24.11.2006

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*   Die alltägliche Gewalt
Von Pascal Beucker und Andreas Wyputta
Nach brutalem Mord in der JVA Siegburg räumt CDU-Landesjustizministerin Müller-Piepenkötter Untätigkeit ihrer Beamten ein. Opposition fordert im Rechtsausschuss des Landtags erneut Rücktritt.

CDU-Landesjustizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter wusste bereits seit über einem Jahr von Gewalttaten in Nordrhein-Westfalens Gefängnissen. "Ich habe direkt nach Amtsantritt von solchen Vorfällen gehört", musste Müller-Piepenkötter gestern bei einer Sondersitzung des Rechtsausschusses des Düsseldorfer Landtags einräumen. Dennoch gebe es weder in NRW noch in anderen Bundesländern "ein Handlungskonzept, dass sich bewährt hat". Sie habe bei ihren Mitarbeitern zwar Strategien angemahnt, die verhindern sollten, dass Häftlinge Mitgefangene misshandeln. Die Beamten aber hätten keinen Rat gewusst: "Eine klare Antwort gab es nicht."

Die SPD-Landtagsfraktion wollte mit der Sondersitzung, die bei Redaktionsschluss noch andauerte, ihre Rücktrittsforderung gegenüber Müller-Piepenkötter untermauern. Hintergrund ist der Mord an einem Jugendlichen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Siegburg. Der 20-Jährige aus Leverkusen war von drei Mitgefangenen, mit denen er seine Zelle teilen musste, vor knapp zwei Wochen über zwölf Stunden brutal gefoltert, vergewaltigt und anschließend erhängt worden. Das alarmierte Gefängnispersonal war nicht eingeschritten: Wärter glaubten, der Bewusstlose schlafe.

Dabei war es in der JVA Siegburg immer wieder zu Misshandlungen von Häftlingen gekommen. Vor dem Rechtsausschuss musste Müller-Piepenkötter sechs Fälle allein in den Jahren 2004 bis 2006 einräumen. Über 50 Mal habe es Beschwerden über die Gefängnisleitung gegeben.

Besonders unter Druck gerät Müller-Piepenkötter wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts: Das hatte im Sommer entschieden, jugendliche Straftäter müssten während der Haft besonders geschützt werden. Geklagt hatte ausgerechnet ein in der JVA Siegburg einsitzender Häftling. Die Ministerin hatte daraufhin getönt, die "Praxis des Jugendstrafvollzugs" werde "in Nordrhein-Westfalen schon heute den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerecht." SPD-Fraktionsvize Ralf Jäger kritisierte, Müller-Piepenkötter habe nur die Illusion von Sicherheit erzeugt: "Wenn man wegen eines solchen Falles nicht zurücktritt, braucht nie wieder ein Politiker zurücktreten" so Jäger zur taz. Auch der Grüne Johannes Remmel forderte den Rücktritt Müller-Piepenkötters: Sie sei "dem Amt nicht gewachsen".

Die unsicher wirkende Ministerin verwies daraufhin auf ein erstes Maßnahmenpaket, das Situation in den NRW-Gefängnissen entspannen soll. Dazu gehört, das Gefängnispersonal um insgesamt 330 Stellen aufzustocken. Nachdem Müller-Piepenkötter bereits alle Dreier- und Vierer-Zellen hat abschaffen lassen, sollen in diesem und dem kommenden Jahr 890 neue Haftplätze geschaffen werden. Von der taz angesprochen, lehnte sie einen Rücktritt aber mit einem knappen "Nein" ab.


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