Privates Lokal- und
Regional-TV erlebt an Rhein und Ruhr eine Renaissance: Immer mehr
Verlage wittern ein Geschäft und beantragen eine Lizenz. Vorreiter
Andre Zalbertus drängt es mit seinem „Heimatfernsehen“ schon über
die Grenzen Nordrhein-Westfalens hinaus.
Wenn
Michael Schwan wochentags um 18 Uhr „die Nachrichten aus Köln und
der Region“ präsentiert, dann gehören Worte wie „wunderschön“,
„wunderbar“ und „toll“ zum Standardrepertoire des „Heimatreporters“.
Kritische journalistische Distanz beinhaltet das Programmkonzept von
Center.tv eher nicht. Auch für die durchaus vorhandenen
Schattenseiten der Domstadt bleibt kein Platz. Schließlich soll ein
positives Feeling vermittelt werden.
Außerdem
gibt es in Köln mehr als 100 Karnevalsvereine. „Wir zeigen alle“,
sagt Center.tv-Gründer Andre Zalbertus stolz. Und den 1. FC Köln. Da
bleibt auch in der einzigen aktuellen Nachrichtensendung des Senders
nicht mehr viel Zeit für andere Themen.
Export in
Ballungsräume. Seit Oktober
2005 ist das kölsche „Heimatfernsehen“ – so die Selbstbezeichnung –
auf Sendung. „Hautnah draußen bei den Menschen“ will es sein.
Emotionen sollen geweckt, die Herzen der Zuschauer erreicht werden.
Auf weitergehende journalistische und intellektuelle Ansprüche
verzichten die Macher hingegen großzügig. Denn die könnten
kostspielig sein. Dass Center.tv genau dies nicht sein will, ist
jedoch ein, wenn nicht das entscheidende Erfolgsrezept des agilen
Medienunternehmers Zalbertus. Er träumt davon, sein
Low-Budget-Produkt in immer mehr deutsche Ballungsräume zu
exportieren.
Zalbertus
will seine Center.tv-Gruppe zu einer riesengroßen „Heimatcommunity“
ausbauen. „Was in Köln funktioniert, kann überall klappen“, ist der
TV-Unternehmer überzeugt. Noch ist nicht entschieden, ob sich mit
dieser Variante des Fernsehens richtig Geld verdienen lässt. Aber
auf jeden Fall minimiert sie die Verluste – und hat damit
Begehrlichkeiten geweckt.
Verlage machen
TV. Ausgerechnet die
nordrhein-westfälischen Zeitungsverleger entdecken derzeit ihr
bereits verloren geglaubtes Faible für die bewegten Bilder wieder
und drängen mit Macht in das regionale und lokale
Privatfernsehgeschäft. So sicherte sich die LW Medien GmbH & Co KG
des Dortmunder Verlagshauses Lensing-Wolff, derzeit eher bekannt für
seinen skandalträchtigen Umgang mit der Redaktion der
Münsterschen Zeitung, Mitte Oktober 2007 für zehn Jahre die
Lizenz für das von ihr avisierte TV Münster.
Auch das
Medienhaus Aschendorff, in dem der Münsteraner Zeitungsmarktführer
Westfälische Nachrichten erscheint, hat eine Fernsehlizenz
beantragt. Derzeit bespielt nur das Bocholter wm.tv (das Kürzel
steht für Westmünsterland-TV) Teile des Münsterlands. Zu empfangen
ist der Minisender in den Kabelhaushalten der Kreise Borken,
Coesfeld, Steinfurt und Recklinghausen. Ursprünglich war wm.tv nur
ein kleines Lokalfenster im Programm von tv.nrw, dann wurde es im
Zuge des Scheiterns des landesweiten Senders im Mai 2005 von der
Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) für vier Jahre
mit einer eigenen Lizenz ausgestattet.
Gerangel an der
Ruhr. Im Ruhrgebiet, wo
bisher nur das Stadtfernsehen Studio 47 wochentags von 18 bis 20 Uhr
mit seinen Sendungen den lokalen Markt in Duisburg bedient, will
sich die WAZ-Gruppe das Fernsehgeschäft erschließen. Im Herbst 2007
mussten die mächtigen Essener jedoch ausgerechnet in ihrem
Stammgebiet eine herbe Schlappe einstecken. Die Landesmedienanstalt
beschloss, zunächst einmal dem Ruhrgebietsableger von Center.tv die
Zulassung zu erteilen. Die Medienkommission der LfM entschied zudem,
dass Center.tv Region Ruhr, wie der Sender heißt, in die Kabelnetze
von Oberhausen, Mülheim, Essen, Bottrop, Gelsenkirchen und Bochum
„vorrangig“ eingespeist werden kann.
Die
Medienkommission entscheidet auf der Grundlage des
nordrhein-westfälischen Landesmediengesetzes über die Kabelbelegung
an Rhein und Ruhr. Hierbei legt sie die Kanäle der gesetzlich
vorgegebenen öffentlich-rechtlichen Programme ARD, ZDF, WDR, Arte,
3sat, Phoenix und Kinderkanal sowie die von der LfM lizenzierten
Offenen Kanäle fest.
Nicht auf Dauer.
Sofern in den Kabelnetzen keine ausreichenden
Übertragungskapazitäten zur Einspeisung analoger Hörfunk- und
Fernsehprogramme verfügbar sind, trifft die Kommission eine
Vorrang-Entscheidung. LfM-Direktor Norbert Schneider betont, dass es
sich bei der Entscheidung für Center.tv nicht unbedingt um eine
Entscheidung auf Dauer handelt: „Wenn die LfM weitere Veranstalter
für diese Region zulässt, wird sie, was die vorrangige Kabelbelegung
betrifft, die erforderliche Auswahl treffen müssen.“
Kooperationen.
Der analoge Lokalfernseh-Kabelplatz ist eine nicht zu
unterschätzende Vorraussetzung für den möglichen Erfolg. Denn dieser
Platz, von dem es in jedem Netz nur einen gibt, sichert die
Verbreitung. In Köln strebt M. DuMont Schauberg (Kölner
Stadt-Anzeiger,
Mitteldeutsche Zeitung,
Frankfurter Rundschau) ins Kabelnetz und hat deswegen
ebenfalls einen Lizenzantrag gestellt. Als strategischen Partner hat
sich die Kölner Verlagsgruppe die Germany 1 Media AG mit ins Boot
geholt. Auch die WAZ kooperiert mit dem Medienunternehmen des
einstigen Gründungsgeschäftsführers der Hamburger Grün-Alternativen
Liste Ingo Borsum. So sollen Ängste ausgeräumt werden, man wolle zu
viel Meinungsmacht bündeln.
Kaum Auskunft.
Die Germany 1 Media AG verfügt mit Beteiligungen an den
Metropolensendern Hamburg 1 und TV.Berlin bereits über einschlägige
Erfahrungen im Ballungsraumfernsehen. Laut Betreiberangaben soll
Hamburg 1 inzwischen sogar die Gewinnzone erreicht haben. Der
Schwestersender TV.Berlin sei auf dem besten Wege dorthin. Präzise
Zahlen sind allerdings Mangelware. Nicht einmal der Umsatz wird
verraten. Man lässt sich nicht gerne in die Karten schauen. Die
Germany 1 Media AG mischt auch in der 2006 eröffneten Düsseldorfer
Filiale von Center.tv mit. An der ist außerdem die
Rheinisch-Bergische Verlagsgesellschaft (Rheinische
Post) maßgeblich beteiligt.
Auf den
ersten Blick erstaunt das Regionalfernsehengagement der
Rheinisch-Bergischen Verlagsgesellschaft ebenso wie das von M.
DuMont Schauberg und der WAZ-Gruppe.
Teure
Billigware. Schließlich waren
die drei schon einmal an einem formidablen Flop beteiligt: tv.nrw.
Viel Geld versenkten sie in dem in Dortmund produzierenden Pleiten-,
Pech- und Pannensender, der im Oktober 2001 seinen regulären
Sendebetrieb aufgenommen hatte. Nicht weniger als dem großen
öffentlich-rechtlichen WDR wolle man Konkurrenz machen, tönte es
seinerzeit vollmundig. Doch die Verlagshäuser hatten sich kräftig
verhoben. Heraus kam teuer produzierte Billigware. Zuletzt jagte
eine schlecht gemachte Kochshow die andere – ansonsten war tv.nrw
weitgehend zur Abspielstation von Fremdprogrammen mutiert:
Call-in-Shows von Neun Live, News von Bloomberg TV, nächtens gerne
auch "Sexy-Clips".
Kein Bezug zu
NRW. Ende 2004 zog die LfM
die Notbremse und drohte, tv.nrw werde das Privileg als landesweites
Programm verlieren und bei der Kabelbelegung keine vorrangige
Berücksichtigung mehr finden. Hintergrund des Beschlusses bildete
eine Programmanalyse, die das Institut für Medienforschung Imgö im
Auftrag der LfM erstellt hatte. Danach hatten durchschnittlich nur
8,1 Prozent der Gesamtsendezeit einen Bezug zu Nordrhein-Westfalen.
Mit Blick auf konkrete redaktionelle Inhalte und ohne die
Berücksichtigung von Wiederholungen erreichte tv.nrw sogar nur ein
regionales Programmvolumen von 6,4 Prozent – viel zu wenig nach
Ansicht der Medienwächter.
Betrieb
eingestellt. Allerdings
gewährten sie dem Sender noch eine Galgenfrist: Bis Mitte 2005
sollte tv.nrw noch die Möglichkeit haben, „den in der Vergangenheit
oft gemachten Programmversprechen Taten folgen zu lassen“, sagte der
damalige Medienkommissionsvorsitzende Wolfgang Hahn-Cremer. Doch
tv.nrw stellte den Sendebetrieb kurz vor Verstreichen der Frist ein.
„Es macht keinen Sinn mehr, den Sender unter den gegebenen
politischen und wirtschaftlichen Bedingungen weiterzuführen“,
erklärte der damalige tv.nrw-Geschäftsführer und frühere
Vox-Programmchef Jörg Schütte seinerzeit der
taz.
Dabei war
die Pleite nicht nur hausgemacht. Möglicherweise kam tv.nrw auch
einfach nur zur falschen Zeit. Denn als der Sender startete, galt
noch das alte Landesmediengesetz, das kein kommerzielles Metropolen-
oder Ballungsraumfernsehen erlaubte, sondern nur ein landesweites
Programm.
Flächenlandprobleme. Das
Problem: Als nur schwer greifbare „Zwischenebene“ zwischen
bundesweiter Ausstrahlung und lokaler Zielgruppenansprache ist ein
(Flächen-)Bundesland als Orientierungsrahmen für die Werbewirtschaft
offenkundig einfach nicht attraktiv genug – was im Printbereich auch
die
Süddeutsche Zeitung und die
taz schmerzlich erfahren mussten. Sie stellten ihre
Nordrhein-Westfalen-Beilagen 2003 beziehungsweise 2007 aus
ökonomischen Gründen wieder ein. Aber auch bei den potenziellen
Zuschauern hält sich die Begeisterung für Landesthemen in Grenzen,
was ein Blick auf die öffentlich-rechtliche Konkurrenz zeigt: Die
Quotenbringer des WDR sind vor allem die „Lokalzeiten“, die quer
über das Land verteilt von Aachen über Siegen bis Bielefeld aus elf
verschiedenen Studios senden.
Das neue
Landesmediengesetz, mit dem erstmals auch eine Gesetzesgrundlage für
privates Ballungsraumfernsehen – inklusive der höchst umstrittenen
Zulassung einer bis zu 100-prozentigen Verlegerbeteiligung –
geschaffen wurde, trat im Juli 2002 in Kraft. Zu einer radikalen
Umstrukturierung und Aufsplitterung von tv.nrw hin ins Lokale fehlte
den Verlegern da wohl schon der Mut, zumal Beispiele andernorts
belegten, dass auch regional ausgestrahlte Privatprogramme nicht
zwangsläufig als Gelddruckmaschinen taugten.
Vorhersehbare
Pleite. So hatte Leo Kirch in
München, Berlin und Hamburg zuvor mit dem Ballungsraumfernsehformat
gespielt und dabei an den drei Standorten Verluste von insgesamt
mehr als 100 Millionen Euro produziert. Kirch nutzte seine
Lokalsender vorrangig als Abspielstationen seines umfangreichen
Filmarchivs. Mit Uraltware wie „Bonanza“ und dem „Bergdoktor" trat
er gegen die Dominanz des öffentlich-rechtlichen Regionalfernsehens
an – und vergraulte damit Zuschauer wie Werbekunden. Eine
vorhersehbare Pleite, wie Bernhard Bertram, der heutige
Geschäftsführer des Ex-Kirch-Senders Hamburg 1, konstatiert: „Man
muss sich immer vor Augen halten, dass man nur eine Nische
befriedigt.“ Erst seitdem sich die Metropolensender auf ihre Rolle
als lokale Informationsplattform beschränkten, gehe es aufwärts.
"Zalbertus-Effekt".
Vielleicht fehlte den nordrhein-westfälischen Verlegern einfach der
Ideenreichtum, wie es anders gemacht werden könnte. Fast ein Jahr
nach der Änderung des Landesmediengesetzes stiegen im Juni 2003 als
erste die WAZ und die Rheinisch-Bergische Verlagsgesellschaft bei
tv.nrw aus und verkauften ihre jeweils 30-prozentigen Anteile. Man
sehe derzeit „keine Entwicklungschancen für regional ausgerichtete
Sender“, hieß es in einer Stellungnahme der WAZ-Gruppe. Nur M.
DuMont Schauberg hielt bis zum Ende durch.
Auch der
tv.nrw-Nachfolger mit dem originellen Namen NRW.TV kann nur
schwerlich für die Renaissance des privaten Lokal- und
Regionalfernsehens in NRW verantwortlich gemacht werden. Der Sender
von Journalist Karl-Ulrich Kuhlo und Ralf G. Neumann, dem
langjährigen Gesellschafter der Werbeholding BBDO, hat es über eine
Schattenexistenz nie hinaus gebracht.
Geschuldet
ist die Wiederbelebung des Genres wohl eher jenem Phänomen, das in
der Branche als „Zalbertus-Effekt“ bezeichnet wird. Denn Andre
Zalbertus, der das journalistische Handwerk bei RTL lernte und für
den Privatsender Anfang der 90er Jahre aus Moskau berichtete, hat
bewiesen, dass Fernsehen zum Billigpreis möglich ist. 1995 gründete
der gebürtige Düsseldorfer in Köln seine eigene Produktionsfirma.
Die AZ Media, die im Frühjahr 2007 zu 90 Prozent von der
Verlagsgesellschaft Madsack und der ARD-Tochter Studio Hamburg
übernommen wurde, avancierte schnell zu einem der wichtigsten
Lieferanten für RTL und produziert auch Magazine, Reportagen,
Dokumentationen und Soaps für andere Sender.
Discounter-TV.
Zalbertus schuf den Typus des „Videojournalisten“. 2002 begann er in
seiner Firma, die ersten 15 Volontäre zu solchen kostengünstigen
Allroundern auszubilden. „VJs“ filmen und schneiden ihre Beiträge
selbst, machen bisweilen auch noch vor Ort die Aufsager – zur Not
mit der Handykamera. Zalbertus schwärmt: „Die Daten aus ihren
Kameras können wir direkt ins Programm bringen – und zudem auch noch
ins Internet. Oder in eine Zeitung. Geht alles.“
Sechs
Stunden täglich sendet Center.tv live aus dem Studiokomplex Coloneum
im Kölner Stadtteil Ossendorf, der Rest wird mit Aufzeichnungen und
Wiederholungen bestritten. Herkömmliche Regionalsender müssten mit
einem Jahresetat von 20 bis 30 Millionen Euro kalkulieren. Beim
Kölner Discounter-Fernsehen, das rund 50 überwiegend jüngere
Festangestellte zählt, wird mit anderen Summen gerechnet: „Wir
kommen mit einem niedrigen einstelligen Millionenbetrag aus“, verrät
Zalbertus. Außer in der Domstadt und in Düsseldorf gibt es Center.tv
seit 2007 in Bremen und Bremerhaven; für Aachen und den Niederrhein
sind Lizenzen beantragt. Auch Hannover hat Zalbertus nach eigenem
Bekunden im Blick. „Da muss allerdings noch das Landesmediengesetz
entsprechend angepasst werden.“
Pepe ist weg!
Im Ruhrgebiet soll Center.tv in diesen Tagen starten. Zunächst in
Essen angesiedelt, soll das digitale Studio alle sechs Monate
wandern. Als weitere Sendeorte stehen zunächst Gelsenkirchen, Herne,
Oberhausen und Bochum auf der Liste. Weitere sollen folgen. Die
Sendetechnik sei entsprechend flexibel und für das Studio genügten
120 Quadratmeter, sagt Zalbertus. „Uns reicht ein größeres
Ladenlokal.“
Die
Ansprüche sind so bescheiden wie das Niveau mancher Sendungen. „Der
Hund ist weg!“, alarmierte der kölsche Center.tv- Anchorman Michael
Schwan unlängst sein Publikum. Pepe, der schwarz-braun-weiße
Mischlingsrüde der Familie Hörstensmeyer sei ausgebüxt. „Wenn Sie
Pepe irgendwo gesehen haben, melden Sie sich einfach.“ Kann so etwas
funktionieren? „Center.tv ist in Köln mittlerweile Kult geworden“,
sagt Andre Zalbertus.
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