30.11.2006

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*   Die Mühen der Ebenen
Von Pascal Beucker
Am Wochenende treffen sich die Grünen zu ihrem Bundesparteitag in Köln. In den Umfragen stehen sie zwar gut dar, aber mit ihrer nicht mehr ganz so neuen Rolle als Opposition in Düsseldorf und Berlin haben sie immer noch zu kämpfen.

Beide kommen aus Münster, beide wollen auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen an diesem Wochenende in Köln groß herauskommen. Doch ansonsten verbindet den 51-jährigen Rüdiger Sagel, der gerne in den Bundesparteirat einziehen würde, und den 22-jährigen Bundesvorstandskandidaten Malte Spitz nicht viel miteinander.

Der eine stieß bereits zu Zeiten der Bonner Republik über die sozialen Bewegungen zu den Grünen und sitzt seit 1998 im NRW-Landtag. Rüdiger Sagel bezeichnet sich selbst als "Urgrünen" und ist einer der letzten linken Dinosaurier, die in der Partei überlebt haben. Seiner Kandidatur räumt er nur eine "Außenseiterchance" ein. Aber die will er nutzen: "Es kann nicht angehen, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr, wie zuletzt beim Libanoneinsatz, ohne Gegenstimmen im Parteirat die Zustimmung der Grünen finden, obwohl es nicht nur in der Partei eine große Ablehnung gibt."

Der andere trat 2001 ein, war bereits zwei Jahre später im Bundesvorstand der Grünen Jugend und ist seit 2004 - ehrenamtlicher - politischer Geschäftsführer des Parteinachwuchses. Malte Spitz wirbt in seiner Bewerbung für eine "grüne Marktwirtschaft". Denn das ist gerade in der Partei en vogue. Ansonsten vermeidet er eindeutigere inhaltliche Positionierungen, mit denen er irgendwo anecken könnte. Ihm dürfte noch eine strahlende politische Karriere bevorstehen. Zwei Seiten einer Partei im Selbstfindungsprozess.

Ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei - das waren einmal jene vier "Säulen", die den Gründungskonsens der Grünen markierten. Bereits in den Jahren der Vorbereitung auf die Regierungsbeteiligungen in Düsseldorf und Berlin begannen sie kräftig zu bröckeln. Heute, nach der Zwangsbeendigung der rot-grünen Feldversuche, stehen nur noch Ruinen. "Das Bestreben, nirgends anzuecken, ist nicht nur unzeitgemäß, es macht die Grünen auch grau", hat Reinhard Loske seine Partei auf deren "Zukunftskongress" Anfang September gewarnt. Die Grünen hätten "politische Ausstrahlung eingebüßt", selbst nach dem Machtverlust würden viele Positionen "noch sehr nach staatstragendem Mainstream klingen", konstatierte der "Realo" Loske, auch er ein "Urgrüner". Im Frühjahr war er mit lautem Getöse von seinem Amt als Vizechef der grünen Bundestagsfraktion zurückgetreten ("Als Ökologe fühlt man sich bei den Grünen mittlerweile ziemlich einsam"). Auch der streitbare Ökologe kandidiert jetzt für den Parteirat. "Selbstgefälligkeit wäre ein großer Fehler", mahnt er und plädiert dafür, "dass wir die rot-grüne Vergangenheit realistisch aufarbeiten". Neben Sagel und Loske kandidieren aus Nordrhein-Westfalen auch noch die Bundestagsabgeordneten Bärbel Höhn, Markus Kurth und Volker Beck für den Parteirat. Das dürfte eng werden. Denn der Parteirat besteht neben den beiden Bundesvorsitzenden und der Geschäftsführerin nur noch aus 13 weiteren Mitgliedern. "Höchstens vier aus NRW werden es schaffen", sagt ein Insider.

Seit ihrem annus horribilis 2005 befinden sich die Grünen sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch im Bund in einem merkwürdig indifferenten Zustand. Einerseits kämpfen sie immer noch mit der ihnen ungewohnten Rolle als Oppositionspartei und leiden sichtbar darunter, nicht mehr so gefragt zu sein wie früher. In den Umfragen zeigen sie sich jedoch erstaunlich stabil: Bundesweit konstant bei etwa zehn Prozent - und damit deutlich über ihrem Bundestagswahlergebnis. In NRW liegt die Partei bei etwa acht Prozent, also ebenfalls gegenüber der vergangenen Landtagswahl deutlich verbessert. Auch wenn die grüne Partei im Osten der Republik nach wie vor große Probleme habe, so werde sie im Westen "von einer durch die 68er-Zeit sehr stark geprägten linkslibertären Kultur-Bourgeoisie getragen", analysiert der Göttinger Professor für Parteienforschung, Franz Walter. Die Wähler der Grünen "genießen Rheingau-Riesling und gehen in exquisite Kinofilme. Mit den Reformprozessen der letzten Jahre haben sie eigentlich keine Probleme", so Walter in einem Interview Mitte November in der Welt.

Die "Idee des Monats" der nordrhein-westfälischen Grünen: "Ruft bei einem Infostand - das Thema könnt ihr beliebig wählen - die Aktion ,Jetzt Mitglied werden' aus." Diejenigen, die sich direkt für eine Mitgliedschaft entschieden, so empfiehlt der Landesverband seinen Orts- und Kreisverbänden, sollten ein Willkommensgeschenk erhalten. Beispielsweise das Buch "Einfach die Welt verändern - 50 kleine Ideen mit großer Wirkung". Wenn man selbst schon keine mehr hat ...

Die grüne Partei profitiere derzeit vom Versagen der Großen Koalition, sagt Reinhard Loske. Schneller als erwartet würde sie "als Funktionspartei umworben". Eine Partei in einer Übergangsperiode: "Noch sind die Grünen machtlos, aber sie spüren bereits, dass sie bald ein gefragter Partner bei Union und SPD sein werden", so der Parteienforscher Walter.

In Berlin haben die Planungen für die Zeit nach Schwarz-Rot bereits begonnen. Der aus NRW stammende Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Norbert Röttgen formulierte es in diesem Monat in einem Aufsatz in der Zeit so: "Wenn die Union ihre Regierungsfähigkeit sichern will, kann sie daher einer Frage gar nicht ausweichen: Wäre eine schwarz-grüne Bundesregierung eine zeitgemäße Antwort auf diese Herausforderung?"

Dies müsse, so Röttgen, anhand der parlamentarischen Einlassungen sowie der programmatischen und personellen Entwicklung der Grünen "nüchtern bewertet werden". Und er kommt zu einer insgesamt positiven Bewertung: "Das gesamte Gebiet der Wirtschafts-, Sozial-, Haushalts- und Finanzpolitik haben die Grünen - im Unterschied zur SPD - inzwischen tabufrei gestellt." Zwar bleibe die Atomenergie noch ein rot-grünes Tabu, "allerdings auf der Basis einer gesellschaftlichen Mehrheit". Auf dem Gebiet der inneren Sicherheit hingegen hätten die Grünen "Otto Schily weniger verwehrt als die FDP den damaligen CDU-Innenministern".

Am bemerkenswertesten sei jedoch das unterschiedliche Verhalten von FDP und Grünen in der Außenpolitik: "Während die FDP dem kriegsbeendenden Einsatz der Bundeswehr im Libanon nicht nur nicht zugestimmt hat, sondern diesen Einsatz nunmehr auch mit parlamentarischen Mitteln parteipolitisch zu skandalisieren versucht, haben sich die Grünen, die als pazifistische Partei gestartet sind, gegen ein parteitaktisches Nein entschieden und sich verantwortungsvoll für den Einsatz und eine selbstverständliche kritische parlamentarische Begleitung ausgesprochen."

Röttgens Fazit: "Heute landet man unweigerlich bei den Wählerschichten von CDU und Grünen, will man erfassen, was neues Bürgertum und neue Bürgerlichkeit ausmachen." Es sei nicht zu erwarten, "dass das, was in der Gesellschaft zusammenkommt, politisch auf Dauer getrennt bleibt".

Aber das ist noch Zukunftsmusik. Der grüne Alltag ist trister. Ein Antrag von Münsteranern zur Bundesdelegiertenkonferenz: "Der Bundesvorstand wird aufgefordert, in den nächsten Wahlkämpfen darauf zu achten, dass Give-Aways sowie andere Materialien ökologisch hergestellt werden und Verpackungsmüll vermieden wird." Ja, die Mühen der Ebenen.


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