01.08.2007

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taz

*   Foltertod im Jugendgefängnis
Von Pascal Beucker 

Heute stehen in Bonn drei junge Männer vor Gericht. Sie sind angeklagt, in einem Siegburger Knast einen Zellengenossen gequält, vergewaltigt und gehenkt zu haben.

Wie es sich für gute Christen gehört, lasen sie dem Delinquenten noch aus der Bibel vor. Auch eine letzte Zigarette gewährten sie ihm. Dann ging es in der Gemeinschaftszelle AE 1.04 im Haus 2 der Justizvollzugsanstalt Siegburg ans Sterben. Hermann H. wurde nur 20 Jahre alt.

Knapp neun Monate nach seinem Tod am 11. November 2006 beginnt am heutigen Mittwoch vor dem Landgericht Bonn der Prozess. Die Staatsanwaltschaft wirft den drei ebenfalls jugendlichen Angeklagten vor, ihr Opfer "auf grausame Weise, aus Mordlust, aus niedrigen Beweggründen sowie zur Verdeckung von Straftaten getötet zu haben".

Es ist eines der brutalsten Verbrechen der bundesdeutschen Justizvollzugsgeschichte, über das das Bonner Gericht ab heute zu verhandeln hat. Die grausige Tat löste eine heftige politische Debatte über die unhaltbaren Zustände in den Gefängnissen und vor allem im Jugendstrafvollzug in Nordrhein-Westfalen aus. Die heftig unter Druck geratene Landesjustizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) setzte eine unabhängige "Kommission Gewaltprävention im Strafvollzug NRW" ein, die vergangene Woche ihren kritischen Abschlussbericht vorlegte. Auch ein Landtagsuntersuchungsausschuss beschäftigt sich inzwischen mit der Situation in den Haftanstalten.

Es ist kaum beschreibbar, welches Martyrium die zur Tatzeit 17, 19 und 20 Jahre alten Danny K., Pascal I. und Ralf A. ihrem Mitgefangenen Hermann H. an jenem Herbsttag im vergangenen Jahr offenbar bereitet haben. Vom Mittag bis in den späten Abend lebten die drei - weitgehend geständigen - Täter über Stunden ihre bizarren Gewaltfantasien an ihm aus. Nach den Erkenntnissen der Anklagebehörde soll die Initiative dabei von Pascal I. ausgegangen sein: Er habe ein Stück Seife in ein Handtuch eingewickelt und dann angefangen, auf seinen Zellengenossen einzuschlagen - so wie er es in dem Kriegsfilm "Full Metal Jacket" gesehen hätte. Danach hätten die anderen ihre "perfiden Ideen" eingebracht, so der ermittelnde Staatsanwalt Robin Faßbender. Dazu gehörte, ihr Opfer Wasser mit scharfem Pulver und Salz trinken, eine Tube Zahnpasta und auch noch das anschließend Erbrochene essen zu lassen. Sie zwangen ihn, den Toilettenrand abzulecken und aus dem Halter der Toilettenbürste Urin zu trinken. Auch musste er ihre Penisse in den Mund nehmen. Und sie vergewaltigten ihn anal mit dem Stiel eines Handfegers, den er danach mit dem Mund zu säubern hatte.

Irgendwann kam dann "bei den Angeschuldigten die Idee auf, ihr Opfer ,wegzuhängen'", wie es im Bericht der Staatsanwaltschaft heißt. Die drei Quäler machten sich eine "Pro-und-Contra-Liste": Gegen die Tötung spräche, so vermerkten sie, dass vier Leute auf einer Zelle mehr einkaufen dürften. Aber auch: "fünf Jahre wegen Körperverletzung, zehn Jahre wegen Mord". Dafür spräche die Möglichkeit einer "Blitzentlassung", weil nach der als Selbstmord getarnten Tat psychische Probleme vorgetäuscht werden könnten. Sie entschieden sich für die Exekution.

Die ersten vier Versuche scheiterten, weil die verwendeten Kabel rissen. Die bei Nummer fünf benutzten zusammengeknoteten Bettlakenstreifen hielten besser. Doch nach eineinhalb Minuten hängten seine Peiniger den ohnmächtigen Hermann H. noch einmal ab. Durch Schläge ins Gesicht brachten sie ihn ein letztes Mal wieder zu Bewusstsein, um ihn nach seinen Nahtoderfahrungen zu befragen. Anschließend zwangen sie den schmächtigen jungen Mann, sich erneut in der Zellentoilette auf einen Eimer zu stellen und diesen dann wegzustoßen. Kurz nach 23 Uhr war die Tortur für ihn vorbei.

Hermann H. hätte gerettet werden können. Gleich zweimal betraten Justizbeamte im Laufe des Tages die Folterzelle. Aber sie wollen von den Folterungen nichts bemerkt haben. Im April wurden die Ermittlungen gegen insgesamt fünf Beamte eingestellt. Es hätten sich keine Anhaltspunkte für ein juristisch schuldhaftes Verhalten finden lassen, so die Staatsanwaltschaft.


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