02.05.2007

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Jungle World

*   Alle unter einer Decke
Von Pascal Beucker

Die neuen Informationen im Fall Buback deuten darauf hin, dass es Staat und Justiz mit den Schuldzuweisungen an frühere RAF-Mitglieder nicht so genau nahmen.

Es war irgendwann in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, da machte sich Fritz Teufel den Spaß, aus dem Moabiter Knast heraus auf einen Aufruf zum Tag der Arbeit zu antworten: »Betrifft: eure Forderung ›Heraus zum 1. Mai‹. Mir ist auch jedes andere Datum recht.« Das war geflunkert. Denn das Mitglied der »Bewegung 2. Juni« wollte abwarten, wie die Bundesanwaltschaft ihn der Beteiligung an der Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz »überführen« würde. Im Mai 1980 erfüllte sie Teufels Erwartungen: Hinsichtlich seiner Tatbeteiligung habe es »nie eine Beweisnot gegeben«, behauptete die Anklagebehörde in ihrem Schlussplädoyer und beantragte 15 Jahre Haft für Teufel. Fünf lange Jahre hatte er in Untersuchungshaft auf diesen Augenblick gewartet – um ein hieb- und stichfestes Alibi zu präsentieren. Während der Tatzeit hatte der vermeintlich »überführte Entführer« unter falschem Namen in einer Essener Klodeckelfabrik gearbeitet.

Bisweilen wiederhole sich Geschichte, wenn auch nur als Farce, schrieb einst Karl Marx. Seit dem Gastbeitrag Michael Bubacks in der Süddeutschen Zeitung spekuliert die ganze Republik, ob sich vielleicht auch die Ermordung seines Vaters, des früheren Generalbundesanwalts Siegfried Buback, und seiner beiden Begleiter im Frühjahr 1977 in Karlsruhe anders abgespielt haben könnte, als es das Oberlandesgericht Stuttgart in seinen Urteilen 1980 und 1985 verkündete.

Für das Gericht lag es »auf der Hand«, dass die RAF-Mitglieder Knut Folkerts, Christian Klar und Günter Sonnenberg unmittelbar an dem Attentat beteiligt waren. Da die genaue Rollenverteilung juristisch ohnehin irrelevant ist, hatten sich die Richter – im Gegensatz zu den Bundesanwälten, die erst Folkerts, dann Klar als Todesschützen anklagten – nicht darauf festlegen wollen, wer von den dreien letztlich die Schüsse abfeuerte. Inzwischen mehren sich jedoch die Zweifel an dieser Version und damit auch an den staatlichen Aufklärungsbemühungen. Wurden gar die Aussagen früherer Mitglieder der RAF gegenüber dem Verfassungsschutz und dem Bundeskriminalamt, die der offiziellen Darstellung widersprechen, bewusst zurückgehalten? In der vergangenen Woche sah sich die Generalbundesanwältin Monika Harms jedenfalls wegen des öffentlichen Drucks gezwungen, die Ermittlungen teilweise wieder aufzunehmen.

Das wäre an sich nichts Negatives, wenn nur die öffentliche Debatte dazu etwas weniger ausufernd und hysterisch geführt würde. So viel war seit 30 Jahren nicht mehr von der RAF die Rede. Und als hätte es nicht gereicht, dass die Kämpfer von einst für ihre Taten mit langjährigen Haftstrafen büßen mussten, werden sie nunmehr erneut von den Medien angeklagt. So behauptet Reinhard Müller in der FAZ beispielsweise über die »Veteranen einer propagandistisch noch immer effizienten Mörderbande«: »Die Macht der RAF scheint ungebrochen.« Denn »ein paar Wortmeldungen aus der ehemaligen ›Kommandoebene‹« würden reichen, »um die Republik wieder erzittern zu lassen«. Schon die Einbürgerung des Begriffs »Deutscher Herbst« für jene Zeit des Terrors zeige eine erstaunliche Deutungshoheit, die bis heute anhalte. Bernd Ulrich giftet auf der Titelseite der Zeit: »Was wir zurzeit erleben, ist die Verwandlung der RAF-Geschichte in politische Pornografie.« Auch daran seien ausgerechnet die ergrauten ehemaligen Terroristen Schuld: »Am Anfang war die Knarre, am Ende der Porno, was beide verbindet, ist die Gier nach Aufmerksamkeit.«

Dabei hat die Gier nach Aufmerksamkeit doch nur einmal mehr jenes frühere RAF-Mitglied gepackt, das sich bereits seit über einem Vierteljahrhundert in der Rolle des »Berufsbekenners und Schauschämers« (SZ) gefällt: Peter-Jürgen Boock. Was er zunächst zu Michael Buback sagte, dann zu jedem Medium, das bereit war, ihm ein Forum zu bieten, ist der zweifelhafte Ausgangspunkt der großen Aufregung. Danach soll Stefan Wisniewski jener Mann gewesen sein, der Bubacks Vater am Morgen des 7. April 1977 vom Sozius der von Sonnenberg gefahrenen blauen Suzuki GS 750 aus mit einem automatischen Gewehr des Typs Heckler&Koch 43 erschoss. »Das ist mir schlicht erzählt worden – und ich habe keinen Zweifel, dass es mir richtig erzählt worden ist«, plauderte Boock in einer Sondersendung der ARD.

Nun ist der Leumund des »Karl Mays der RAF«, wie ihn der ehemalige Präsident des BKA, Horst Herold, einmal tituliert hat, nicht gerade der beste. Doch inzwischen sind weitere Aussagen bekannt geworden, die Fragen aufwerfen: In der – vergeblichen – Hoffnung auf eine vorzeitige Freilassung soll sich das RAF-Mitglied Verena Becker, die im Mai 1977 zusammen mit Günter Sonnenberg nach einer wilden Schießerei verhaftet worden war, im Frühjahr 1982 dem Verfassungsschutz für eine umfangreiche Aussage angeboten haben. Für knapp zwei Wochen sei sie damals aus ihrer Zelle in Köln-Ossendorf geholt worden, heißt es. Detailliert habe Becker den Mordfall Buback aus ihrer Sicht geschildert und dabei Wisniewski als Schützen benannt und Folkerts entlastet. Natürlich muss auch diese Darstellung nicht unbedingt stimmen. Sie könnte zum Beispiel eine Schutzbehauptung gewesen sein, um eine eigene Tatbeteiligung zu vertuschen. Zeugen sagten damals aus, eine Frau auf dem Sozius des Motorrads gesehen haben zu wollen.

Was Folkerts angeht, so entlastete ihn aber acht Jahre später, im September 1990, auch das ehemalige RAF-Mitglied Silke Maier-Witt in einer Aussage gegenüber dem Bundeskriminalamt. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bekräftigte sie jetzt, Folkerts hätte nicht unmittelbar an dem Attentat auf Buback beteiligt sein können, weil er sie an diesem Tag nach Amsterdam gefahren habe: »Das habe ich damals so gesagt, und das trifft zu.« Warum ihre damalige Aussage nicht aufgegriffen wurde, erklärt sich Maier-Witt damit, dass die Justiz seinerzeit »nicht das Bemühen« gehabt habe, »die individuelle Schuld auszuloten«. Letztlich sei »jedem, der in der RAF war, alles vorgehalten worden«. Das sei so eine Art Kollektivbestrafung gewesen.

Stefan Wisniewski hat unterdessen über seine Anwältin Edith Lunnebach der Bundesanwaltschaft seine Kooperationsbereitschaft zugesagt. Lunnebach zeigte sich zuversichtlich, dass das Verfahren gegen ihren Mandanten bald eingestellt werde. Schließlich habe sich Boock schon öfter als nicht zuverlässiger Zeuge erwiesen. Objektive Beweismittel jenseits von Zeugenaussagen und Vermutungen gebe es nicht gegen ihren Mandanten.

Wisniewski, Sohn eines polnischen Zwangsarbeiters, der heute 54 Jahre alt ist und in Köln lebt, hat wegen seiner Beteiligung an der Entführung Hanns Martin Schleyers bereits 20 Jahre hinter Gittern verbringen müssen. Wie Folkerts hat er sich bis heute an den Schweigekodex der längst aufgelösten RAF gehalten. Ein Schweigen, das den Angehörigen der Opfer verständlicherweise unerträglich ist – und für manchen der bewaffneten Kämpfer harte Folgen nach sich zog, wie Karl-Heinz Dellwo in der Sendung »Panorama« offenbarte: »Ich kenne definitiv Fälle, wo Leute unschuldig waren und über lange Zeit für andere im Gefängnis gesessen haben.« Aber es sei nun einmal so, dass die Verantwortung für die Taten bei allen läge.

Diese Sichtweise hat es dem Staat einfach gemacht, es nicht so genau zu nehmen. Das macht den Unterschied zu Fritz Teufel.


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