kirchentaz, 09.06.2007

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*   Der ungläubige Minister
Von Pascal Beucker 

Gebetsmühlenhaft weist Schäuble (CDU) alle Proteste gegen die Flüchtlingspolitik ab. Dann berichtet ein junge Mann von der Realität. Die ist selbst für den Minister unfassbar.

Es war der 22-jährige Aziz Kruezi, dem gelang, worum sich der Journalist Heribert Prantl den Vormittag auf dem Evangelischen Kirchentag vergeblich bemüht hatte. Kurz vor Schluss der Veranstaltung zum Thema "Deutschland, ein Zuwanderungsland?" schaffte es der modisch gestylte junge Mann mit der sanften Stimme Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) wenigstens für einen kleinen Augenblick aus seinem allzu selbstgerechten Konzept zu bringen: Als Kruezi, der 1990 im Alter von 5 Jahren mit seinen Eltern aus dem Kosovo floh, in perfektem Deutsch erzählte, wie es ist, nur mit einer Duldung in der Bundesrepublik zu leben. "Und Sie sind immer noch nur geduldet?", fragte der christdemokratische Politiker ungläubig. "Das kann gar nicht sein!" Es kann sein.

In den fast zwei Stunden zuvor hatte Schäuble mit einer stoischen Gelassenheit immer wieder die Interventionen Prantls zugunsten einer liberaleren Einwanderungspolitik ins Leere laufen lassen. Dabei hatte der Ressortleiter Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung versucht, die Politik anzuprangern.

Eindringlich wies der Katholik Prantl in seinem an die "lieben Mitchristinnen und Mitchristen" gerichteten und wie eine Predigt klingenden Eingangsreferat besonders auf die Situation in Afrika hin: "Der Erdteil der Ärmsten säuft ab." Prantl beklagte ein "gefährliches und sündhaftes Desinteresse" an dem Kontinent und prangerte die "Flüchtlingsabschreckungs- und Flüchtlingsabwehrpolitik" der EU und der Bundesrepublik an. Die Not zwinge die Menschen zur Flucht. Sie locke "die Sehnsucht nach einem Leben, das wenigstens etwas besser ist", doch Europa reagiere mit einer Abschottungspolitik mit mitunter tödlichen Folgen: "Das Mittelmeer ist ein Gottesacker geworden."

Für Prantl steht fest: "Der Migrationsdruck wird das Thema dieses Jahrhunderts werden." Die Antwort auf diese Herausforderung könne nicht eine "weitere Verrohung des Flüchtlingsrechts" sein. Es müssten vielmehr humanitäre Lösungen gefunden werden. Die Menschenwürde verlange einfach zu helfen. Prantls Forderung: "Die EU muss aufhören, den neuen Eisernen Vorhang immer weiter auszubauen."

Doch auf solch eine "idealistische Schwärmerei" wollte sich Schäuble erst gar nicht einlassen. Er teile zwar durchaus Prantls Beschreibung der Situation Afrikas, schließlich sei ihm diese alleine schon deshalb bewusst, weil seine Frau seit mehr als zehn Jahren in der Welthungerhilfe aktiv sei. Aber: "Die Flucht ist nicht die Lösung der Probleme Afrikas." Das war die Kernbotschaft, die der Bundesinnenminister im Laufe der Diskussion immer wieder beinahe gebetsmühlenhaft wiederholte - im Bewusstsein, dass in dieser Allgemeinheit niemand in dem vollbesetzten Konrad-Adenauer-Saal der Kölner Messe ihr widersprechen würde.

Die europäischen Staaten könnten sich nicht durch "Großzügigkeiten in der Zuwanderung" von ihrer Verantwortung für Afrika freikaufen, sagte Schäuble. Im Zeitalter der Globalisierung müsse es vielmehr darum gehen, Not und Elend effektiv dort zu bekämpfen, wo sie auftreten. "Wir müssen mehr dafür tun, dass die Menschen überall auf der Welt eine faire Chance haben". Je besser die Lebensverhältnisse in Afrika seien, desto geringer seien die Anreize für die Menschen dort, ihr Glück in Europa zu suchen.

Es sei für ihn ein "Skandal", dass jährlich tausende Menschen aus Afrika auf dem Weg nach Europa zu Tode kommen. Statt allerdings die "Festung Europa" durchlässiger zu machen, lautete seine Konsequenz, "illegale Migration" müsse stärker bekämpft werden.

Die Kritik an der auch von ihm unterstützten Abschottungspolitik bezeichnete er als "blöde verkürzte Wahrnehmung". Gleichwohl gelte nun einmal: "Wir können das Elend der Welt nicht dadurch lösen, dass wir alle, denen es schlecht geht, zu uns holen." Auch von Zuwanderungsquoten hält Schäuble nichts: "Unter dem Gesichtspunkt der Einen Welt ist es nicht akzeptabel, dass wir uns aussuchen, wer zu uns kommt."


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