Die Friedenskirche im Kölner
Stadtteil Ehrenfeld steht nur wenige Minuten Fußweg entfernt von der
geplanten neuen Moschee. Unter dem Titel "Was uns verbindet"
soll in dem protestantischen Gotteshaus morgen eine "Diskussion
über Frieden, Toleranz und Menschenwürde" stattfinden. Als
Diskutanten eingeladen hat das veranstaltende KulturForum TürkeiDeutschland
neben zwei Pfarrern noch die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün,
den Journalisten Günter Wallraff sowie Hüseyin Erdem, den Gründungsvorsitzenden
des kurdischen PEN-Zentrums. Und Ralph Giordano. So steht es im
Programmheft. Doch Giordano wird nicht kommen.
Der geharnischte Brief,
mit dem der streitbare 84-jährige Publizist seine Absage mitteilte,
traf das säkulare KulturForum gänzlich unerwartet. Der jeglicher
islamischer oder gar islamistischer Anwandlungen abstinente Verein
musste ungläubig zur Kenntnis nehmen, dass Giordano schon das
"auf eine falsche Harmonie" getrimmte Motto nicht passte:
"Viel wichtiger als ,Was uns verbindet' ist, was ,uns' nicht
verbindet." Er habe denn auch "keine Lust, mich mit Leuten
zusammenzusetzen", so Giordano weiter, "die die übliche
Beschwichtigungs- oder Ableugnungsrhetorik auffahren, wenn es um die
wunden Punkte geht." Die reichen für ihn von den "in der
Islamkultur verankerten ,Ehrenmorden'" über Hassprediger,
Antisemitismus und Israelfeindschaft bis hin zu "klammheimlichen
und offenen Sympathien für den Terror aus dem Islam".
Darüber hinaus sei er
"angesichts gescheiterter Integration" gegen den Bau einer
Großmoschee in Ehrenfeld, weil dies eine "Provokation" sei:
"Was sich da in Deutschland tut - Moscheen schießen wie Pilze
aus der Erde - beunruhigt mich aufs tiefste." Und außerdem, so fügt
er noch hinzu: "In meinen Augen war die Türkei nie Europa, ist
es nicht und wird es nie sein." Diese "Suada", so endet
Giordano, sei "so etwas wie der Vorbote jener öffentlichen
Kritik am Islam, die die Publizistik meiner restlichen Tage bestimmen
wird". Nach den Aufregungen der vergangenen Tage steht fest:
Genau dieser "Vorbote" war das der taz vorliegende
und bisher unveröffentlichte Schreiben, datiert vom 27. Januar.
Stammtischparolen
Es gibt Sätze, die
riechen etwas streng. Dieser gehört dazu: "Es sind Deutschlands
großzügiges Ausländerrecht und seine bereitwillige Sozialhilfe
gewesen, die es zum bequemen Aufenthaltsort für Terroristen gemacht
haben." Großzügiges Ausländerrecht, bereitwillige Sozialhilfe?
Auch dies müffelt nach Stammtisch: "Die sich da empören, hier
als Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden, stammen aus Ländern,
in denen Nichtmuslime sich freuen würden, wenn sie nur Bürger
zweiter Klasse wären." Zumal ja die stärksten
Integrationshemmnisse "aus dem Integrationsreservoir selbst"
kämen: "Mit der Existenz großer muslimischer Massen als Folge
einer verfehlten Einwandererpolitik hat sich der Alte Kontinent, allen
voran Frankreich, Großbritannien und Deutschland, ein Kuckucksei ins
Nest gelegt, von dem niemand weiß, was ausgebrütet herauskommen
wird."
Originell sind solche
"Erkenntnisse" nicht. Nur ihr Autor ist neu: Ralph Giordano
formuliert sie in seiner im März bei Kiepenheuer & Witsch
erschienenen Autobiographie "Erinnerungen eines
Davongekommenen". Allerdings ist darin nur wenige Seiten zuvor
auch zu lesen, er definiere sich als "glaubenslosen
Humanisten", der jede Religion für einen
"Menschheitswahn" halte. Sein Umgang mit Menschen sei indes
unabhängig davon, ob sie glauben oder nicht: "Ich beurteile sie
nicht nach ihrem Verhältnis zu Gott, sondern nach ihrer Beziehung zum
Menschen."
Wie das eine mit dem
anderen zusammenpasst? Rational gar nicht. Robert Misik schrieb kürzlich
über dieses Phänomen in der taz: "Die Angstlust vor dem
gefährlichen Moslem grassiert. Angesichts der internationalen
Frontstellung zwischen ,dem Islam' und ,dem Westen', angesichts von
ethnisch segregierten Einwandercommunities in Großstädten, von
anatolischen Paschas, türkischen Jugendbanden und Kopftuchträgerinnen
wähnt man neuerdings sogar in feingeistigen Schichten das Abendland
in Gefahr. Auch mancher einstige Linksliberale klingt da, als wäre er
heute in der NPD."
Auf
"Pro-Köln"-Kurs?
Die Gelegenheit ließ
sich die "Bürgerbewegung pro Köln" nicht entgehen. Mitte
Mai vermeldete die rechtsextreme Vereinigung, die es zur
Stadtratsfraktion gebracht hat, triumphierend: "Giordano auf
pro-Köln-Kurs". Anlass war eine Sendung im Internetfernsehen des
Kölner Stadt-Anzeigers. Zur Premiere von "Streit im
Turm" hatte sich Chefredakteur Franz Sommerfeld das Thema
Moscheeneubau ausgesucht. Aus gutem Grund: In seiner Autobiographie
hatte Giordano erstmals seine Ablehnung einer breiteren Öffentlichkeit
zugänglich gemacht: "Der Stand der Integration jedenfalls
rechtfertigt nicht die Inflation von Moscheen, die in Deutschland
hochschießen wie die Pilze, darunter Großmoscheen in Duisburg und Köln."
Das Aufeinandertreffen
mit Bekir Alboga, dem Dialogbeauftragten der Türkisch-Islamischen
Union der Anstalt für Religion (DITIB), versprach hohen
Unterhaltungswert. Immerhin ist der vom türkischen Staat an der
kemalistisch-laizistischen Leine geführte gemäßigt-konservative
muslimische Dachverband Bauherr jener Kölner Moschee. Und Giordano
erfüllte die Erwartungen: Das von CDU, SPD, Grüne, FDP und
Linkspartei im Stadtrat sowie den beiden Kirchen und auch der Kölnischen
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit unterstützte
Projekt sei ein "Religionsausdruck einer anderen, einer fremden
Kultur", verkündete der Wahlkölner. Er "begreife nicht,
wie Stadträte und der Oberbürgermeister so etwas legitimieren".
Schließlich gebe es "kein Grundrecht auf den Bau einer zentralen
Großmoschee". Als sich Alboga auf die grundgesetzlich
garantierte Religionsfreiheit berief, beschied ihm Giordano: "Die
Argumentation kennt man ja: Sie setzen christlich-jüdisches
Traditionsgut gleich mit muslimischen. So geht das nicht."
"Pro Köln"-Chef
Markus Beisicht jubilierte: "Nach dem Motto von Clausewitz
,getrennt marschieren - vereint schlagen' vergrößern sich durch
Giordanos profilierte Stellungnahme unsere Chancen, den Großmoschee-Bau
verhindern zu können", freute sich der ehemalige Funktionär der
"Republikaner" und der Deutschen Liga für Volk und Heimat.
"Bei aller seit Jahren offensiv gepflegten, profilierten
Gegnerschaft, die zwischen Herrn Giordano und uns besteht, können wir
doch feststellen, dass sich unsere Aktivitäten hervorragend ergänzen."
Keine
Berührungsängste
In welch unangenehme Nähe
ausgerechnet ihn seine Ausführungen über den Islam im Allgemeinen
und den Kölner Moscheeneubau im Besonderen bringen könnte, war
Giordano von Anfang an bewusst. Es sei "der Schulddruck aus der
Nazizeit", der solche Töne wie die seinen wie auch Kritik an
"Ausländern" generell "eher ungewöhnlich sein lässt
- aus Furcht, in die falsche, die neonazistische, rechtsextreme Ecke
gestellt zu werden", schreibt der im Nationalsozialismus als Sohn
einer jüdischen Mutter Verfolgte in seinem Brief vom Januar.
"Ich, der Hitlers Holocaust knapp entkommen ist, habe solche Berührungsängste
nicht, weil ich gar nicht in den Verdacht kommen kann, die gleichen
Ablehnungsmotive wie die zeitgenössische Variante des
Nationalsozialismus zu haben."
Auch bei seinem
Internetfernsehauftritt titulierte er "pro Köln" so.
Nachdem jedoch nicht einmal diese Zuschreibung die braunen Gesellen
von ihrem Vereinnahmungsversuch abbringen konnte, legte Giordano in
der Bild nach: Der "tiefbraune" Verein sei nicht nur
die "lokale Parteivariante des zeitgenössischen
Nationalsozialismus", sondern es handele sich hier auch noch um
Leute, "die mich am liebsten in eine Gaskammer stecken würden,
wenn sie könnten, wie sie wollten". Das brachte das erwünschte
Resultat: Auch wenn sie betonte, in ihm weiterhin "eine der
Galionsfiguren im Kampf gegen die Kölner Großmoschee" zu sehen,
stellte die selbst ernannte "Bürgerbewegung" Strafantrag
wegen Beleidigung und Verleumdung. Nach einer anwaltlichen Abmahnung
hat Giordano ihr jetzt mitteilen müssen, er werde die inkriminierte
Äußerung nicht wiederholen.
"Multikulti-Illusionisten"
In punkto Islamkritik
hat Giordano hingegen nachgelegt. Gerade veröffentlichte er im Kölner
Stadt-Anzeiger ein "Manifest zur Verteidigung der
Meinungsfreiheit". In dem macht er gegen muslimische Verbände
ebenso Front wie gegen vermeintliche "professionelle
Multikulti-Illusionisten" und "xenophile Anwälte aus der
linksliberalen Ecke", die "gnadenlose Verneiner berechtigter
Eigeninteressen der Mehrheitsgesellschaft" seien.
Während die Süddeutsche
Zeitung Giordano vorhielt, "dass in seinen Äußerungen
derzeit die Wut regelmäßig den Verstand besiegt", bemerkte die FAZ
spitzzüngig, der Publizist sei "nicht gerade der Habermas unter
den Argumenteträgern". Giordano sei ein "eiliger Denker,
der es mit seinen Begründungen nicht so penibel nimmt, Hauptsache,
eine Meinung steht".
Tatsächlich beschränkt
sich Ralph Giordano zur Erhöhung seiner politischen Durchschlagskraft
bisweilen auf schlichte Schwarz-Weiß-Bilder. Dem Humanisten und Aufklärer
sind viele wichtige gesellschaftliche Interventionen zu verdanken.
Dass seine derzeitige dazugehört, ist leider zu bezweifeln.