20.09.2007

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Jungle World

*   Um Ulm und Neu-Ulm herum
Von Pascal Beucker

Bei Fritz G., Daniel S. und Adem Y., die Sprengstoffanschläge geplant haben sollen, dürfte es sich um überzeugte Islamisten handeln.

Mit einer der größten Polizeiaktionen in der Geschichte der Bundesrepublik wurden islamistische Terroranschläge von bisher in Europa noch nicht erlebten Ausmaßen verhindert, da sind sich die Ermittlungsbehörden sicher. Die Anfang September im sauerländischen Medebach-Oberschledorn festgenommenen Fritz Martin G., Daniel Martin S. und Adem Y. sollen geplant haben, gleichzeitig mindestens fünf Autobomben explodieren zu lassen.

Über ihre möglichen Ziele soll das jihadistische Trio noch beraten haben. Vor allem von US-Amerikanern frequentierte Einrichtungen seien in der engeren Wahl gewesen: Diskotheken, Pubs, Restaurants, Supermärkte und wohl auch Flughäfen. Die Sprengwirkung der Bomben, die Fritz G., Daniel S. und Adem Y. hatten basteln wollen, wäre immens gewesen, meint der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke. Nach seinen Angaben hätte die Sprengkraft der von 550 Kilogramm TNT entsprochen. »Die Selbstmordattentäter in der U-Bahn von London hatten jeder nur drei bis fünf Kilogramm in ihren Rucksäcken«, sagte Ziercke auf einer Pressekonferenz. Bislang spricht nichts dagegen, dass die drei Festgenommenen – zwei deutsche Staatsangehörige und ein türkischer – tatsächlich das beabsichtigten, was die Ermittler ihnen unterstellen.

Noch immer aber ist das Bild von den verhinderten Attentätern diffus. Insgesamt sollen dem deutschen Arm der Islamic Jihad Union zehn Mitglieder angehört haben. Bei den anderen sieben reichen bislang offenbar die Beweise nicht für eine Festnahme aus. Die »Schlüsselfigur« sei ohne Zweifel Fritz G., sagte der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU). G. habe mit solcher Hartnäckigkeit seine Ziele verfolgt, dass ihn nicht einmal die Observation der Ermittler störte: »Der gehört eigentlich doppelt bestraft: wegen Dummheit und wegen Frechheit.«

Dass er überwacht wird, hatte Fritz G. nach eigenen Angaben bereits Anfang Januar dieses Jahres bemerkt: »Als die Polizei zu mir gekommen ist, meine Tür eingeschlagen hat und die Wohnung durchsucht hat«, erzählte er im Juli dem Stern. Das Magazin recherchierte zu »islamistischen Gefährdern« – und stieß dabei auf Fritz G., der im achten Semester Wirtschaftsingenieurwesen an den Fachhochschulen Ulm und Neu-Ulm studierte, daneben in der Solartechnik-Firma seines Vaters jobbte und als radikaler Islamist bekannt geworden war. Wie es sich denn so als »Gefährder« lebe, fragte ihn Stern. Er führe »ein ganz normales Leben wie jeder andere Bürger auch«, antwortete der 28jährige, aber er fühle »sich nicht mehr so frei wie früher«. Außerdem forderte er: »Dass man jemand so lange in Ruhe lässt, solange er selber niemanden beeinträchtigt.«

Fritz G. stammt aus einem gutbürgerlichen, nichtreligiösen Haus. Sein Vater ist Ingenieur, seine Mutter Ärztin. Geboren 1979 in München, zog er im Alter von fünf Jahren mit seiner Familie ins baden-württembergische Ulm. Zehn Jahre später trennten sich die Eltern, und G. entdeckte sein Faible für den Islam. Sein Vater bemerkte die Wandlung Ende der neunziger Jahre, weil sich Fritz hatte beschneiden lassen. »Ich dachte nur, das legt sich wieder«, sagte der Vater dem Focus. Das Gegenteil war der Fall. Fritz, der mit 18 Jahren offiziell zum Islam konvertierte – wie später auch sein Bruder – und sich seitdem Abdullah nennt, rutschte immer tiefer ins Milieu militanter Islamisten ab.

Das Grenzgebiet zwischen Bayern und Baden-Württemberg gilt als Hochburg radikaler Muslime. Den Anlaufpunkt bildete jahrelang das dem saudi-arabischen Wahhabismus verpflichtete Neu-Ulmer »Multikulturhaus«, wo Figuren wie etwa Reda Seyam, gegen den die Bundesanwaltschaft wegen der Bombenanschläge in Bali ermittelte, oder ein Finanzier von al-Qaida, Mamdouh Salim, verkehrten. Weil in dem in einem Industriegebiet gelegenen zweistöckigen Gebäude mit Gebetsräumen »Hass gegen die parlamentarische Demokratie, Nicht-Muslime und den Staat Israel« geschürt worden sei, erwirkte das bayerische Innenministerium im Dezember 2005 das Verbot des tragenden Vereins. Ein Teil der Klientel wechselte daraufhin nach Angaben des Verfassungsschutzes ins »Islamische Informationszentrum« in der Nachbarstadt Ulm, darunter als zahlendes Mitglied auch Fritz G.

Im »Multikulturhaus« hatte er begonnen, Arabisch zu lernen, und absolvierte unter anderem Kurse bei dem zwielichtigen Arzt Yehia Yousif, den die Behörden einerseits als »Hassprediger« einschätzten und der andererseits als V-Mann des Verfassungsschutzes geführt wurde, und dessen Sohn Omar. Als die Staatsanwaltschaft München gegen die beiden, bei denen Ermittler unter anderem Anleitungen zum Bau von Bomben fanden, wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung ermittelt, wurde auch Fritz G. erstmalig als Beschuldigter geführt. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt.

Im Dezember 2004 wurde Fritz G. zusammen mit seinem Freund Attila S. von der Polizei aufgegriffen. Die beiden jungen Männer hatten nachts ein Buch verbrannt, wenig später fanden die Beamten in dem Auto der beiden Propagandamaterial für al-Qaida. Attila S. wird auch im aktuellen Fall als Beschuldigter geführt wird.

Kurz darauf erhielten die Ermittler einen neuen Hinweis. Ein Zeuge, ebenfalls Teil der kürzlich ausgehobenen Zelle, berichtete, er habe G. und S. wenig zuvor gemeinsam in Saudi-Arabien getroffen. Die zwei Männer aus Ulm seien dort auf Pilgerfahrt gewesen. Anhand einer Bescheinigung wissen die Fahnder inzwischen, dass Fritz G. vermutlich im August 2005 einen Arabisch-Kurs in der syrischen Hauptstadt Damaskus belegte. Wie lange er sich dort aufhielt und wo er noch hinreiste, ist nicht bekannt. Nach Erkenntnissen der Staatsschützer pilgerte G. über Syrien und den Iran im März 2006 in ein pakistanisches Ausbildungslager für Terroristen. Dort habe er auch den jetzt ebenfalls inhaftierten 28jährigen Adem Y. getroffen.

Über Y. ist bislang nicht allzu viel bekannt: Geboren 1979 im anatolischen Bayburt, kam er 1993 mit seinen Eltern und seinen Geschwistern nach Deutschland. Die Familie zog in ein vierstöckiges Mietshaus in der im Kreis Offenbach gelegenen Kleinstadt Langen. Irgendwann wurde aus dem »normalen jungen Mann«, wie ihn Anwohner von früher schildern, ein glühender Islamist, der fortan einen langen weißen Kaftan und den dazu passenden Vollbart trug. Nach der Hauptschule soll Y. zeitweise bei der Bahn als Fahrkartenkontrolleur gearbeitet haben. Zuletzt war er offenbar auf Hartz IV. Nach Informationen der Frankfurter Allgemeiner Zeitung setzte ihn die Langener Verwaltung im Sommer auf eine Sperrliste, weil er drei Monate nicht erreichbar war und man deshalb davon ausging, er arbeite schwarz. Das tat er ja offenbar auch irgendwie, bloß auf mehr als den irdischen Lohn hoffend.

Fritz G. fiel den Ermittlern bereits kurz nach seiner Rückkehr aus Pakistan am Silvesterabend 2006 erneut auf. Zusammen mit zwei weiteren Verdächtigen aus der Ulmer Islamistenszene soll er das Kasernengebäude der US-Basis Hutier in Hanau ausgespäht haben. Die Männer bestreiten das bis heute, es habe sich lediglich um eine harmlose Spritztour gehandelt. Nichtsdestotrotz wurden sie seitdem als »Gefährder« geführt.

Den Kontakt zum dritten festgenommenen Terrorverdächtigen Daniel S. aus dem Saarland soll Fritz G. über die Neu-Ulmer Szene geknüpft haben. Der in Neunkirchen geborene 21jährige gilt als der mögliche Sprengstoffexperte der Gruppe. Seinen Wehrdienst leistete er bei der Kampfmittelräumtruppe in Saarlouis ab. Auch er stammt aus bürgerlichem Hause und konvertierte gerade volljährig zum Islam. Die Schule brach er in der zwölften Klasse ab und lebte bis zu seiner Festnahme als Gelegenheitsarbeiter neben einer Hinterhofmoschee im Saarbrücker Stadtteil Dudweiler-Herrensohr, einem kleinbürgerlich geprägten Viertel. Vor wenigen Wochen meldete er sich an einem Abendgymnasium in Saarbrücken an, um das Abitur nachzuholen. Doch diente das möglicherweise nur zur Tarnung. Als Arabisch- und Koranschüler war Daniel S. für einige Zeit in Ägypten gewesen und brach im August 2006 nach Pakistan auf, um ebenfalls ein Ausbildungslager zu besuchen. Im Februar 2007 kehrte er von dort zurück.

Im Saarland ermittelt die Bundesanwaltschaft auch noch gegen zwei andere Verdächtige. Der ebenfalls in Neunkirchen geborene 22 Jahre alte Deutschtürke Zafer S. soll wie sein Freund im Juli 2006 eine von der »Islamic Jihad Union« geförderte Terrorausbildung in einem pakistanischen Lager durchlaufen und dort direkten Kontakt zur Führung der Organisation gehabt haben. Er ist derzeit nicht auffindbar: Im Juni 2007 reiste der mit einem deutschem und einem türkischen Pass ausgestattete Zafer S. über Jordanien nach Kairo, wo sich seine Spur verliert.

Als weiterer saarländischer Beschuldigter wird der 22jährige Houssain Al M. geführt. Der in Beirut geborene und in Neunkirchen wohnhafte Staatenlose war am 10. Juni 2006 zusammen mit zwei weiteren Personen beim illegalen Übertritt der Grenze von Afghanistan nach Pakistan festgenommen worden, mit einem namentlich nicht bekannten Mann aus Kirgisien und Tolga D., einem Schulfreund von Fritz G. Somit schließt sich der Kreis. Tolga D. soll es gewesen sein, der Fritz G. den Koran näher brachte und dessen Übertritt zum Islam bezeugte. Bei D.s Festnahme hatte der 29jährige mehrere tausend Euro Bargeld bei sich, ein Satellitentelefon und einen gefälschten afghanischen Flüchtlingspass. Der pakistanische Geheimdienst vermutet, dass er Ausbildungslager von al-Qaida besucht hat oder auf dem Weg dorthin war. Mitte August wurde Tolga D. in die Bundesrepublik überstellt und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

M. nahm die Polizei vor zwei Wochen auf dem Frankfurter Flughafen fest. Inzwischen ist er wieder auf freiem Fuß, gilt jedoch weiterhin als Beschuldigter. Denn er, davon gehen die Ermittler aus, soll als Organisations- und Informationsmittler für Daniel S. und Zafer S. gedient haben.

Frechheit oder Dummheit? Unstreitig ist, dass es sich bei den aufgeflogenen home grown terrorists um religiöse Fanatiker handelt. Allerdings ist das allein noch keine ausreichende Erklärung dafür, warum sie trotz der Ermittlungen gegen sie unverzagt ihre mörderischen Pläne verfolgten.


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