Fanatische
Feldzüge gegen Abtreibung und Homosexualität oder das Verbot
multireligiöser Schulgottesdienste in seinem Herrschaftsbereich: Kein
deutscher Kleriker repräsentiert die dogmatische Rückwärtstheologie
des Vatikans so sehr wie der Kölner Kardinal Joachim Meisner (73).
Der "Gotteskrieger vom Rhein" gilt damit inzwischen als
Vorbeter eines immer mächtiger werdenden rechten Flügels in der
katholischen Kirche.
Joachim Meisner ist ein
schwer beschäftigter Mann in diesen Tagen. Predigten zu Weihnachten
und Silvester bescherten ihm in der Lokalpresse ebenso freundliche
Berichte wie seine Aussendungsfeier für die Sternsinger am Dienstag.
Und dann absolvierte der oberste Kölner Katholik gestern Abend auch
noch als Premiere eine "jecke Messe": ein Pontifikalamt im
Hohen Dom zu Köln zum Start der diesjährigen Karnevalssession.
Schließlich gehörten Karneval und Kirche zusammen. "Unser
Brauchtum Kölner Karneval hat eine tiefe Beziehung zur Kirche",
erläuterte Festkomitee-Präsident Markus Ritterbach. So wie
Militarismus und Kirche auch: Kommende Woche steht noch ein
Soldatengottesdienst auf dem Programm.
So schnell kann's
gehen: Keinen Monat ist es her, da schwappte noch eine Welle der Empörung
über Meisner hinweg. Sein Verbot multireligiöser Schulgottesdienste
erregte die Gemüter all derjenigen, die sich die römisch-katholische
Kirche als eine modernere, aufgeklärtere und tolerantere Einrichtung
schön zu träumen versuchen und durch Meisner mal wieder unsanft
geweckt wurden. "Ich stehe im interreligiösen Miteinander dem
Papst näher als Kardinal Meisner", phantasierte nicht nur der
christdemokratische Landesintegrationsminister Armin Laschet (CDU) -
der es als früherer Chefredakteur der Kirchenzeitung für das Bistum
Aachen eigentlich besser wissen müsste - von einer theologischen
Differenz zwischen Meisner und dessen unfehlbaren Chef in Rom.
"Voll daneben" überschrieb die Westdeutsche Zeitung
ihren Kommentar über die "schlimme theologische
Fehlleistung" Meisners. Er predige "das Trennende, er wirbt
für das Teilende", empörte sich die Süddeutsche Zeitung.
Um nur aus zwei der unzähligen Zeitungsartikel zu zitieren, die sich
kräftig über den "Unstern von Köln" (SZ) erregten.
Nur die Welt lobte "Meisners klare Worte".
Für die ist der am
ersten Weihnachtstag 1933 im damaligen Breslau geborene und nach dem
Krieg im thüringischen Körner aufgewachsene Meisner seit langem berühmt
und berüchtigt. Nach eine Banklehre trat er mit 17 Jahren 1951 in das
Spätberufenenseminar Norbertuswerk bei Magdeburg ein und holte hier
sein Abitur nach. Nach einem Studium der Philosophie und Theologie
wurde Meisner Ende 1962 in Erfurt zum Priester geweiht. 1975 folgte
die Ernennung zum Titularbischof von Vina und Weihbischof in
Erfurt-Meiningen. Schließlich stieg er als Protegé des damaligen
Papstes Wojtyla im Frühjahr 1980 zum Bischof von Berlin auf. Meisners
bemerkenswert schlichtes Weltbild resultiert aus seiner
Diaspora-Erfahrung in der kirchenfeindlichen, mehrheitlich
protestantisch geprägten DDR: Hier die Heilsgemeinschaft, da der Rest
der Welt - das bestimmt bis heute sein Denken und Handeln. Zwischentöne
sind ihm fremd.
1989 wechselte er auf
Geheiß Wojtylas und gegen heftigen Widerstand des Kölner Domkapitels
von der Spree an den Rhein. Seitdem sonnt sich der für seine
fanatischen Angriffe gegen Abtreibung und Homosexualität bekannte
Rechtsausleger geradezu in der Aufregung, die seine wohl platzierten
Provokationen stets von Neuem hervorrufen. "Ich kann
missverstanden werden, das muss ich in Kauf nehmen. Aber ich werde
wenigstens gehört", lautet Meisners Credo.
Allerdings gibt es da
nicht viel misszuverstehen. Beispielsweise in Bezug auf seinen
instrumentellen - und dadurch erschreckend verharmlosenden - Umgang
mit dem Nationalsozialismus. So verkündete die "Faust des
Papstes" (Bild) 1995, mit dem Kruzifix-Urteil des
Bundesverfassungsgerichts "entartet die Kultur". Schon die
Nationalsozialisten hätten Kreuze aus Schulen verbannt: "Als sie
ihr schauriges kreuzloses Werk begannen, stürzten sie die ganze Welt
ins Unglück." 1998 verglich Meisner die Abtreibungspille RU 486
indirekt mit dem zum millionenfachen Judenmord benutzten Gas Zyklon B:
RU 486 sei kein Medikament, sondern "ein chemisches Tötungsinstrument
speziell für ungeborene Kinder". Es habe schon einmal eine ähnliche
Situation gegeben, "wo die Chemie eine Substanz konstruiert hat,
die nur den Zweck hatte, eine vom Gesetzgeber umschriebene
Personengruppe zu töten". So seien in der Nazizeit
"schlimmste Verbrechen durch den Einsatz chemischer Substanzen
verübt worden". Zuletzt sorgte Meisner Anfang 2005 für
Proteste, als er in seiner Dreikönigstagspredigt Abtreibung in eine
Reihe mit dem biblischen Kindermord sowie den Verbrechen Hitlers und
Stalins gestellt hatte: "Wo der Mensch sich nicht relativieren
oder eingrenzen lässt, dort verfehlt er sich immer am Leben: zuerst
Herodes, der die Kinder von Bethlehem umbringen lässt, dann unter
anderem Hitler und Stalin, die Millionen Menschen vernichten ließen,
und heute, in unserer Zeit, werden ungeborene Kinder millionenfach
umgebracht." Wenige Tage zuvor hatte der christliche
Fundamentalist in seiner Silvesterpredigt Abtreibung sogar als einen
"Tatbestand" bezeichnet, "der wohl alle bisherigen
Verbrechen der Menschheit in den Schatten stellt" - also auch die
Verbrechen des Nationalsozialismus.
Ein Missverständnis
ist es einzig und allein zu glauben, der "Gotteskrieger vom
Rhein" (Spiegel) mit dem schlichten katholischen Weltbild
sei nur eine nicht weiter erstzunehmende Randerscheinung in seiner
Kirche. Das Gegenteil ist richtig - auch wenn Meisner in der Deutschen
Bischofskonferenz mit ihrem moderaten Vorsitzenden Karl Lehmann bis
heute als nicht mehrheitsfähig gilt. Denn die Zeiten, als Meisner und
sein 2000 verstorbener Fuldaer Kollege Johannes Dyba hier noch als
bizarr-orthodoxe Außenseiter weitgehend isoliert waren, sind längst
vorbei. Die Kräfteverhältnisse haben sich dank der konsequenten
Personalpolitik des Ratzinger-Vorgängers Wojtyla mit den Jahren
gewandelt. Mittlerweile gilt Meisner als Anführer eines immer mächtiger
werdenden rechten Flügels. Und mit dem Amtsantritt seines Freundes
Joseph Ratzinger ist sein Einfluss weiter gewachsen. Denn keiner der
bundesdeutschen Bischöfe repräsentiert die sterile Rückwärts-Theologie
des Vatikans so konsequent, wie der 73-jährige Kleriker, der gegenüber
jeglichen theologischen Modernisierungstendenzen immun erscheint:
"Die Kirche muss mehr auf den Heiligen Geist als auf den
Zeitgeist hören."
Zudem steht Meisner
einem nicht gerade unbedeutenden Bistum vor. Sein Sprengel erstreckt
sich immerhin über eine Fläche von 6.181 Quadratkilometern, was fast
einem Fünftel der Fläche Nordrhein-Westfalens entspricht. Es ragt
mit seinem südlichen Teil bis nach Rheinland-Pfalz, im Norden über
die Ruhr bis nach Essen-Kettwig. Im Osten begrenzen Radevormwald,
Wipperfürth und Gummersbach sein Gebiet, im Westen Grevenbroich,
Kerpen und Bad Münstereifel.
Mit seinen in rund 740
Pfarrgemeinden organisierten knapp 2,2 Millionen katholischen Schäfchen
ist das Kölner Erzbistum die mitgliederstärkste deutsche Diözese.
Es verfügt über das höchste Pro-Kopf-Aufkommen an Kirchensteuer in
der Bundesrepublik, konkurriert mit Chicago um den Rang als reichste
Diözese der Welt und steckt dabei mit einem jährlichen
Haushaltsvolumen von rund 680 Millionen Euro den Vatikan locker in die
Tasche.
Auch als Arbeitgeber
darf die Katholische Kirche nicht unterschätzt werden: Immerhin rund
49.000 Menschen sind im Erzbistum über diverse Rechtsträger im
kirchlichen Dienst beschäftigt. Allerdings wird nur der geringere
Teil dieser Hauptamtlichen aus Kirchensteuermitteln bezahlt. So
finanzieren sich etwa die Personalkosten der Caritas aus den Pflegesätzen
und öffentlichen Zuschüssen. Auch für des Erzbischofs Gehalt muss
nicht sein Verein aufkommen: Das an die Besoldung eines Staatssekretärs
angelehnte Salär Meisners speist sich aus Landesmitteln.
Meisner regiert in Köln
mit harter Hand. Der Kardinal lange immer dann besonders kräftig hin,
wenn er Widerstand spüre, heißt es auch in den eigenen Reihen. Dabei
schreckt er bisweilen auch vor unkonventionellen Mitteln nicht zurück.
So verbot Meisner vor ein paar Jahren dem progressiven französischen
Bischof Jacques Gaillot einen Auftritt im Bereich seines Erzbistums.
Gaillot hatte in Bonn mit dem Paderborner Theologen Eugen Drewermann
auf einer kirchenkritischen Veranstaltung über "Christsein im 3.
Jahrtausend" diskutieren wollen. Doch Meisner berief sich auf
einen in Deutschland noch nie benutzten Paragrafen des katholischen
Kirchenrechts, nach dem ein Ortsbischof einem ortsfremden Kollegen
einen Auftritt untersagen kann, und teilte Gaillot schriftlich mit,
dass "Ihre Anwesenheit für diesen Auftritt nicht erwünscht ist
im Bistum".
Noch knapp zwei Jahre,
dann wird Meisner laut Kirchenrecht dem Papst seinen Rücktritt
anbieten müssen. Denn dann absolviert das Oberhaupt der Kölner
Katholiken seinen 75. Geburtstag. Ob Ratzinger ihn in den Ruhestand
verabschiedet oder für weitere fünf Jahre auf dem Bischofsstuhl der
Domstadt belässt, ist zumindest offiziell noch offen. In der Diözese
ist das Hoffen auf eine Ablösung ihres unbeliebten Vorstehers groß.
Namentlich zitieren lassen will sich jedoch niemand. Zu groß ist die
Angst vor möglichen Konsequenzen. Über jedem, der nicht spurt, hänge
das Damoklesschwert der Versetzung oder Kündigung, heißt es.
Wahrscheinlich ist es
indes nicht, dass Benedikt XVI. seinen treuen Weggefährten schon Ende
2008 aufs Altenteil schicken wird. Trotzdem ordnet Meisner bereits
jetzt die Verhältnisse in Köln, so dass die Geschicke des Erzbistums
auch nach seinem möglichen Ausscheiden in seinem Sinne weiter geführt
werden. Jüngstes Opfer seiner ideologisch geprägten Personalpolitik:
Meisners langjähriger Pressesprecher Manfred Becker-Huberti. Im
Urlaub erfuhr der 61-Jährige im vergangenen Jahr von seiner
bevorstehenden Ablösung: aus einem Artikel im Kölner
Stadt-Anzeiger. Nachdem der empörte Theologe seinem Dienstherrn
mit rechtlichen Schritten drohte, entschied sich das Erzbistum für
eine stille, aber kostspielige Abwicklung der Personalie.
Becker-Huberti wurde freigestellt und erhält bis zum Erreichen der
Altersgrenze in rund drei Jahren weiter die vollen Bezüge. Auf seinem
bisherigen Posten als Leiter des Erzbischöflichen Presseamtes sitzt
nun Stephan Georg Schmidt. Der Ex-Wirtschaftswoche-Redakteur
hat zudem auch noch die Chefredaktion der von 64.000 Abonnenten
gelesenen Kölner Kirchenzeitung von dem 78-jährigen Prälaten
Erich Läufer übernommen. Die hervorragendste Qualifikation Schmidts:
Der 43-jährige gebürtige Niederrheiner ist Mitglied des
erzkonservativen katholischen Netzwerks Opus Dei. Nicht das einzige im
Erzbistum.