21.03.2007

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Jungle World

*   Umziehen fürs Klima
Von Pascal Beucker

Jedes Argument ist recht: Immer mehr Politiker fordern den vollständigen Umzug der Ministerien von Bonn nach Berlin.

Wenn es den Klimawandel nicht schon gäbe, müsste man ihn glatt erfinden. Sogar die Linkspartei, die sich bisher nicht sonderlich für ökologische Fragen zu interessieren schien, entdeckt ihn gerade für sich, wenn auch auf sehr eigenwillige Weise.

Die »Bedrohung des Klimas« spreche eindeutig für einen vollständigen Regierungsumzug vom Rhein an die Spree, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, Petra Pau, in der vergangenen Woche. Weil immer noch »Tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesregierung von Bonn nach Berlin und umgekehrt« flögen, Flugzeuge aber »bekanntlich die größten CO2-Sünder« seien, sollten die Ministerien doch endlich in Berlin zusammengeführt werden.

Seit über einem Jahrzehnt flammt die Debatte um den Umzug in steter Regelmäßigkeit wieder auf. Nicht nur im Sommerloch, nein, zu jeder Jahreszeit kann sie wie ein Unwetter über die Republik hereinbrechen. So auch in der vergangenen Woche. Eine gänzlich unbedeutend wirkende Meldung des Handelsblatts fand ihren Weg bis in die Nachrichtenagenturen: Ein 19 Seiten umfassendes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages habe ergeben, dass einem vollkommenen Umzug aus rechtlicher Sicht nichts mehr im Wege stehe. In dem Gutachten heißt es: »Bindungen auf Grund von Koalitionsvereinbarungen, Erklärungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens oder sonstiger Stellungnahmen bestehen aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht; sie sind allein politischer Natur.« Zwar ist die Erkenntnis, dass sich bestehende Gesetze, wie eben das zum Verhältnis zwischen Bonn und Berlin, ändern lassen, nichts Neues. Der Bericht löste aber eine erneute Diskussion um den Umzug von Bonn nach Berlin aus.

Vor allem die Linkspartei zeigt sich äußerst erfreut darüber, dass die Chancen auf den kompletten Umzug so gut stehen. Die immer noch von Ostromantik beseelte Partei führt nämlich seit Jahren einen unermüdlichen Kampf für ihr Berlin – früher Hauptstadt der DDR, heute der Bundesrepublik.

Es war nämlich die PDS, die 1991 ihren bis heute größten parlamentarischen Erfolg im vereinten Deutschland feiern durfte. Nur durch ihre Zustimmung wurde damals das »Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands« verabschiedet. Das Parlament und Teile der Regierung sollten nach Berlin ziehen, während quasi als Ausgleich einige Bundesbehörden in das seitdem »Bundesstadt« genannte Bonn zogen. Der vor zwei Jahren verstorbene Ulrich Briefs war damals der einzige Abgeordnete der PDS, der seine Zustimmung verweigerte, den Regierungssitz in diejenige Stadt zu verlegen, in der, wie er sagte, einst die »scheußlichsten Verbrechen der Menschheit geplant und organisiert wurden«. Er verließ kurze Zeit später die Fraktion.

Ohne die im Gesetz festgeschriebene »faire Arbeitsteilung« zwischen dem alten westdeutschen und dem neuen gesamtdeutschen Regierungssitz hätten sich jedoch damals keinesfalls genug Abgeordnete gefunden, um der alten Preußenmetropole zu einer knappen Mehrheit zu verhelfen.

Die Folge des Gesetzes war jene »nachwirkende Teilungsanomalie«, die Uwe Lehmann-Brauns, der christdemokratische Vizepräsident des Berliner Abgeordnetenhauses, in der vergangenen Woche beklagt hat: Bis heute haben alle Bundesministerien immer noch einen Dienstsitz in Bonn, die meisten aber ihren Hauptsitz in Berlin. Über 9.700 Ministeriumsbeschäftigte arbeiten in der heutigen »Bundesstadt«. In Berlin sind es nur knapp 9.200.

Die Kosten der Pendlerflüge zwischen Rhein und Spree beliefen sich zwischen 1996 und 2006 auf 194 Millionen Euro, wie eine Anfrage von Gesine Lötzsch von der Linkspartei ergab. Ein Gutachten des Bundesrechnungshofs spricht indessen von mindestens fünf Milliarden Euro, die der Umzug von Bonn nach Berlin kosten würde. Die Bonner Beamten könnten also eigentlich noch sehr lange hin und her fliegen.

Jetzt soll alles noch einmal nachgerechnet werden. Gleich zwei Gutachten, eines aus dem Innen- und ein anderes aus dem Finanzministerium, sollen sowohl die Kosten als auch die generellen Vor- oder Nachteile eines Komplettumzugs bis Ende April klären. Dann soll der Haushaltsausschuss darüber diskutieren. Die Berlinerin Lötzsch ist voller Hoffnung: »Die Sache ist ins Rollen gekommen.« Inzwischen engagierten sich sogar Kollegen, denen das Thema jahrelang egal gewesen sei, für den Umzug. »Und außerdem dürfte auch einigen Ministerialbeamten aufgegangen sein, dass es karrieretechnisch nicht klug ist, so weit entfernt zu sein vom Ort des Geschehens«, sagte sie dem Tagesspiegel.

Die Befürworter des Umzugs sehen sich bisweilen aber auch harten Attacken ausgesetzt. Ulrich Kelber, ein Bundestagsabgeordneter der SPD aus Bonn, warf ihnen vor, es gehe ihnen »nicht um die Fakten«, sondern ihre Meinung stehe »als Folge der eigenen Ideologie längst fest«. Dies sei »ein undemokratischer Politikstil«.

Ideologie hin oder her, verhindern werden diese Vorwürfe den Umzug wohl nicht mehr. Die Bonner werden jedoch auch das überleben: Einer Umfrage zufolge, die der Spiegel vor kurzem zitierte, sind sie derzeit die glücklichsten Großstädter. Die Männer leben mindestens zwei Jahre länger als ihre Geschlechtsgenossen im Rest der Republik, und die Frauen bekommen so viele Kinder, dass die Zahl der Geburten die Sterberate übersteigt. Davon kann Berlin nur träumen.


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