19.01.2007

Startseite
taz

*   Runter kommen sie immer
Von Pascal Beucker 

Nun hat sich Edmund Stoiber doch zum Abtritt durchgerungen. Dabei ist er nicht der einzige Ministerpräsident, dem der Rückzug schwer fiel. Warum der Verzicht auf die Macht so problematisch ist.

Ganz so theatralisch war Edmund Stoibers Abtritt gestern im Vergleich dann doch nicht. "Gott schütze Rheinland-Pfalz!", rief Bernhard Vogel noch in den Saal. Dann verließ der Christdemokrat kreidebleich und mit starrem Blick die Koblenzer Rhein-Mosel-Halle. Kurz zuvor war er das Opfer einer Palastrevolution geworden. Denn anstatt ihn an jenem Tag im November 1988 als Landesvorsitzenden wiederzuwählen, entschied sich der CDU-Landesparteitag sensationell für seinen Herausforderer Hans-Otto Wilhelm. Eine solche demokratische Ungeheuerlichkeit hatte es zuvor in der Partei noch nie gegeben. Keinen Monat nach der demütigenden Niederlage trat Vogel auch als Ministerpräsident zurück. Seine Hinterlassenschaft: Seit 1946 ununterbrochen an der Regierung, erlebte die zerrissene CDU bei der darauf folgenden Landtagswahl 1991 ein Debakel.

Die Erinnerung daran sorgt nach wie vor für Angstschweißausbrüche in der Union. So warnte denn auch auf der Klausurtagung der CSU-Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth so mancher Funktionär eindringlich, es dürfe auf keinen Fall eine "Rheinland-Pfalz-Lösung" geben. Am Ende war Stoiber doch willens, seiner Partei eine solche Bewährungsprobe zu ersparen.

Eine Parallele ist augenfällig: Auch Vogels politische Sensoren funktionierten nach vierzehn Jahren als Landespartei- und zwölf Jahren als Regierungschef nicht mehr einwandfrei. Schlichtweg unterschätzt hatte er den aufgestauten Unmut an der Basis. Allerdings erhielt Vogel dank der Wiedervereinigung eine zweite Chance. Und er nutzte sie: Nach 11 Jahren als Ministerpräsident von Thüringen übergab er 2003 freiwillig die Amtsgeschäfte an den von ihm selbst aufgebauten Nachfolger Dieter Althaus.

Ein solch reibungsloser Stabwechsel kommt in der deutschen Politik nur selten vor. In den USA sind die Amtszeiten des Präsidenten auf zwei beschränkt. In der Bundesrepublik gibt es eine solche Regelung bekanntlich leider nicht. Das erleichtert nicht gerade das zeitige Abschiednehmen. Denn es fällt schwer, freiwillig von der Macht zu lassen. Konrad Adenauer, Helmut Kohl oder auch Johannes Rau, der es immerhin auf eine knapp 20-jährige Amtszeit brachte, bis er von dem bereits als "Prinz Charles vom Rhein" verspotteten Wolfgang Clement zum Abtritt als Ministerpräsident genötigt wurde. Immerhin versüßten sie seinen Abschied mit dem Versprechen auf das Bundespräsidentenamt. Für ein solches generöses Angebot dürfte es im Fall Stoiber zu spät sein. Mehr als der CSU-Ehrenvorsitz wird wohl nicht herausspringen.

Generell gilt in der Bundesrepublik die Faustregel: Um ihn noch selbstbestimmt und würdig organisieren zu können, sollte ein Ministerpräsident spätestens nach dem dritten Wahlsieg mit den Planungen für seinen Abtritt beginnen. Was auch einem Kurt Biedenkopf in Sachsen nicht gelang. Über ein Jahrzehnt hatte "König Kurt" unangefochten in Sachsen geradezu absolutistisch regiert. Bis er sich in seiner Selbstherrlichkeit in einen bizarren, öffentlich ausgetragenen Streit mit dem Prätendenten Georg Milbradt verhedderte - und den parteiinternen Machtkampf verlor.

Auch Erwin Teufel hatte sich seinen Abschied in Baden-Württemberg anders vorgestellt. Er sei "unwürdig fortgejagt" worden, rekapitulierte Teufel bitter, nachdem er endlich den Weg für seinen "Kronprinzen" Günther Oettinger freigemacht hatte. 65 Jahre war Teufel damals, so alt wie Edmund Stoiber heute. 13 Jahre amtierte der Christdemokrat schon als Landesvater, so lange wie Stoiber heute. Und wie aktuell sein bayerischer Kollege hatte auch sein Kollege aus dem Nachbarländle unter Verkennung der Stimmung in seiner Partei lautstark überlegt, bei der nächsten Landtagswahl noch einmal anzutreten. Die Folgen davon waren parteiinterne Turbulenzen, vergleichbar mit denen, die derzeit die CSU erschüttern. Sie gipfelten in einem im wortwörtlichen Sinne handfesten Streit: Ausgerechnet auf einer CDU-Siegesfeier nach der Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl traf zu vorgerückter Stunde Staatsminister und Teufel-Vertrauter Christoph Palmer auf den Waiblinger CDU-Bundestagsabgeordneten Joachim Pfeiffer, einen Teufel-Kritiker.

Ein Wort gab das andere: Als "Drecksau", "Verräter" und "Rädelsführer" beschimpfte Palmer den Parteifreund. Dann setzte es zwei kräftige Backpfeifen für Pfeiffer. Am folgenden Tag traten der wieder ausgenüchterte Palmer und sein betroffener Ministerpräsident gemeinsam vor die Presse. Der eine erklärte seinen sofortigen Rücktritt, der andere kündigte ihn für den folgenden April an.


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen bei dem Autoren. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autoren.