04.04.2007

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Jungle World

*   Die Abhängigen
Von Pascal Beucker

Seit ihrer Gründung 1974 expandierte die AUB stetig. Längst wirkt sie nicht mehr nur bei Siemens. Jetzt droht die Geldquelle zu versiegen.

Zum Ende seiner Rede legte sich Wilhelm Schelsky noch einmal so richtig ins Zeug. Der »Grad der Fremdbestimmung und der ideologischen Fernsteuerung von Funktionszentralen«, warnte er auf dem CDU-Bundesparteitag im Oktober 1986 in Mainz eindringlich, drohe heutzutage »so stark über die Interessen der einzelnen Unternehmen und ihrer Arbeitnehmer hinwegzugehen, dass dieses den Fortbestand unserer wirtschaftlichen Entwicklung gefährden kann«. Der Gefahr müsse entschlossen entgegengetreten werden, appellierte der engagierte Gastredner an die christdemokratischen Delegierten: »Stärken Sie bitte den Unternehmen den Rücken!« Das Besondere an dem Aufruf: Er kam von einem »Arbeitnehmervertreter«. Wilhelm Schelsky war seinerzeit Betriebsratschef bei Siemens in Erlangen und Bundesvorsitzender der kurz zuvor gegründeten »Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger« (AUB). Über zwei Jahrzehnte führte der eigentümliche Arbeiterführer beinahe absolutistisch die Geschäfte der, nach Eigenwerbung, »anderen Gewerkschaft« – zuletzt seit Mitte Februar aus der Untersuchungshaft. Am Dienstag voriger Woche ist der 58jährige von seinem Amt zurückgetreten.

Nach eigenen Angaben hat die AUB heute rund 32.000 Mitglieder. Stolze zehn Prozent sämtlicher Betriebsratsmandate in der Bundesrepublik will die »nach den DGB-Gewerkschaften erfolgreichste Arbeitnehmerorganisation« (Schelsky) im vergangenen Jahr errungen haben. Die AUB gibt an, insgesamt über rund 19.000 Betriebsräte in fast allen Branchen und Regionen zu verfügen.

Ihre Wurzeln hat die Organisation dort, wo auch Schelskys Karriere begann: am Siemens-Standort in Erlangen. Hier gründete im Herbst 1974 ein Kreis überwiegend außer- und übertariflicher Angestellter um das heutige AUB-Ehrenmitglied Dietrich Ummelmann die »Aktionsgemeinschaft unabhängiger Betriebsräte«. Bei ihrer ersten Kandidatur im Frühjahr 1975 errang die AUB-Keimzelle aus dem Stand elf von 33 Betriebsratsmandaten. 1978 konnte Ummelmann den Erlanger Betriebsratsvorsitz übernehmen und zudem noch als AUB-Vertreter in den Siemens-Aufsichtsrat einziehen. Das war die Initialzündung: Auch an anderen Siemens-Standorten entstanden AUB-Gruppen.

1984 übernahm Wilhelm Schelsky, der 1978 als Vertriebskaufmann bei Siemens angeheuert und sich noch im selben Jahr der AUB angeschlossen hatte, den Betriebsratsvorsitz. Die AUB saß nunmehr an 16 von 114 Siemens-Standorten, ebenso in etlichen Tochterunternehmen, im Betriebsrat, und Schelsky strebte nach Höherem. Unter seiner Ägide konstituierte sich die AUB im November 1985 als überbetrieblicher Verein, um auch andernorts »das Monopol der DGB-Gewerkschaften zu brechen«. Im Jahr darauf folgte die Anerkennung als Berufsverband. AUB-Betriebsgruppen finden sich heutzutage bei Daimler-Chrysler ebenso wie bei Opel, bei SAP, der Norddeutschen Affinerie Hamburg und bei der Lufthansa, und nicht zuletzt in zahllosen Bau- und Möbelmärkten. Besonders stark ist die AUB bei dem Lebensmitteldiscounter Aldi, vor allem im Osten gibt es dort bisweilen sogar reine AUB-Betriebsräte. Gewichtig blieb die AUB dabei auch bei Siemens: Mit Hildegard Cornudet ist sie nach wie vor im Aufsichtsrat vertreten.

Schelskys eigene Betriebsratszeit endete Ende 1990 mit seinem Ausscheiden bei Siemens. Er machte sich als Unternehmensberater selbständig und konstruierte um sich herum ein komplexes und gewinnbringendes Firmenkonglomerat – mit dem Siemens-Konzern als seinem besten Kunden. Die genaue Höhe ist unbekannt, aber eine hohe zweistellige Millionensumme könnten dem Unternehmen seine Dienste schon wert gewesen sein, mutmaßen Ermittler, die bislang nur darüber spekulieren können, für welche Dienste Schelsky tatsächlich so fürstlich entlohnt wurde. Vielleicht dafür, dass er mit der AUB eine managementfreundliche Gegenorganisation zur IG Metall aufbauen konnte?

Unbestreitbar ist: Wenn sich Arbeitgeber ihre Arbeitnehmervertretung aussuchen dürften, würde ihre Wahl wohl auf die AUB fallen. Denn was die Vereinigung unter ihrem Motto »Betriebsnah. Ideologiefrei. Zukunftsorientiert« versteht, lässt Unternehmerherzen höher schlagen: Als »Alternative zu den bestehenden Gewerkschaften« positioniert sich die AUB in ihrer Selbstdarstellung »bewusst gegen die arbeitsmarkt- und betriebspolitischen Rezepte« des »dogmatischen« DGB und seiner Einzelgewerkschaften und distanziert sich vehement von deren vermeintlich »ideologischem, arbeitsplatzvernichtenden Verhalten«.

Daher kann die AUB auch Arbeitskampfmaßnahmen nichts abgewinnen, denn sie seien nur »alte Mittel des Klassenkampfs«. Stattdessen möchte sie lieber »das Betriebsklima fördern, auch zwischen ›oben‹ und ›unten‹«. Unablässig wettert sie gegen Flächentarifverträge und kämpft für »betriebliche Bündnisse«.

Angesichts ihrer Positionen kann es nicht verwundern, dass Kritiker die AUB auch als »FDP-Gewerkschaft« bezeichnet haben – eine Charakterisierung, die sich auch personell bis in die Führungsspitze hinein untermauern lässt. Und das frühere »Verbindungsbüro Bonn« der AUB, die ihre Bundesgeschäftstelle in Nürnberg hat, residierte lange Zeit im Thomas-Dehler-Haus, der FDP-Parteizentrale.

Aber ansonsten ist die AUB recht pluralistisch: Das Mitgliederspektrum reicht von gewerkschaftsfeindlichen SPDlern bis ganz weit rechts. So offenbarte der Spiegel 1993, dass auf AUB-Listen zu den Sozialwahlen auch ein Kreisvorsitzender der »Republikaner« und ein »früherer NPD-Funktionär und Wahlkämpfer für die rechtsradikale Deutsche Liga für Volk und Heimat« kandidierten – die AUB-Führung distanzierte sich umgehend. Anders im Fall ihres Vereinsmitglieds Fritz Schenk: Der schwarz-braune langjährige Co-Moderator des ZDF-Magazins, Autor der Jungen Freiheit und Initiator des Appells »Kritische Solidarität mit Martin Hohmann« trat bis zu seinem Lebensende im Mai 2006 regelmäßig auf Veranstaltungen als Referent auf und hatte in der regionalen AUB-Postille Südwest Drehscheibe eine eigene Kolumne. Der passende Titel: »Die rechte Spalte«.

Wie eine Vereinigung sich einen respektablen Apparat leisten, vor Betriebsratswahlen aufwändig Wahlkampf machen und von seinen Mitgliedern dennoch nur acht Euro Beitrag pro Monat verlangen kann, fragen sich nicht nur DGB-Gewerkschafter schon lange. Ex-Chef Schelsky habe mit seiner Unternehmensberatung die AUB »personell und finanziell unterstützt«, hat jetzt der Restvorstand eingeräumt. Sollte Siemens tatsächlich Gelder an Schelsky zahlt und die AUB »hiervon indirekt profitiert haben, so distanzieren wir uns davon mit aller Entschiedenheit«, heißt es in der Erklärung. Nun gelte: »Ab sofort ist die AUB von der Unternehmensberatung in jeder Weise unabhängig.« Das bedeutet, für die AUB wird es finanziell sehr eng werden. Von der »Anti-Gewerkschaft« wird wohl nicht allzu viel übrig bleiben.


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