13.09.2007

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Jungle World

*   Seit' an Seit' abwärts
Von Pascal Beucker

Schlechte Umfragewerte, ein immer weniger beliebter Parteivorsitzender und eine Art Parteiprogramm, das ein Unternehmerverband verfasst haben könnte: Die SPD ist in der Krise.

So einfach geht das. Da haut Kurt Beck einmal mit der Faust auf den Tisch, schon schreiten die Genossen wieder in der gern auf SPD-Parteitagen besungenen Weise »Seit’ an Seit’«: »Eine Woche Hammerschlag, eine Woche Häuserquadern zittern noch in unsern Adern; aber keiner wagt zu hadern!« Doch dass mit ihnen tatsächlich noch »die neue Zeit« zieht, glauben wohl nur unerschütterliche Zweckoptimisten.

Als »Buddha mit Sprengkraft« bezeichnete den Vorsitzenden der SPD einmal seine designierte Stellvertreterin Andrea Nahles. Und tatsächlich war Beck explodiert. »So einen Scheiß lasse ich mir nicht mehr bieten«, soll er hinter verschlossenen Türen im Parteirat gepoltert haben, weil Kollegen gezielt und ständig Zweifel an seinem Führungsstil und an seiner Eignung als Kanzlerkandidat gestreut hatten. Da säßen einige »hinter Büschen« und würden »mehr oder weniger Intelligentes erzählen, auf jeden Fall Unverantwortliches«, erläuterte Beck seinen emotionalen Ausbruch später in der ARD. Konkreter wollte er nicht werden. Doch sollten »weitere Querschüsse« kommen, werde er künftig Namen nennen.

Die devoten Ergebenheitsadressen folgten umgehend. »Ich denke, es war mal nötig, dass er klargemacht hat, wo der Hammer hängt«, flötete Nahles. »Wo er Recht hat, hat er Recht«, erklärte der ebenfalls zur Parteilinken gezählte saarländische SPD-Vorsitzende Heiko Maas. Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, betonte: »Kurt Beck ist ein guter Vorsitzender. Er führt.« Und selbstverständlich sprang auch der Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Peter Struck, seinem Parteivorsitzenden bei. Beck habe »zu Recht darauf hingewiesen, dass es auf Geschlossenheit in der SPD ankommt«. Es gebe »keine Diskussion um Kurt Beck, er ist völlig unumstritten«. Wer solche Solidaritätsbekundungen benötigt, um den kann es nicht gut bestellt sein.

Tatsächlich wirken solche Bekundungen vor dem Hintergrund der anhaltend deprimierenden Umfragewerte wie hilflose Durchhalteparolen. Man fühlt sich an die Endphase der glück- und ideenlosen Amtszeit von Rudolf Scharping als Parteivorsitzendem erinnert. Auch damals bekundete die sozialdemokratische Nomenklatura »geschlossen« ihre Unterstützung – und hoffte doch insgeheim geradezu sehnsüchtig auf den großen Befreiungsschlag, der die Partei aus dem Tal der Tränen katapultieren sollte.

Aber die Zeiten haben sich geändert. Ein Lafontaine, der einst den niedergeschlagenen Sozialdemokraten Erleichterung verschaffen konnte, ist nicht in Sicht. Heute setzt die Partei ihre Erwartungen in Politiker wie Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück. Ab dem Parteitag im Oktober sollen die beiden Bundesminister gemeinsam mit Nahles das neue Stellvertretertrio hinter Beck bilden.

Was die beiden Herren qualifiziert? Der eine wirtschaftete die SPD als rechte Hand Gerhard Schröders im Kanzleramt mit in jene tiefe Krise, aus der sie jetzt nicht mehr herausfindet. Dem anderen kommt das historische Verdienst zu, die Partei als Ministerpräsident in ihrem einstigen Stammland Nordrhein-Westfalen in die Opposition geführt zu haben. Aber mit den eigenen Fehlern will man sich keineswegs aufhalten. Im Gegenteil. »Wir heulen, weil wir Reformpolitik machen müssen. Wir heulen ein bisschen über Hartz IV und über die Agenda 2010«, schrieb Steinbrück unlängst seiner Partei ins Stammbuch. »Den Leuten kommen wir im Moment wie eine Heulsuse vor.« Damit müsse nun endlich Schluss sein, die Sozialdemokraten sollten wieder Selbstbewusstsein demonstrieren.

Wie das aussieht, konnte der staunende Beobachter am Montag vergangener Woche im Willy-Brandt-Haus in Berlin erfahren. Da präsentierten Steinbrück und Steinmeier gemeinsam mit dem brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck ihren Beitrag zur Programmdebatte der SPD. »Auf der Höhe der Zeit« heißt das Werk, über das der Laudator Hans-Jochen Vogel sagte, er habe außer der Einleitung eigentlich nur die Kapitelüberschriften gelesen. Er wird gewusst haben, warum. Mit Ausnahme jener, denen das Attribut »Parteilinke« zugewiesen wird und die erst kürzlich ihre »Denkanstöße« zur Programmdebatte beigesteuert haben, versammeln Steinmeier, Steinbrück und Platzeck das Who is Who des sozialdemokratischen Diskurses. In 59 Kapiteln zu je fünf, sechs Seiten entfalten rund 60 Autorinnen und Autoren das ganze intellektuelle Elend der SPD. Sigmar Gabriel ist ebenso dabei wie Olaf Scholz, Ute Vogt, Christoph Matschie, Wolfgang Tiefensee, Brigitte Zypries, Hubertus Schmoldt, Nina Hauer, Gesine Schwan und viele mehr. Renate Schmidt schreibt »Vom Glück der Kinder«, und Christian Ude stellt die nicht unberechtigte Frage: »Sozialdemokratische Stadtpolitik – was ist das überhaupt?« Es genügt wirklich der Blick auf die Überschriften, um zu wissen, was drinsteht: nicht viel.

Das dürfte dem früheren Parteivorsitzenden Vogel bereits bei der Lektüre der von Steinmeier, Steinbrück und Platzeck verfassten Einleitung aufgegangen sein. Eine Phrase reiht sich an die nächste. Die Kernbotschaft: »Der konsequente Erneuerungskurs der Regierung Schröder war ein guter Anfang. Er hat uns Sozialdemokraten wieder auf Augenhöhe mit der Wirklichkeit gebracht. Diesen Weg müssen wir deshalb entschlossen weitergehen, wenn wir die positive Wechselwirkung zwischen dynamischer Wirtschaft, stabiler Demokratie und sozialer Sicherheit weiter stabilisieren und verstetigen wollen.« Das könnte auch der christdemokratische Koalitionspartner unterschreiben. Oder der Arbeitgeberverband.

Der Göttinger Politikprofessor Franz Walter, der Sozialdemokratie ansonsten nicht abgeneigt, bescheinigte den Autoren, die von ihnen entworfene »neue SPD« sei »kalt und streberhaft«. Die Sozialdemokraten der neuen Generation mit ihrer »verblüffend hybriden, großmäuligen Pose« wollten nicht länger »Schutzmacht der kleinen Leute« sein, »sie möchten vielmehr stets als Klassenprimus durch das Ziel gehen«. Bei Steinmeier, Steinbrück und Platzeck klingt das dann so: »Nur wenn wir dem ursozialdemokratischen Versprechen des individuellen Aufstiegs durch Leistung zukünftig wieder massiv Geltung verleihen, kann unsere Gesellschaft als ganze gedeihen.« Konsequenterweise plädierte Steinmeier bei der Buchpräsentation dafür, dass die SPD nicht länger am Begriff des demokratischen Sozialismus festhalten solle. Die SPD-Traditionen würden nicht verraten, wenn das Wort Sozialismus nicht mehr im Programm auftauche.

Darüber werden sie wohl auf dem Hamburger Parteitag ein bisschen disputieren. Um dann zum Abschluss wieder gemeinsam rührselig ihr Lied zu intonieren: »Wann wir schreiten Seit’ an Seit’ und die alten Lieder singen, und die Wälder widerklingen, fühlen wir, es muss gelingen: Mit uns zieht die neue Zeit, mit uns zieht die neue Zeit.« Nur wohin? Die Krise der SPD jedenfalls geht weiter, ein Ausweg ist nicht in Sicht. Die Partei »Die Linke« kann sich freuen.


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