17.12.2007

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NRZ

*   Vom Glauben abgefallen
Von Pascal Beucker und Sarah Hubrich 

FINANZEN. Wer in NRW aus der Kirche austreten will, muss 30 Euro Gebühr zahlen. Das Land begründet dies mit einem anfallenden Verwaltungsaufwand. Ein Kölner Jurist hat jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht Beschwerde eingereicht.

KÖLN. Wer einen Verein verlassen will, der soll dafür nicht zahlen müssen. Das Vereinsrecht verbietet sogar sowas wie eine "Austrittsabgabe", weil sie eine unzulässige Erschwerung des Austritts darstellen würde. Ganz anders verhält es sich bei den Kirchen: Wer dort austreten will, muss seit dem vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen 30 Euro beim nächsten Amtsgericht auf den Tisch blättern. So hatte es die schwarzgelbe Landtagsmehrheit seinerzeit beschlossen. Begründet wird die Gebühr mit dem bei einem Kirchenaustritt anfallenden Verwaltungsaufwand - wohlgemerkt: dem Aufwand auf Seiten des Staates, der die Mitgliederverwaltung in Sachen Kirchensteuer innehat. Die Kirchen selbst sehen von den 30 Euro nichts.

Fabrice Witzke kann so eine Begründung nicht überzeugen. "Es kann doch nicht sein, dass ich Geld dafür zahlen muss, wenn ich aus der Kirche austreten will", empört sich der vom Glauben abgefallene Kölner. Beim Bundesverfassungsgericht hat der 28-jährige Jurist jetzt Verfassungsbeschwerde eingereicht. Wittke sieht die grundgesetzlich garantierte Religions- und Weltanschauungsfreiheit in Gefahr.

Austrittszahlen sind rückläufig

Selbst die Kirchen sind mit der Gebühr nicht glücklich. "Seit sie erhoben wird, kommen hin und wieder Leute zu uns und beschweren sich darüber", sagt Jens Peter Iven, Sprecher der evangelischen Kirche im Rheinland. "Wir können nicht mehr tun, als ihnen zu sagen, dass wir mit der Gebühr nichts zu tun haben", berichtet Iven. Die Zahl der Austritte aus der Rheinischen Landeskirche sei rückläufig, war 2006 mit 13 630 so niedrig wie seit 1980 nicht mehr. Zahlen für das laufende Jahr liegen noch nicht vor. "Wer austreten will, den hält die Gebühr nicht ab", ist Iven sicher. Ähnlich sieht man es in den drei katholischen Bistümern an Rhein und Ruhr. Im Jahr 2005 verließen in Köln 9547 Menschen die Kirche, 2006 waren es nur noch 7735; in Münster sank die Zahl im gleichen Zeitraum von 4600 auf 4300 und in Essen von 3473 auf 3295. Für das laufende Jahr zeichnet sich in Essen eine noch niedrige Zahl ab.

Beschwerdeführer Witzke sagt, dass es ihm nicht um die 30 Euro gehe: "Mir geht es um das Prinzip. Ich möchte, dass auch mein Unglauben respektiert wird." Der in Hagen ansässige Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten unterstützt Witzkes Beschwerde (AZ 1BvR3006/07) aus einem Spendenfonds. Ob sie in Karlsruhe Erfolg hat, erscheint fraglich. Mit Bayern und Hamburg an der Spitze, die jeweils 31 Euro verlangen, bitten zwölf der sechzehn Bundesländer zum Kirchenaustritt Entschlossene zur Kasse. Das kleine, im Landkreis Heilbronn gelegene Städtchen Neudenau verlangt die bundesweite Rekordsumme von 60 Euro für den Austritt.

Sollte die Beschwerde in Karlsruhe scheitern, will Witzke vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Dort stünden die Chancen für seinen Mandanten gut, ist der Hamburger Anwalt Joachim Granzow überzeugt. Kirchenaustrittsgesetze seien eine "sehr deutsche Spezialität, das gibt es nirgendwo sonst auf der Welt".


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