Satz auch
schon vor der letzten Landtagswahl für gültig hielt, weswegen sie
die Grünen lieber in die Opposition verbannte.
Es blieb dem Münsteraner
Landtagsabgeordneten Rüdiger Sagel vorbehalten, in der Debatte als
einziger vorsichtig darauf hinzuweisen, der Machtverlust in Düsseldorf
und auch Berlin könnte auch hausgemachte Ursachen haben. "Wir müssen
feststellen, dass wir in den vergangenen Jahren auch Fehler gemacht
haben, die wir nicht allein der SPD in die Schuhe schieben können",
sagte er. Um nicht in Verdacht der übermäßigen Nestbeschmutzung zu
kommen, beschränkte sich Sagel dann jedoch in der Fehlersuche auf die
Bundespolitik. Dort hätten Grünen beispielsweise mit ihrer
Zustimmung zu den Hartz-IV-Reformen eine "entscheidend falsche
Politik gemacht". Auch in ihrer neuen Oppositionsrolle im
Spannungsfeld zwischen FDP und Linkspartei würden die Grünen kein
besonders glückliches Bild abgeben, kritisierte Sagel weiter:
"Von einer quicklebendigen Opposition" sei gegenwärtig
"nichts zu spüren". Da war er sich dann immerhin wieder mit
den restlichen Anwesenden herzlich einig. Aber Berlin ist ja auch weit
weg.
Es ist unübersehbar:
Die Grünen sind in einer Formkrise - im Bund und im Land. Sie müssen
ihre neue Aufgabe erst wieder erlernen: "Jetzt ist sehr klare und
harte Oppositionspolitik angesagt" - so leicht der Satz auch Bärbel
Höhn, der informellen Ehrenvorsitzenden der NRW-Grünen, über die
Lippen ging, so schwer ist er in der Praxis glaubwürdig für die in
der Regierungsverantwortung reichlich abgenutzte Partei umzusetzen.
Besonders schmerzen die Grünen dabei jedoch die zahlreichen Abgesänge,
mit denen sie sich mittlerweile konfrontiert sehen. Die Grünen -
Schnee von gestern? "In den meisten Fällen ist der Schnee von
gestern die Lawine von morgen", versuchte das neu gewählte
Landesvorstandsmitglied Ernst-Christoph Stolper geradezu trotzig den
Delegierten Mut zu machen.
Die neue Doppelspitze
Arndt Klocke und Daniela Schneckenburger steht vor keiner
beneidenswerten Aufgabe. Auch sie beschränkten sich in ihren
Bewerbungsreden weitgehend darauf, den politischen Gegner schwach und
die eigene Partei stark zu reden. Gleichwohl versprachen der 35-jährige
Kölner "Realo", der ohne Gegenkandidat 71,7 Prozent der
Stimmen erhielt, und die 46-jährige Dortmunder "Linke", die
sich in einer Kampfabstimmung mit 75,3 Prozent deutlich gegen ihre
Gegenkandidatin Reinhild Hugenroth durchsetzen konnte, die Landesgrünen
inhaltlich neu aufstellen zu wollen. Besonders ginge es jetzt darum,
"unser wirtschafts- und sozialpolitisches Profil zu schärfen"
und "in ein kommunizierbares Gesamtkonzept einzubinden", kündigte
Schneckenburger an. Außerdem solle "die Öffnung der Partei nach
außen, in die Gesellschaft hinein" verstärkt werden.
Darüber hinaus hatte
die nach eigenem Bekunden "gelegentliche Besucherin des
Westfalenstadions" den Delegierten auch noch eine alte Fußballweisheit
zu bieten: "Grau ist alle Theorie, entscheidend ist auf dem
Platz." Das stimmt. Seit diesem Wochenende ist das Spiel für
Klocke und Schneckenburger angepfiffen. Es wird sich erst noch zeigen
müssen, ob die beiden auf ihrem neuen Platz an der Spitze der NRW-Grünen
keine politischen Rumpelfüßler sind.