30.10.2007

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NRZ

*   Zulauf für Lokführer-Gewerkschaft
Von Pascal Beucker 

Mitglieder wechseln von der großen Transnet zur kleinen GDL. Tarifmonopol steht auf dem Spiel. Gräben tun sich auf.

DÜSSELDORF. Klein beigeben? Das kommt für die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) auch weiterhin nicht in Frage und eine Einigung mit der Bahn ist weit und breit nicht in Sicht - nicht zuletzt wegen der weitaus größeren Konkurrenz, der Eisenbahnergewerkschaft Transnet. Denn es geht längst um mehr als um Geld. Das Tarifmonopol der DGB-Gewerkschaft steht auf dem Spiel. Gewinnt die GDL die Auseinandersetzung um einen eigenständigen Spartentarifvertrag, wäre Transnet einer der großen Verlierer.

Es ist ein ungleicher Kampf. Nur etwa 34 000 Mitglieder hat die GDL, darunter allerdings nach eigenen Angaben rund 15 500 der insgesamt etwa 19 611 bundesdeutschen Lokführer. Demgegenüber ist Transnet mit fast 250 000 Mitgliedern die sechstgrößte der acht im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften.

"Zerstörerischer Gruppenegoismus"

Trotzdem ist es der Minigewerkschaft gelungen, der großen Konkurrenz das Fürchten zu lehren. Bis zu 1000 Mitglieder sollen bereits von dem Gewerkschaftsriesen zur Lokführergewerkschaft gewechselt sein. Konkrete Zahlen gebe es nicht, so ein Transnet-Sprecher. Aber alleine in Nordrhein-Westfalen könne wohl von rund 200 Übertritten ausgegangen werden.

Von einem "zerstörerischen Gruppenegoismus" spricht Transnet-Chef Norbert Hansen. Es drohe eine Spaltung der Belegschaft. Es sei "nicht in Ordnung, wenn sich eine Gewerkschaft und ihre Mitglieder aus der Solidarität aller Beschäftigten verabschieden", beklagt auch DGB-Chef Michael Sommer.

Nach den schlechten Erfahrungen der Weimarer Republik wurden die politisch und weltanschaulich einseitigen Richtungsgewerkschaften bei der Gründung der Bundesrepublik durch Einheitsgewerkschaften abgelöst. Sie sollten fortan die Arbeitnehmerinteressen flächendeckend und branchenweit mit den entsprechenden Arbeitgeberverbänden aushandeln. Doch inzwischen ist dieses Monopol ins Wanken geraten. Nicht nur die Lokführer, auch Ärzte und Piloten führen über ihre Berufsverbände lieber eigene Tarifverhandlungen, als sich mit den mageren Lohnerhöhungen zufriedenzugeben, die Gleisarbeiter, Krankenschwestern oder Bodenpersonal hinnehmen müssen.

"Wenn die IG Metall für die Metallindustrie oder Verdi beispielsweise für den Einzelhandel oder für den Öffentlichen Dienst 31 Prozent Lohnerhöhung fordern würden, erklärte man uns wahrscheinlich entweder zu Volksfeinden oder schlicht für wahnsinnig", benannte Verdi-Chef Frank Bsirske auf dem Bundeskongress der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft das Problem der DGB-Gewerkschaften im Vergleich zu Organisationen wie der GDL, der Pilotenvereinigung Cockpit oder dem Marburger Bund. Deren Mitgliederzahlen schossen in die Höhe, als sie eigene hohe Tarifforderungen stellten.

"Mehrheit die Solidarität aufgekündigt"

Auf dem Verdi-Bundeskongress Anfang Oktober in Leipzig echauffierte sich Bsirske denn auch kräftig über jene Organisationen, "die für eine einzelne Berufsgruppe im Alleingang das Maximale herauszuschlagen versuchen". Sie nutzten "ihre exponierte Stellung, kündigen der Mehrheit die Solidarität auf, reißen tiefe Gräben in den Belegschaften", kritisierte Bsirske. Falls sich "immer mehr Gruppen aus der Solidarität verabschieden", so warnte er, könnte dies "letztlich zu einer Implosion des Gesamtsystems führen". Verdi ging im März 2001 aus der Fusion von fünf bis dahin selbstständigen Gewerkschaften hervor. Damals zählte sie noch 2,8 Millionen Mitglieder. Heute sind es noch etwa 2,2 Millionen. Auf einen Eintritt kamen zwei Austritte. Wie auch bei Transnet ist ein Ende des Abwärtstrends nicht in Sicht.


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