Am
Wochenende treffen sich die Grünen zu ihrem Bundesparteitag in
Köln. In den Umfragen stehen sie zwar gut dar, aber mit ihrer
nicht mehr ganz so neuen Rolle als Opposition in Düsseldorf und
Berlin haben sie immer noch zu kämpfen.
Beide kommen aus Münster,
beide wollen auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen an
diesem Wochenende in Köln groß herauskommen. Doch ansonsten
verbindet den 51-jährigen Rüdiger Sagel, der gerne in den
Bundesparteirat einziehen würde, und den 22-jährigen
Bundesvorstandskandidaten Malte Spitz nicht viel miteinander.
Der eine stieß bereits zu Zeiten der Bonner Republik über
die sozialen Bewegungen zu den Grünen und sitzt seit 1998 im
NRW-Landtag. Rüdiger Sagel bezeichnet sich selbst als
"Urgrünen" und ist einer der letzten linken Dinosaurier, die in
der Partei überlebt haben. Seiner Kandidatur räumt er nur
eine "Außenseiterchance" ein. Aber die will er nutzen: "Es kann
nicht angehen, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr, wie zuletzt
beim Libanoneinsatz, ohne Gegenstimmen im Parteirat die Zustimmung der
Grünen finden, obwohl es nicht nur in der Partei eine große
Ablehnung gibt."
Der andere trat 2001 ein, war bereits zwei Jahre später im
Bundesvorstand der Grünen Jugend und ist seit 2004 -
ehrenamtlicher - politischer Geschäftsführer des
Parteinachwuchses. Malte Spitz wirbt in seiner Bewerbung für eine
"grüne Marktwirtschaft". Denn das ist gerade in der Partei en
vogue. Ansonsten vermeidet er eindeutigere inhaltliche
Positionierungen, mit denen er irgendwo anecken könnte. Ihm
dürfte noch eine strahlende politische Karriere bevorstehen. Zwei
Seiten einer Partei im Selbstfindungsprozess.
Ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei - das waren
einmal jene vier "Säulen", die den Gründungskonsens der
Grünen markierten. Bereits in den Jahren der Vorbereitung auf die
Regierungsbeteiligungen in Düsseldorf und Berlin begannen sie
kräftig zu bröckeln. Heute, nach der Zwangsbeendigung der
rot-grünen Feldversuche, stehen nur noch Ruinen. "Das Bestreben,
nirgends anzuecken, ist nicht nur unzeitgemäß, es macht die
Grünen auch grau", hat Reinhard Loske seine Partei auf deren
"Zukunftskongress" Anfang September gewarnt. Die Grünen
hätten "politische Ausstrahlung eingebüßt", selbst nach
dem Machtverlust würden viele Positionen "noch sehr nach
staatstragendem Mainstream klingen", konstatierte der "Realo" Loske,
auch er ein "Urgrüner". Im Frühjahr war er mit lautem
Getöse von seinem Amt als Vizechef der grünen
Bundestagsfraktion zurückgetreten ("Als Ökologe fühlt
man sich bei den Grünen mittlerweile ziemlich einsam"). Auch der
streitbare Ökologe kandidiert jetzt für den Parteirat.
"Selbstgefälligkeit wäre ein großer Fehler", mahnt er
und plädiert dafür, "dass wir die rot-grüne
Vergangenheit realistisch aufarbeiten". Neben Sagel und Loske
kandidieren aus Nordrhein-Westfalen auch noch die
Bundestagsabgeordneten Bärbel Höhn, Markus Kurth und Volker
Beck für den Parteirat. Das dürfte eng werden. Denn der
Parteirat besteht neben den beiden Bundesvorsitzenden und der
Geschäftsführerin nur noch aus 13 weiteren Mitgliedern.
"Höchstens vier aus NRW werden es schaffen", sagt ein Insider.
Seit ihrem annus horribilis 2005 befinden sich die Grünen sowohl
in Nordrhein-Westfalen als auch im Bund in einem merkwürdig
indifferenten Zustand. Einerseits kämpfen sie immer noch mit der
ihnen ungewohnten Rolle als Oppositionspartei und leiden sichtbar
darunter, nicht mehr so gefragt zu sein wie früher. In den
Umfragen zeigen sie sich jedoch erstaunlich stabil: Bundesweit konstant
bei etwa zehn Prozent - und damit deutlich über ihrem
Bundestagswahlergebnis. In NRW liegt die Partei bei etwa acht Prozent,
also ebenfalls gegenüber der vergangenen Landtagswahl deutlich
verbessert. Auch wenn die grüne Partei im Osten der Republik nach
wie vor große Probleme habe, so werde sie im Westen "von einer
durch die 68er-Zeit sehr stark geprägten linkslibertären
Kultur-Bourgeoisie getragen", analysiert der Göttinger Professor
für Parteienforschung, Franz Walter. Die Wähler der
Grünen "genießen Rheingau-Riesling und gehen in exquisite
Kinofilme. Mit den Reformprozessen der letzten Jahre haben sie
eigentlich keine Probleme", so Walter in einem Interview Mitte November
in der Welt.
Die "Idee des Monats" der nordrhein-westfälischen Grünen:
"Ruft bei einem Infostand - das Thema könnt ihr beliebig
wählen - die Aktion ,Jetzt Mitglied werden' aus." Diejenigen, die
sich direkt für eine Mitgliedschaft entschieden, so empfiehlt der
Landesverband seinen Orts- und Kreisverbänden, sollten ein
Willkommensgeschenk erhalten. Beispielsweise das Buch "Einfach die Welt
verändern - 50 kleine Ideen mit großer Wirkung". Wenn man
selbst schon keine mehr hat ...
Die grüne Partei profitiere derzeit vom Versagen der Großen
Koalition, sagt Reinhard Loske. Schneller als erwartet würde sie
"als Funktionspartei umworben". Eine Partei in einer
Übergangsperiode: "Noch sind die Grünen machtlos, aber sie
spüren bereits, dass sie bald ein gefragter Partner bei Union und
SPD sein werden", so der Parteienforscher Walter.
In Berlin haben die Planungen für die Zeit nach Schwarz-Rot
bereits begonnen. Der aus NRW stammende Parlamentarische
Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Norbert
Röttgen formulierte es in diesem Monat in einem Aufsatz in der Zeit
so: "Wenn die Union ihre Regierungsfähigkeit sichern will, kann
sie daher einer Frage gar nicht ausweichen: Wäre eine
schwarz-grüne Bundesregierung eine zeitgemäße Antwort
auf diese Herausforderung?"
Dies müsse, so Röttgen, anhand der parlamentarischen
Einlassungen sowie der programmatischen und personellen Entwicklung der
Grünen "nüchtern bewertet werden". Und er kommt zu einer
insgesamt positiven Bewertung: "Das gesamte Gebiet der Wirtschafts-,
Sozial-, Haushalts- und Finanzpolitik haben die Grünen - im
Unterschied zur SPD - inzwischen tabufrei gestellt." Zwar bleibe die
Atomenergie noch ein rot-grünes Tabu, "allerdings auf der Basis
einer gesellschaftlichen Mehrheit". Auf dem Gebiet der inneren
Sicherheit hingegen hätten die Grünen "Otto Schily weniger
verwehrt als die FDP den damaligen CDU-Innenministern".
Am bemerkenswertesten sei jedoch das unterschiedliche Verhalten von FDP
und Grünen in der Außenpolitik: "Während die FDP dem
kriegsbeendenden Einsatz der Bundeswehr im Libanon nicht nur nicht
zugestimmt hat, sondern diesen Einsatz nunmehr auch mit
parlamentarischen Mitteln parteipolitisch zu skandalisieren versucht,
haben sich die Grünen, die als pazifistische Partei gestartet
sind, gegen ein parteitaktisches Nein entschieden und sich
verantwortungsvoll für den Einsatz und eine
selbstverständliche kritische parlamentarische Begleitung
ausgesprochen."
Röttgens Fazit: "Heute landet man unweigerlich bei den
Wählerschichten von CDU und Grünen, will man erfassen, was
neues Bürgertum und neue Bürgerlichkeit ausmachen." Es sei
nicht zu erwarten, "dass das, was in der Gesellschaft zusammenkommt,
politisch auf Dauer getrennt bleibt".
Aber das ist noch Zukunftsmusik. Der grüne Alltag ist trister. Ein
Antrag von Münsteranern zur Bundesdelegiertenkonferenz: "Der
Bundesvorstand wird aufgefordert, in den nächsten Wahlkämpfen
darauf zu achten, dass Give-Aways sowie andere Materialien
ökologisch hergestellt werden und Verpackungsmüll vermieden
wird." Ja, die Mühen der Ebenen.
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