04.03.2008

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einestages

* Der alternative Altnazi
Von Pascal Beucker 

Die Partei der Zukunft, ein Mann mit Vergangenheit: Vor genau 25 Jahren zogen die Grünen erstmals in den Bundestag ein - und hatten sofort einen handfesten Skandal an den Hacken: einen Abgeordneten mit NS-Vergangenheit.

An seinen Namen erinnert sich kaum einer - dabei schien sein Platz in den Geschichtsbüchern sicher: Werner Vogel. Als erster Grünen-Abgeordneter überhaupt sollte Vogel vor genau 25 Jahren im Deutschen Bundestag an das Rednerpult treten. Soeben hatte die junge Partei bei der Wahl am 6. März 1983 mit 5,6 Prozent der Stimmen und 27 Mandaten den Sprung ins damalige Bonner Parlament geschafft - unter ihnen als Nr. 1 der nordrhein-westfälischen Landesliste der 75-jährige Pensionär aus Mettmann bei Düsseldorf.

Als Senior der neugewählten Abgeordneten stand dem Ministerialrat a. D. ein ganz besonderes Privileg zu: Traditionell eröffnet der älteste Abgeordnete als Alterspräsident die konstituierende Sitzung des neuen Bundestages. Vogel war voller Vorfreude auf diesen historischen Moment. Mit "Sachlichkeit und Ernst", so ließ er wissen, wolle er seine Eröffnungsansprache vortragen. Doch Werner Vogel durfte seine große Rede nie halten. Noch bevor das Parlament zusammentrat, war er zurückgetreten, verstoßen, gestolpert über seine eigene Vergangenheit.

Dabei war Werner Vogel alles andere als der aufmüpfige Bürgerschreck, als welche die Medien seine grünen Parteifreunde gerne abstempelten. Er trug weder Sandalen noch Turnschuhe, keine Norwegerpullover oder lange Haare. Seine politischen Erfahrungen hatte er nicht in der Studentenbewegung, im Kampf gegen die Atomkraft, für Frauenrechte oder Frieden oder gar einer K-Gruppe gesammelt. Der dürre Herr mit der sanften Stimme war durch und durch deutscher Beamter, der einen großbürgerlichen Gesprächskreis ("Christ in Verantwortung") pflegte, einem Kegelklub angehörte und Alter Herr einer schlagenden Studentenverbindung war - wie die Schmisse in seinem Gesicht unübersehbar belegten.

Lücke im Lebenslauf

Doch war Vogel von Anfang an eine feste Größe in dem bunten Haufen namens Grüne. Bereits 1980, dem Gründungsjahr der Bundespartei, kandidierte er - noch vergebens - bei der nordrhein-westfälischen Landtags- wie bei der Bundestagswahl. Mit 183 von 198 Stimmen wurde er dafür in den Landesvorstand der Grünen in NRW gewählt - seine "großväterliche integrative Fähigkeiten" und sein soziales Engagement beeindruckten die Grünen-Aktivisten.

Vogel leistete Migranten und Flüchtlingen Rechtsbeistand, trat für die Rechte von Homosexuellen ein, betreute Strafgefangene, Rauschgiftsüchtige und Trebegänger. Sein Politikverständnis sei "geprägt von einer milden Liebesbereitschaft", schrieb der SPIEGEL über den sanftmütigen Politrentner, der sogar die Hauptrolle in einem der ersten grünen TV-Wahlspots spielte. "Opa, warum sind die Fische tot?", fragt ihn darin ein kleines Mädchen. "Weil die Industrie das Rheinwasser vergiftet hat", antwortet Vogel.

Für die Vergangenheit des gutmütigen Großvaters vom Jahrgang 1907 interessierten sich die Grünen nicht. Keinem fiel so richtig auf, dass in Vogels schriftlicher Bewerbung für einen Platz auf der NRW-Landesliste für die Bundestagswahl 1983 für die Zeit des Nationalsozialismus eine Lücke klaffte; lediglich als "Kriegsteilnehmer" hatte sich Vogel dort geoutet. Die Grünen von Rhein und Ruhr hatten ihn dennoch ohne Nachfrage und in Abwesenheit (er war lieber in Urlaub gefahren als zum Parteitag nach Geilenkirchen zu kommen) zu ihrem Spitzenkandidaten erkoren.

Die Lücke im Lebenslauf allerdings hatte ihren Grund: Der Kandidat hatte seinen Parteifreunden seine Verstrickung in die NS-Diktatur vorenthalten.

Im Windschatten des "Alten Kämpfers"

Bereits mit 15 Jahren hatte sich der Sprössling einer deutsch-nationalen Familie aus Offenbach der "Bismarck-Jugend" angeschlossen (der auch der altersgleiche spätere Nazi-"Märtyrer" Horst Wessel angehörte). Von dort führte ihn sein Weg über den "Jungstahlhelm" in die SA; als Vogel 1934 sein Assessorexamen ablegte, trug er bereits die Uniform eines SA-Truppführers. Im Jahr der "Machtergreifung "Hitlers, 1933, beantragt Vogel das erste Mal die Mitgliedschaft in der NSDAP, 1938 wird er endlich Parteigenosse.

Ebenfalls 1938 kam Vogel als Beamter ins Berliner Reichsministerium des Inneren. Sein Vorgesetzter dort ist Staatssekretär Wilhelm Stuckart. Der ist mit Vogel bestens bekannt, man duzt sich: Stuckart - NSDAP-Mann der ersten Stunde, hoher SS-Offizier und 1942 einer der Teilnehmer der berüchtigten Wannsee-Konferenz zur "Endlösung" der Judenfrage - ist der angeheiratete Onkel seiner damaligen Frau. Als im März 1939 die Wehrmacht in Prag einmarschiert, begleitete Vogel Stuckart in die besetzte Stadt und wohnte Hitlers Proklamierung des Protektorats Böhmen und Mähren bei. Im selben Monat wird der treue Staatsdiener und Pg. zum SA-Sturmführer ernannt.

Dann kommt der Krieg. Der junge Regierungsrat Vogel wird kurz vor dem Überfall auf Polen als Leutnant zur Wehrmacht eingezogen. An der Ostfront gerät er 1945 in sowjetische Gefangenschaft; wegen seiner früheren Position im NS-Apparat schicken ihn die Russen für 25 Jahre nach Sibirien; erst 1953 kehrt er als Mitvierziger nach Deutschland zurück. Ab 1954 arbeitete Vogel wieder als Beamter im Düsseldorfer Innenministerium; unter seinen Kollegen galt er als "sehr rechtsbewusster und untadeliger Beamter". Als Leitender Regierungsrat geht Vogel 1972 in Pension.

Tränen auf der Krisensitzung

Politisch hatte sich Vogel nach dem Krieg kurz in der nationalkonservativen Deutschen Partei engagiert, dann bis Anfang der Sechziger mit Erich Mendes nationalliberaler FDP geliebäugelt. Über den lodengrünen CDU-Renegaten Herbert Gruhl ("Ein Planet wird geplündert") und dessen öko-konservative "Grüne Aktion Zukunft" landete Vogel schließlich bei den Grünen. Dort gelingt ihm noch eine späte Polit-Karriere, die ihn 1983 in den Bundestag führt. Fast.

Erste Gerüchte über die braune Vergangenheit eines der neuen Grünen-MdBs kursierten unter Bonner Journalisten bereits am Tag nach der Wahl. Am folgenden Freitag fragte die Nachrichtenagentur Associated Press bei den Grünen an, ob Vogel Mitglied der NSDAP und der SA gewesen sei; eine deutsche Sonntagszeitung bereite einen entsprechenden Artikel vor. Vogel gab die Mitgliedschaften umgehend zu, beteuerte jedoch, er habe "nichts getan, was ich mir persönlich vorwerfen müsste".

Die siegestrunkenen Grünen trafen die Schlagzeilen völlig unvorbereitet. Eine Wahlnachlese in Bonn am Wochenende nach dem Urnengang geriet zur turbulenten Krisensitzung: Die einen verlangten von Vogel den sofortigen Mandatsverzicht, andere wollten, dass er in der Rede als Alterspräsident seinen Rücktritt erklärt. Wieder andere meinten, dass Vogel das Mandat annehmen soll – schließlich sei er "geläutert". Tränen fließen, dann ist klar: eine deutliche Mehrheit will Vogels Abgang. Der fügte sich schweren Herzens. "Ich bin von meiner Vergangenheit eingeholt worden", erklärt er vor der Presse.

Bekenntnis ohne Folgen

Auch noch nach Vogels Verzicht sorgte der Fall weiter für heftige Verwerfungen bei den Grünen. Denn alsbald kam heraus, dass der geschasste Fast-Alterspräsident seine NS-Vergangenheit keineswegs gezielt verheimlicht hatte. Auf einer Klausurtagung in Altenmelle hatte sich Vogel vielmehr schon 1981 dem NRW-Landesvorstand offenbart. "Wie ihr schon aus meinem Geburtsdatum erkennen könnt, gehöre ich zu denen, die alle Grundtorheiten dieses Jahrhunderts mitgemacht haben", hatte er seinerzeit den übrigen zwölf Teilnehmern erklärt - und Auskunft über seinen Lebensweg inklusive der Mitgliedschaften in SA und NSDAP gegeben.

Doch sein Bekenntnis blieb folgenlos. Es sei damals ein "für uns selbst schwer erklärbarer Vorgang abgelaufen, über den wir sehr erschrocken sind", verlautbarte die grüne NRW-Spitze dann, als der Skandal zwei Jahre später über sie hereinbrach. "Niemand von uns hat noch jemals über Werners NS-Vergangenheit nachgedacht und das obwohl wir uns alle als dezidierte Antifaschisten verstehen."

Für Vogel zog am 29. März 1983 der 28-jährige Maurer Dieter Drabiniok aus Bottrop in den Bundestag ein. Die Eröffnungsrede als Alterspräsident hielt an diesem Tag der damals 69-jährige SPD-Vorsitzende Willy Brandt, ein Exiliant und aktiver Gegner des Nationalsozialismus. Als erster Grüner trat in der konstituierenden Sitzung der 35-jährige Bochumer Studienrat Eckhard Stratmann ans Rednerpult, in Cordhosen und offenem Hemd - nach dem Abritt Vogels trug in der Grünen-Fraktion nur noch Otto Schily Anzug und Krawatte.

Werner Vogel, der Mann, der nicht Alterspräsident werden durfte, blieb den Grünen noch einige Jahre treu und engagierte sich auf kommunaler Ebene für die Partei. Für Schlagzeilen sorgte er bis zu seinem Tod 1992 nicht mehr. Geblieben ist der Wahlwerbespot von 1980, der gerne auf grünen Jubiläumsfeiern gezeigt wird und immer für Erheiterung sorgt. Manch einer fragt sich, wer wohl der ältere Mann in dem Film ist. Eine Antwort gibt es meistens nicht.

Auch in seiner eigenen Partei ist Werner Vogel längst vergessen.


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