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02/2008

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*   Die neue Heimat
Von Pascal Beucker

Privates Lokal- und Regional-TV erlebt an Rhein und Ruhr eine Renaissance: Immer mehr Verlage wittern ein Geschäft und beantragen eine Lizenz. Vorreiter Andre Zalbertus drängt es mit seinem „Heimatfernsehen“ schon über die Grenzen Nordrhein-Westfalens hinaus.

Wenn Michael Schwan wochentags um 18 Uhr „die Nachrichten aus Köln und der Region“ präsentiert, dann gehören Worte wie „wunderschön“, „wunderbar“ und „toll“ zum Standardrepertoire des „Heimatreporters“. Kritische journalistische Distanz beinhaltet das Programmkonzept von Center.tv eher nicht. Auch für die durchaus vorhandenen Schattenseiten der Domstadt bleibt kein Platz. Schließlich soll ein positives Feeling vermittelt werden.

Außerdem gibt es in Köln mehr als 100 Karnevalsvereine. „Wir zeigen alle“, sagt Center.tv-Gründer Andre Zalbertus stolz. Und den 1. FC Köln. Da bleibt auch in der einzigen aktuellen Nachrichtensendung des Senders nicht mehr viel Zeit für andere Themen.

Export in Ballungsräume. Seit Oktober 2005 ist das kölsche „Heimatfernsehen“ – so die Selbstbezeichnung – auf Sendung. „Hautnah draußen bei den Menschen“ will es sein. Emotionen sollen geweckt, die Herzen der Zuschauer erreicht werden. Auf weitergehende journalistische und intellektuelle Ansprüche verzichten die Macher hingegen großzügig. Denn die könnten kostspielig sein. Dass Center.tv genau dies nicht sein will, ist jedoch ein, wenn nicht das entscheidende Erfolgsrezept des agilen Medienunternehmers Zalbertus. Er träumt davon, sein Low-Budget-Produkt in immer mehr deutsche Ballungsräume zu exportieren.

Zalbertus will seine Center.tv-Gruppe zu einer riesengroßen „Heimatcommunity“ ausbauen. „Was in Köln funktioniert, kann überall klappen“, ist der TV-Unternehmer überzeugt. Noch ist nicht entschieden, ob sich mit dieser Variante des Fernsehens richtig Geld verdienen lässt. Aber auf jeden Fall minimiert sie die Verluste – und hat damit Begehrlichkeiten geweckt.

Verlage machen TV. Ausgerechnet die nordrhein-westfälischen Zeitungsverleger entdecken derzeit ihr bereits verloren geglaubtes Faible für die bewegten Bilder wieder und drängen mit Macht in das regionale und lokale Privatfernsehgeschäft. So sicherte sich die LW Medien GmbH & Co KG des Dortmunder Verlagshauses Lensing-Wolff, derzeit eher bekannt für seinen skandalträchtigen Umgang mit der Redaktion der Münsterschen Zeitung, Mitte Oktober 2007 für zehn Jahre die Lizenz für das von ihr avisierte TV Münster.

Auch das Medienhaus Aschendorff, in dem der Münsteraner Zeitungsmarktführer Westfälische Nachrichten erscheint, hat eine Fernsehlizenz beantragt. Derzeit bespielt nur das Bocholter wm.tv (das Kürzel steht für Westmünsterland-TV) Teile des Münsterlands. Zu empfangen ist der Minisender in den Kabelhaushalten der Kreise Borken, Coesfeld, Steinfurt und Recklinghausen. Ursprünglich war wm.tv nur ein kleines Lokalfenster im Programm von tv.nrw, dann wurde es im Zuge des Scheiterns des landesweiten Senders im Mai 2005 von der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) für vier Jahre mit einer eigenen Lizenz ausgestattet.

Gerangel an der Ruhr. Im Ruhrgebiet, wo bisher nur das Stadtfernsehen Studio 47 wochentags von 18 bis 20 Uhr mit seinen Sendungen den lokalen Markt in Duisburg bedient, will sich die WAZ-Gruppe das Fernsehgeschäft erschließen. Im Herbst 2007 mussten die mächtigen Essener jedoch ausgerechnet in ihrem Stammgebiet eine herbe Schlappe einstecken. Die Landesmedienanstalt beschloss, zunächst einmal dem Ruhrgebietsableger von Center.tv die Zulassung zu erteilen. Die Medienkommission der LfM entschied zudem, dass Center.tv Region Ruhr, wie der Sender heißt, in die Kabelnetze von Oberhausen, Mülheim, Essen, Bottrop, Gelsenkirchen und Bochum „vorrangig“ eingespeist werden kann.

Die Medienkommission entscheidet auf der Grundlage des nordrhein-westfälischen Landesmediengesetzes über die Kabelbelegung an Rhein und Ruhr. Hierbei legt sie die Kanäle der gesetzlich vorgegebenen öffentlich-rechtlichen Programme ARD, ZDF, WDR, Arte, 3sat, Phoenix und Kinderkanal sowie die von der LfM lizenzierten Offenen Kanäle fest.

Nicht auf Dauer. Sofern in den Kabelnetzen keine ausreichenden Übertragungskapazitäten zur Einspeisung analoger Hörfunk- und Fernsehprogramme verfügbar sind, trifft die Kommission eine Vorrang-Entscheidung. LfM-Direktor Norbert Schneider betont, dass es sich bei der Entscheidung für Center.tv nicht unbedingt um eine Entscheidung auf Dauer handelt: „Wenn die LfM weitere Veranstalter für diese Region zulässt, wird sie, was die vorrangige Kabelbelegung betrifft, die erforderliche Auswahl treffen müssen.“

Kooperationen. Der analoge Lokalfernseh-Kabelplatz ist eine nicht zu unterschätzende Vorraussetzung für den möglichen Erfolg. Denn dieser Platz, von dem es in jedem Netz nur einen gibt, sichert die Verbreitung. In Köln strebt M. DuMont Schauberg (Kölner Stadt-Anzeiger, Mitteldeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau) ins Kabelnetz und hat deswegen ebenfalls einen Lizenzantrag gestellt. Als strategischen Partner hat sich die Kölner Verlagsgruppe die Germany 1 Media AG mit ins Boot geholt. Auch die WAZ kooperiert mit dem Medienunternehmen des einstigen Gründungsgeschäftsführers der Hamburger Grün-Alternativen Liste Ingo Borsum. So sollen Ängste ausgeräumt werden, man wolle zu viel Meinungsmacht bündeln.

Kaum Auskunft. Die Germany 1 Media AG verfügt mit Beteiligungen an den Metropolensendern Hamburg 1 und TV.Berlin bereits über einschlägige Erfahrungen im Ballungsraumfernsehen. Laut Betreiberangaben soll Hamburg 1 inzwischen sogar die Gewinnzone erreicht haben. Der Schwestersender TV.Berlin sei auf dem besten Wege dorthin. Präzise Zahlen sind allerdings Mangelware. Nicht einmal der Umsatz wird verraten. Man lässt sich nicht gerne in die Karten schauen. Die Germany 1 Media AG mischt auch in der 2006 eröffneten Düsseldorfer Filiale von Center.tv mit. An der ist außerdem die Rheinisch-Bergische Verlagsgesellschaft (Rheinische Post) maßgeblich beteiligt.

Auf den ersten Blick erstaunt das Regionalfernsehengagement der Rheinisch-Bergischen Verlagsgesellschaft ebenso wie das von M. DuMont Schauberg und der WAZ-Gruppe.

Teure Billigware. Schließlich waren die drei schon einmal an einem formidablen Flop beteiligt: tv.nrw. Viel Geld versenkten sie in dem in Dortmund produzierenden Pleiten-, Pech- und Pannensender, der im Oktober 2001 seinen regulären Sendebetrieb aufgenommen hatte. Nicht weniger als dem großen öffentlich-rechtlichen WDR wolle man Konkurrenz machen, tönte es seinerzeit vollmundig. Doch die Verlagshäuser hatten sich kräftig verhoben. Heraus kam teuer produzierte Billigware. Zuletzt jagte eine schlecht gemachte Kochshow die andere – ansonsten war tv.nrw weitgehend zur Abspielstation von Fremdprogrammen mutiert: Call-in-Shows von Neun Live, News von Bloomberg TV, nächtens gerne auch "Sexy-Clips".

Kein Bezug zu NRW. Ende 2004 zog die LfM die Notbremse und drohte, tv.nrw werde das Privileg als landesweites Programm verlieren und bei der Kabelbelegung keine vorrangige Berücksichtigung mehr finden. Hintergrund des Beschlusses bildete eine Programmanalyse, die das Institut für Medienforschung Imgö im Auftrag der LfM erstellt hatte. Danach hatten durchschnittlich nur 8,1 Prozent der Gesamtsendezeit einen Bezug zu Nordrhein-Westfalen. Mit Blick auf konkrete redaktionelle Inhalte und ohne die Berücksichtigung von Wiederholungen erreichte tv.nrw sogar nur ein regionales Programmvolumen von 6,4 Prozent – viel zu wenig nach Ansicht der Medienwächter.

Betrieb eingestellt. Allerdings gewährten sie dem Sender noch eine Galgenfrist: Bis Mitte 2005 sollte tv.nrw noch die Möglichkeit haben, „den in der Vergangenheit oft gemachten Programmversprechen Taten folgen zu lassen“, sagte der damalige Medienkommissionsvorsitzende Wolfgang Hahn-Cremer. Doch tv.nrw stellte den Sendebetrieb kurz vor Verstreichen der Frist ein. „Es macht keinen Sinn mehr, den Sender unter den gegebenen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen weiterzuführen“, erklärte der damalige tv.nrw-Geschäftsführer und frühere Vox-Programmchef Jörg Schütte seinerzeit der taz.

Dabei war die Pleite nicht nur hausgemacht. Möglicherweise kam tv.nrw auch einfach nur zur falschen Zeit. Denn als der Sender startete, galt noch das alte Landesmediengesetz, das kein kommerzielles Metropolen- oder Ballungsraumfernsehen erlaubte, sondern nur ein landesweites Programm.

Flächenlandprobleme. Das Problem: Als nur schwer greifbare „Zwischenebene“ zwischen bundesweiter Ausstrahlung und lokaler Zielgruppenansprache ist ein (Flächen-)Bundesland als Orientierungsrahmen für die Werbewirtschaft offenkundig einfach nicht attraktiv genug – was im Printbereich auch die Süddeutsche Zeitung und die taz schmerzlich erfahren mussten. Sie stellten ihre Nordrhein-Westfalen-Beilagen 2003 beziehungsweise 2007 aus ökonomischen Gründen wieder ein. Aber auch bei den potenziellen Zuschauern hält sich die Begeisterung für Landesthemen in Grenzen, was ein Blick auf die öffentlich-rechtliche Konkurrenz zeigt: Die Quotenbringer des WDR sind vor allem die „Lokalzeiten“, die quer über das Land verteilt von Aachen über Siegen bis Bielefeld aus elf verschiedenen Studios senden.

Das neue Landesmediengesetz, mit dem erstmals auch eine Gesetzesgrundlage für privates Ballungsraumfernsehen – inklusive der höchst umstrittenen Zulassung einer bis zu 100-prozentigen Verlegerbeteiligung – geschaffen wurde, trat im Juli 2002 in Kraft. Zu einer radikalen Umstrukturierung und Aufsplitterung von tv.nrw hin ins Lokale fehlte den Verlegern da wohl schon der Mut, zumal Beispiele andernorts belegten, dass auch regional ausgestrahlte Privatprogramme nicht zwangsläufig als Gelddruckmaschinen taugten.

Vorhersehbare Pleite. So hatte Leo Kirch in München, Berlin und Hamburg zuvor mit dem Ballungsraumfernsehformat gespielt und dabei an den drei Standorten Verluste von insgesamt mehr als 100 Millionen Euro produziert. Kirch nutzte seine Lokalsender vorrangig als Abspielstationen seines umfangreichen Filmarchivs. Mit Uraltware wie „Bonanza“ und dem „Bergdoktor" trat er gegen die Dominanz des öffentlich-rechtlichen Regionalfernsehens an – und vergraulte damit Zuschauer wie Werbekunden. Eine vorhersehbare Pleite, wie Bernhard Bertram, der heutige Geschäftsführer des Ex-Kirch-Senders Hamburg 1, konstatiert: „Man muss sich immer vor Augen halten, dass man nur eine Nische befriedigt.“ Erst seitdem sich die Metropolensender auf ihre Rolle als lokale Informationsplattform beschränkten, gehe es aufwärts.

"Zalbertus-Effekt". Vielleicht fehlte den nordrhein-westfälischen Verlegern einfach der Ideenreichtum, wie es anders gemacht werden könnte. Fast ein Jahr nach der Änderung des Landesmediengesetzes stiegen im Juni 2003 als erste die WAZ und die Rheinisch-Bergische Verlagsgesellschaft bei tv.nrw aus und verkauften ihre jeweils 30-prozentigen Anteile. Man sehe derzeit „keine Entwicklungschancen für regional ausgerichtete Sender“, hieß es in einer Stellungnahme der WAZ-Gruppe. Nur M. DuMont Schauberg hielt bis zum Ende durch.

Auch der tv.nrw-Nachfolger mit dem originellen Namen NRW.TV kann nur schwerlich für die Renaissance des privaten Lokal- und Regionalfernsehens in NRW verantwortlich gemacht werden. Der Sender von Journalist Karl-Ulrich Kuhlo und Ralf G. Neumann, dem langjährigen Gesellschafter der Werbeholding BBDO, hat es über eine Schattenexistenz nie hinaus gebracht.

Geschuldet ist die Wiederbelebung des Genres wohl eher jenem Phänomen, das in der Branche als „Zalbertus-Effekt“ bezeichnet wird. Denn Andre Zalbertus, der das journalistische Handwerk bei RTL lernte und für den Privatsender Anfang der 90er Jahre aus Moskau berichtete, hat bewiesen, dass Fernsehen zum Billigpreis möglich ist. 1995 gründete der gebürtige Düsseldorfer in Köln seine eigene Produktionsfirma. Die AZ Media, die im Frühjahr 2007 zu 90 Prozent von der Verlagsgesellschaft Madsack und der ARD-Tochter Studio Hamburg übernommen wurde, avancierte schnell zu einem der wichtigsten Lieferanten für RTL und produziert auch Magazine, Reportagen, Dokumentationen und Soaps für andere Sender.

Discounter-TV. Zalbertus schuf den Typus des „Videojournalisten“. 2002 begann er in seiner Firma, die ersten 15 Volontäre zu solchen kostengünstigen Allroundern auszubilden. „VJs“ filmen und schneiden ihre Beiträge selbst, machen bisweilen auch noch vor Ort die Aufsager – zur Not mit der Handykamera. Zalbertus schwärmt: „Die Daten aus ihren Kameras können wir direkt ins Programm bringen – und zudem auch noch ins Internet. Oder in eine Zeitung. Geht alles.“

Sechs Stunden täglich sendet Center.tv live aus dem Studiokomplex Coloneum im Kölner Stadtteil Ossendorf, der Rest wird mit Aufzeichnungen und Wiederholungen bestritten. Herkömmliche Regionalsender müssten mit einem Jahresetat von 20 bis 30 Millionen Euro kalkulieren. Beim Kölner Discounter-Fernsehen, das rund 50 überwiegend jüngere Festangestellte zählt, wird mit anderen Summen gerechnet: „Wir kommen mit einem niedrigen einstelligen Millionenbetrag aus“, verrät Zalbertus. Außer in der Domstadt und in Düsseldorf gibt es Center.tv seit 2007 in Bremen und Bremerhaven; für Aachen und den Niederrhein sind Lizenzen beantragt. Auch Hannover hat Zalbertus nach eigenem Bekunden im Blick. „Da muss allerdings noch das Landesmediengesetz entsprechend angepasst werden.“

Pepe ist weg! Im Ruhrgebiet soll Center.tv in diesen Tagen starten. Zunächst in Essen angesiedelt, soll das digitale Studio alle sechs Monate wandern. Als weitere Sendeorte stehen zunächst Gelsenkirchen, Herne, Oberhausen und Bochum auf der Liste. Weitere sollen folgen. Die Sendetechnik sei entsprechend flexibel und für das Studio genügten 120 Quadratmeter, sagt Zalbertus. „Uns reicht ein größeres Ladenlokal.“

Die Ansprüche sind so bescheiden wie das Niveau mancher Sendungen. „Der Hund ist weg!“, alarmierte der kölsche Center.tv- Anchorman Michael Schwan unlängst sein Publikum. Pepe, der schwarz-braun-weiße Mischlingsrüde der Familie Hörstensmeyer sei ausgebüxt. „Wenn Sie Pepe irgendwo gesehen haben, melden Sie sich einfach.“ Kann so etwas funktionieren? „Center.tv ist in Köln mittlerweile Kult geworden“, sagt Andre Zalbertus.


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