20.11.2007

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taz

*   Die netten Außenseiter
Von Pascal Beucker und Ulrich Schulte

Rolf B. und Robin B. hatten ihre Pläne für einen Amoklauf offenbar schon aufgegeben.

Am Freitag spielte sich um 14.15 Uhr an einer Haltestelle in der Köln eine blutige Szene ab: Der 17 Jahre alte Schüler Rolf B. warf sich vor eine Straßenbahn. Trotz einer Notoperation starb er wenig später im Krankenhaus. Drei Passanten, die die Szene beobachtet hatten, berichteten der Polizei, dass sich der Junge habe offensichtlich umbringen wollen.

Der Selbstmord ist der traurige Höhepunkt einer Tragödie, die das Kölner Georg-Büchner-Gymnasium erschüttert. Offenbar hatten Rolf B. und sein Freund, der 18 Jahre alte Robin B., einen Amoklauf an der Schule geplant - und zwar am 20. November, zum Jahrestag des Amoklaufs in Emsdetten. Dass es nicht dazu kam, ist nicht allein den Ermittlungen der Polizei zu verdanken, wie diese selbst verkündet. Doch offenbar hätten beide auch ohne das Eingreifen der Polizei nicht zur Waffe gegriffen.

Aus Sicht der Polizei hat es sich so zugetragen: Die Schüler des in einem Schulzentrum gelegenen Gymnasiums können auf einem internen Internetportal persönliche Seiten gestalten. Rolf B. hatte auf seine Seite Szenen der Attentäter an der Columbine-Highschool gestellt, die Überwachungskameras gefilmt hatten. Die Bilder hatte er aus Michael Moores Film "Bowling for Columbine". Nach einem Hinweis von Schülern informierte die Schulleitung die Polizei.

Zwei Beamte erschienen daraufhin am Freitagvormittag in der Schule. Sie wurden in einem Projekt "Gewalt an Schulen" eigens für eine solche "Gefährderansprache" geschult. "Es gab keinerlei Hinweis auf eine Gefährlichkeit oder eine Gefährdung des Jugendlichen", berichtet Polizeisprecher Georg Kraushaar. Rolf B. habe glaubhaft versichert, er habe mit den Bildern nur auf das Problem hinweisen wollen. Die Beamten ließen ihn laufen. Wenige Stunden später war Rolf B. tot.

Die nach dem Selbstmord gegründete Ermittlungsgruppe der Polizei bekam am Samstag Hinweise von Schülern: Rolf B. und Robin B. hätten gemeinsam einen Amoklauf geplant. Tatsächlich gestand der 18-jährige Robin B. in einer Vernehmung am gleichen Tag Planungen für einen Amoklauf. "Er erzählte: Wir haben vor, Leute zu verletzen und zu töten", sagt Kraushaar. Außerdem habe Robin B. zugegeben, sich mit Rolf B. nach Bauanleitungen für Rohrbomben erkundigt zu haben.

Die Polizei durchsuchte ihre Wohnungen und fand eine Liste mit 17 Namen von Schülern und Lehrern, außerdem Softair-Waffen und zwei Sportarmbrüste mit Metallpfeilen. Ferner stellten die Ermittler durchbohrte Plastikflaschen sicher, die für Schussübungen gedient hatten. Die Armbrüste sind nach Aussagen von Experten tödliche Waffen, wenn der Schütze richtig trifft. "Die haben Reichweiten von mehreren hundert Metern, aber sind in Deutschland ab 18 erhältlich", sagt ein Verkäufer eines Sportwaffengeschäfts. Allerdings dauere es eine halbe Minute, die Ambrust für einen zu Schuss zu spannen.

Für einen Amoklauf gibt es also geeignetere Waffen. Zudem fand die Polizei bei der Durchsuchung keine Materialien, die für den Bau von Molotowcocktails oder Rohrbomben nötig gewesen wären. Und: Warum schickten Polizei und Schulleitung den 17-Jährigen einfach so nach Hause?

Entscheidend aber ist die Einschätzung der Kölner Staatsanwaltschaft. Sie zweifelt daran, dass tatsächlich eine Bluttat verhindert wurde. Die Behörde beschloss gestern, Robin B. nicht dem Haftrichter vorführen zu lassen. Stattdessen wurde er in die Psychiatrie eingewiesen. "Wir gehen von einem strafbefreienden Rücktritt von der Tat aus", sagte Sprecher Alf Willwacher.

Die Staatsanwaltschaft begründet dies mit einem wichtigen Detail in Robin B.s Geständnis. Dieser hatte seinem Freund vor rund einem Monat erklärt, bei dem Plan nicht mehr mitzumachen, und sogar die Pfeile für die Armbrust zurückgefordert. Rolf B. habe daraufhin Zweifel bekommen, berichtete Robin B. den Ermittlern. "Es ging in die Richtung: Alleine ziehe ich das nicht durch." Der Straftatbestand Verabredung zu einem Verbrechen, der im Raum stand, sei somit haltlos, sagt die Staatsanwaltschaft.

Es bleibt also offen, ob die Jugendlichen die Grenze zwischen Fantasie und Wirklichkeit überschritten hätten. Am Montag danach sind die Klassenzimmer der Georg-Büchner-Schule verwaist, nur aus dem Lehrerzimmer im ersten Stock sind leise Stimmen zu hören. "Ich glaube nicht, dass er auf mich geschossen hätte", sagt ein Lehrer.

Vor den in der Aula versammelten Journalisten versucht Rektorin Beatrix Görtner ihre Fassungslosigkeit in Worte zu fassen. "Es gab keine schulischen Probleme", beteuert sie. Vor zwei Jahren hatte sie Rolf und Robin noch selbst unterrichtet. Aufgefallen sei ihr und ihren Kollegen nichts. Bei Rolf habe es sich vielmehr um einen "leistungs- und verhaltensmäßig völlig unauffälligen Schüler" gehandelt. Er sei "durchaus integriert" gewesen. Robin sei zwar "schon sehr introvertiert" gewesen, habe aber auch keinen Anlass zur Sorge gegeben. Auf der einen Seite der Aula prangt ein großes Transparent. "Menschenrechte" steht darauf. Das auf der anderen Seite zeigt eine Weltkugel, über der Martin Luther Kings "I have a dream" steht.

Schüler berichten anderes. Rolf und Robin seien "absolut nicht integriert" gewesen, sagt eine frühere Schülerin, die die beiden kannte. Der kleine und schmächtige Rolf B. sei früher gemobbt worden. "Alleine schon wegen seines Vornamens", der manchen Mitschülern wegen seiner vermeintlichen Antiquiertheit Anlass zum Spott gewesen sei. Wie es heißt, soll sich auch Robin B. gemobbt gefühlt haben. Er sei "so ein Heavy-Metal-Typ" gewesen. Aber auch er habe in keiner Weise aggressiv gewirkt. Trotz ihres Außenseiterdaseins seien die beiden Zwölftklässler "sehr sympathisch und nett" gewesen.


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