08.05.2006

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*   Volksinitiativen begehren mehr
Von Pascal Beucker und Natalie Wiesmann
Weil sie mit dem Erfolg der Volksinitiativen nicht zufrieden sind, planen Vertreter der Kinder- und Jugendarbeit ein Volksbegehren. Der Verein "Mehr Demokratie" zweifelt an dessen Zulässigkeit.

Die Kinder- und Jugendlobby in Nordrhein-Westfalen will weiter für mehr Landesgelder in Kindergärten und Jugendeinrichtungen kämpfen. "Wir denken ernsthaft über ein Volksbegehren nach", sagt Norbert Kozicki von der Volksinitiative "Jugend braucht Zukunft!". Auch die Organisatoren der Volksinitiative "NRW 2006" wollen einen Schritt weitergehen: "Ich wünsche mir, dass wir ein Volksbegehren zustande bekommen", sagt Sprecher Dieter Greese.

Obwohl die beiden Volksinitiativen gemeinsam etwa eine halbe Million Proteststimmen (siehe unten) gesammelt haben, hält sich ihr politischer Erfolg in Grenzen: Schwarz-Gelb hat kurz vor Verabschiedung des Haushalts einen Sondertopf in Höhe von 40 Millionen Euro für Kindergärten und 4,5 Millionen für die Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten eingerichtet. Ein schwacher Trost, findet Norbert Kozicki: "Das sind Sondergelder, die im kommenden Jahr nicht gesichert sind."

Sicher sind aber die regulären Einsparungen: Insgesamt werden im laufenden Jahr bei den Kindergärten, Beratungsstellen und in der Familienbildung etwa 200 Millionen Euro gestrichen. Der Etat für die offene Kinder- und Jugendarbeit wird nicht wie zuvor versprochen auf 96 Millionen Euro erhöht, sondern bei 75 Millionen Euro eingefroren. Dazu kommt, dass CDU-Finanzminister Helmut Linssen im kommenden Jahr weitere 600 Millionen Euro einsparen will.

Dass die Volksinitiativler mobilisieren können, haben sie durch die Unterschriftensammlungen der vergangenen Monate bewiesen. Für ein Volksbegehren benötigen sie allerdings eine Million Proteststimmen. "Wir hoffen auf die Unterstützung der großen Wohlfahrtsverbände und der Gewerkschaften", so Kozicki.

Das anvisierte Begehren könnte allerdings schon daran scheitern, dass es nicht zugelassen wird - auch wenn die grüne Landtagsfraktionschefin Sylvia Löhrmann via Rheinische Post umgehend die Unterstützung ihrer Partei bekundete. Die Reaktion der Landesregierung folgte prompt: "Die rechtlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines solchen Volksbegehrens liegen nicht vor", erklärte Regierungssprecher Thomas Kemper und forderte die Grünen auf, sie "sollten zu einer seriösen Politik zurückkehren".

Tatsächlich schließt die nordrhein-westfälische Landesverfassung Volksbegehren über Finanzfragen kategorisch aus - und um die geht es den Volksinitiativlern. Auch Versuche, dieses Problem mit Formulierungstricks - beispielsweise Stellen statt Mittel festschreiben zu wollen - zu umgehen, hält Daniel Schily, Landesgeschäftsführer von Mehr Demokratie e.V., für nicht erfolgsversprechend: "Das wird vor Gericht scheitern", ist er überzeugt. Schily hat die beiden Volksinitiativen beratend begleitet, warnt die Initiatoren jedoch jetzt davor, ein absehbar unzulässiges Volksbegehren nur zur Erhöhung des politischen Drucks einzuleiten: "Man sollte solche Demokratieinstrumente sehr ehrlich handhaben." Gleichzeitig betonte er, dass sich Mehr Demokratie bereits seit längerem die thematische Einengung von Volksbegehren auf nicht finanzrelevante Fragen beklagt und fordert, den gesetzlichen Spielraum auszuweiten.


Wie das NRW-Volk sich einmischen kann

Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid: Wie viele Stimmen werden benötigt, wie sind die Erfolgschancen

Wie viele Stimmen benötigt eine Volksinitiative?

Eine Volksinitiative muss von mindestens 0,5 Prozent der in NRW lebenden volljährigen deutschen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen unterzeichnet sein, zur Zeit also von rund 66.000 Personen. Das Instrument wurde 2002 vom damals rot-grün dominierten Landtag eingeführt. Seit neuestem müssen Unterstützer nicht mehr auf ein städtisches Amt, um zu unterschreiben.

Was passiert, wenn eine Volksinitiative genügend Unterschriften gesammelt hat?

Der Landtag muss sich binnen sechs Monaten mit dem Anliegen der Initiative befassen - aber nicht unbedingt dem Anliegen entsprechen.

Welche Möglichkeiten haben die Initiatoren einer erfolgreichen Volksinitiative, wenn der Landtag ihr Begehren abschmettert?

Sie können ein Volksbegehren einleiten. Die Hürden sind hier allerdings höher: Ein Volksbegehren, dem ein ausgearbeiteter und begründeter Gesetzentwurf zugrunde liegen muss, bedarf der Unterstützung von mindestens 8 Prozent der Stimmberechtigten, also rund einer Million Menschen. Zur Stimmabgabe müssen sich die Unterschreiber in ein städtisches Amt begeben. Ein Volksbegehren ist nicht zulässig über Finanzfragen, Abgabengesetze und Besoldungsordnungen. Ist ein Volksbegehren erfolgreich und der Landtag folgt dem Anliegen nicht, kommt es zum Volksentscheid. Hier entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sofern sich mindestens 15 Prozent der Stimmberechtigten (rund 2 Millionen Menschen) entsprechend entschieden haben.

Wie viele Volksinitiativen hat es bisher in NRW gegeben?

Insgesamt sechs. Die erste richtete sich gegen den Bau von forensischen Kliniken. Sie scheitere jedoch 2003 - deutlich - an der Unterschriftenhürde. Die zweite Volksinitiative war hingegen erfolgreich: 2004 erreichte "Jugend braucht Zukunft" die Verabschiedung eines Jugendfördergesetzes. Auch die dritte war ein Erfolg: Kurz vor der Landtagswahl 2005 beschloss der Landtag nach einer Volksinitiative des Steuerzahlerbundes eine Reform der Diätenbezüge. Die Volksinitiative "Videosonntag" schaffte es zwar, über 120.000 Unterschriften dafür zu sammeln, dass Videotheken in NRW auch an Sonn- und Feiertagen öffnen dürfen. Aber den Landtag überzeugte sie damit nicht: Im Januar 2006 lehnte das Parlament die Volksinitiative gegen die Stimmen der FDP ab. Derzeit muss sich der Landtag mit der erneuerten Volksinitiative "Jugend braucht Vertrauen!" und der "Volksinitiative NRW 2006" befassen: Die eine übergab am 6. April 100.917, die andere am 3. Mai 183.312 amtlich bestätigte Unterschriften. Gemeinsam mit den Stimmen, die zum Zeitpunkt der Übergabe noch nicht ausgezählt waren, haben die Organisatoren etwa eine halbe Millionen Stimmen gesammelt.


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