25.08.2007

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taz

*   Angst vor der Einheitsschule
Von Pascal Beucker 

Die SPD will sich auf ihrem Parteitag in Nordrhein-Westfalen für "Gemeinschaftsschulen" statt des dreigliedrigen Schulsystems aussprechen. Die Sozialdemokraten sind dort in der Opposition, liefern aber damit ein gefundenes Fressen für die CDU.

Höchst ungewöhnlich, dass ein Antrag, den eine Oppositionspartei auf ihrem Parteitag erst noch beschließen will, eine Regierungspartei schon vorher zur Beantragung einer aktuellen Stunde im Parlament veranlasst. Im Düsseldorfer Landtag war dieses Kuriosum in dieser Woche zu bestaunen. Die regierenden Christdemokraten wollten es sich nicht entgehen lassen, im Vorfeld des heute in Bochum stattfindenden bildungspolitischen Parteitags der nordrhein-westfälischen SPD die Schlachten des "Schulkampfs" von einst wieder aufleben zu lassen.

Die SPD wird sich heute trotz innerparteilicher Widerstände für die Einführung einer Gemeinschaftsschule in Nordrhein-Westfalen aussprechen, die das dreigliedrige Schulsystem ersetzen soll. Die SPD wolle damit "eine ganze Schülergeneration für ihr unausgegorenes Experiment opfern", wetterte die amtierende christdemokratische Kultusministerin Barbara Sommer. Nichts weniger als ein "System sozialistischer Schulfabriken" planten die Sozialdemokraten, dröhnte NRW-CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst gegen die vermeintlichen "Einheitsschulpläne" der SPD. Deren auf dem Bochumer Parteitag zur Abstimmung stehender Leitantrag "Die beste Bildung für alle" sei ein "Griff in die politische Mottenkiste". Damit marschiere die SPD "mit Volldampf zurück in die Siebzigerjahre".

Damals hatte der - im vergangenen Monat verstorbene - SPD-Kultusminister Jürgen Girgensohn das dreigliedrige Schulsystem abschaffen und die "kooperative Schule" als, wie er im Landtag sagte, "Zwischenstadium zur integrierten Gesamtschule" einführen wollen. Die Folge war ein unfassbarer Sturm der Entrüstung. Der erbittert und äußerst ideologisch geführte Streit mündete 1978 in einem von konservativen Lehrer- und Elternverbänden initiierten und von der CDU unterstützten Volksbegehren. "Stoppt das Schulchaos" wurde zum einzigen erfolgreichen Volksbegehren in der Landesgeschichte.

Seit 2005 in NRW in der Opposition, entdeckt die SPD nun die Bildung als Thema wieder. "Wir verändern die Schullandschaft", sagt die Landespartei- und Fraktionschefin Hannelore Kraft. Langfristiges Ziel sei "ein vollständig integriertes Schulsystem". Auf dem Weg dorthin schlägt der von Kraft geführte SPD-Landesvorstand in seinem Leitantrag für eine Übergangszeit eine Gemeinschaftsschule unter einem Dach mit einem Lehrerkollegium und einem Schulleiter bis Klasse 10 vor. Nach diesem Modell lernen in den Klassen 5 und 6 die Kinder gemeinsam - wie einst auch bei der "kooperativen Schule".

Für die Klassen 7 bis 10 sollen dann Schule, Schulträger und Eltern zusammen entscheiden, ob die Schüler weiterhin gemeinsam unterrichtet werden oder eine Differenzierung in Haupt-, Real- und Gymnasialschulklassen erfolgt. Für Schüler ab Klasse 11 sollen unabhängig von der Gemeinschaftsschule neue Oberstufenzentren eingerichtet werden, die zum Abitur führen.

Innerparteilich sind diese Pläne nicht unumstritten. Konservativere SPD-Mitglieder, vorwiegend aus dem Schulleiterbereich, wollen die Gymnasien retten. Die Einführung einer flächendeckenden Gemeinschaftsschule sei "sachlich verfehlt" und "politisch nicht durchsetzbar", kritisieren sie in ihrem Schreiben an den SPD-Landesvorstand.

Eindringlich erinnern die Autoren an das Desaster von 1978. Schon die Kommunalwahl 2009 könnte zu einer Abstimmung gegen die Auflösung der Gymnasien, also einer erneuten Niederlage für die SPD werden. Doch Kraft ist überzeugt, diesmal die Auseinandersetzung gewinnen zu können - nicht nur auf dem Landesparteitag, auf dem sie mit einer "breiten Mehrheit" rechnet. Pisa habe viel zu einer Bewusstseinsänderung in der Bevölkerung beigetragen. "Der Frust über das bestehende Schulsystem ist verdammt groß." Kraft gibt sich kämpferisch: "Wir müssen den Mut haben".


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