03.01.2008

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Jungle World

*   Prodeutsch, aber kein Freund von Grass
Von Pascal Beucker

Die Grenzanlagen sind aus dem Weg geräumt, jedoch längst nicht alle strittigen Fragen. Dennoch hat sich nach dem Amtsantritt des neuen polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk das deutsch-polnische Verhältnis entspannt.

Unlängst gestand Donald Tusk, dass er »kein besonderer Freund« von Günter Grass sei. Und das, obwohl beide in Danzig geboren wurden. »Er ermüdet mich einfach, das ist alles«, sagte der neue polnische Ministerpräsident über den alten deutschen Großschriftsteller. Dass er mit ihm nicht viel anfangen kann, gehört durchaus zu den sympathischen Seiten von Tusk – wenn sich auch andere Gründe, Grass nicht zu mögen, finden ließen.

Der Grund für diese Abneigung reicht zurück in die Zeit des Kriegsrechts in Polen. Anfang der achtziger Jahre war es, da traf sich Grass unter mehr oder weniger konspirativen Bedingungen mit dem damaligen Solidarnosc-Mitglied Tusk in ihrer gemeinsamen Geburtsstadt. Beide behielten die Begegnung, an der auch noch andere Gesinnungsgenossen Tusks von der liberalen Untergrundzeitung Prezeglad Polityczny teilnahmen, in Erinnerung. »Ich erinnere mich an ein Treffen mit einer Gruppe extremer Nationalisten«, erzählte Grass später. Tusk sah das anders. Zum einen habe Grass ihre antisowjetische Haltung »ganz platt als provinziellen, polnischen Antirussizismus« bewertet, zum anderen habe er ihnen weiszumachen versucht, die Solidarnosc sei so etwas wie die Bewegung der Sandinistas. »Dass Grass das parakommunistische Regime in Nicaragua mit der Solidarnosc verglich, schien uns einfach beleidigend«, sagte Tusk. Die deutsch-polnische Verständigung ist eben nicht immer einfach.

Da verstehen sich Tusk und Bundeskanzlerin Angela Merkel schon besser. Kurz vor Weihnachten trafen sich die Duzfreunde am deutsch-polnischen Grenzübergang in Zittau, um gemeinsam Polens Beitritt zum Schengener Abkommen und den damit verbundenen Wegfall der Grenzkontrollen zwischen den beiden Staaten zu feiern. Was Merkel von einem »historischen Moment« sprechen ließ, bezeichnete Tusk ergriffen als einen »Triumph der Freiheit«. Aufgewachsen sei er in einer Welt, in der viele Grenzen unüberwindbar schienen. »Jetzt ist es gelungen, auch die schwierigste Grenze zu überwinden: die der Angst, der Furcht.«

Wie um ihren Aufbau zu verhindern, hat Polen noch vor dem Jahreswechsel zahlreiche ausgediente Grenzeinrichtungen zu wohltätigen Zwecken versteigert. Neben Teilen von Schlagbäumen sollen vor allem Schilder mit Aufschriften wie »Staatsgrenze – Durchfahrt verboten« oder »Der Kommandant der Grenztruppen nimmt Beschwerden montags von 13 bis 17 Uhr entgegen« unter den Hammer gekommen sein, meldete die Tageszeitung Gazeta Wyborcza.

Seit Mitte November steht der 50jährige Tusk der Regierung Polens vor. Seitdem lässt der Vorsitzende der rechtsliberalen Bürgerplattform (PO), der in einer Koalition mit der ebenfalls proeuropäischen gemäßigten Bauernpartei (PSL) regiert, nichts unversucht, sich von der Krawallrhetorik seines Vorgängers Jaroslaw Kaczynski von der nationalkonservativen Partei »Recht und Gerechtigkeit« (Pis) abzugrenzen.

So führte Tusk eine seiner ersten Auslandsreisen – selbstverständlich erst nach einem Antrittsbesuch im Vatikan, wie es sich für einen Premierminister im erzkatholischen Polen gehört – Anfang Dezember nach Berlin. Schon einen Tag vor seinem Eintreffen verkündete er in einem »Grußwort« in der Bild-Zeitung: »Unsere Botschaft ist klar: Gemeinsam erreichen wir mehr.« Nach dem Treffen mit Merkel lobte er beinahe überschwänglich die gute Stimmung. Er habe mit der Christdemokratin in kurzer Zeit »eine gemeinsame Sprache gefunden«.

Was ist da bloß passiert? Außer, dass Tusk netter aussieht und einen weniger konfrontativen Politikstil pflegt, hat sich offenbar auch die Grundorientierung der polnischen Außenpolitik geändert. Mit ihrem rabiat nationalistischen Auftreten hatten Jaroslaw Kaczynski und sein Bruder, der immer noch amtierende Staatspräsident Lech Kaczynski, in nur zwei Jahren ihr Land politisch an den äußersten Rand Europas manövriert. Ihr demonstrativer Euroskeptizismus wird nun durch Tusk von einer demonstrativen Europabegeisterung abgelöst. Sahen die Kaczynskis die EU, deren Mitglied Polen seit Mai 2004 ist, als ein mehr oder weniger notwendiges Übel an, so übt sich Tusk in proeuropäischen Lobeshymnen.

Dennoch unterscheidet er sich nicht in allen außenpolitischen Standpunkten von den Kaczynskis. So hat auch er seine Probleme mit der geplanten Ostsee-Pipeline, die von 2010 an russisches Erdgas an Polen und dem Baltikum vorbei nach Deutschland liefern soll. Ebenso wie die Kaczynskis kämpft Tusk für eine stärkere Gewichtung der mittelgroßen Staaten in der Europäischen Union – wenn auch diplomatisch besonnener, also weder mit ständigen Blockadedrohungen noch mit der Instrumentalisierung polnischer Opfer des Zweiten Weltkriegs.

Im polnisch-deutschen Verhältnis ist die Veränderung in erster Linie eine atmosphärische. Tusk gilt als ausgesprochen »deutschfreundlich« – was ihm bei der Präsidentenwahl 2005 noch zum Verhängnis geworden war. In der Stichwahl unterlag er seinerzeit Lech Kaczynski nicht zuletzt, weil es den Wahlkampfstrategen der Pis gelungen war, Tusk als unpatriotisch darzustellen.

Auch wenn Tusk sich selbst als »prodeutsch« bezeichnet, wäre es ein Fehler, zu meinen, er sei empfänglich für die in Deutschland nach wie vor existierenden geschichtsrelativierenden oder revanchistischen Gelüste. Die Tatsache, dass die Polen heute besser als früher den deutschen Standpunkt verstünden, bedeute nicht, »dass sie mit Versuchen der Relativierung der Verantwortung und der historischen Wahrheit einverstanden sind«, stellte Tusk in einem Interview mit der FAZ klar. »Die Art und Weise, wie sich Deutsche heute der Geschichte zuwenden, führt aber dazu, dass die Vergangenheit wieder zum Ballast wird.«

So reicht es ihm auch nicht, dass die Bundesregierung verkündet, sie lehne die wiederholten Entschädigungsforderungen der in der »Preußischen Treuhand« zusammengeschlossenen Vertriebenen ab. Die deutsche Seite solle vielmehr die Verantwortung für die eventuellen finanziellen Folgen der derzeit beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängigen Klagen übernehmen – wozu sie nicht bereit ist.

Ein weiterer Konflikt bleiben die Pläne der deutschen Regierung für das, was früher einmal »Zentrum gegen Vertreibungen« hieß und heute als »sichtbares Zeichen« im Berliner »Deutschlandhaus« errichtet werden soll, »um an das Unrecht von Vertreibungen zu erinnern und Vertreibung für immer zu ächten«, wie es im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD heißt. Tusks Befürchtung ist, dass so »die andere Erinnerung« geschwächt werden könnte – »nämlich die an die kollektive Verantwortung der Deutschen«. Als Alternative zu dem Vorhaben hat er vorgeschlagen, ein »Museum des Zweiten Weltkriegs« in Danzig zu bauen – und zwar in europäischer Regie unter Beteiligung Russlands und Israels. In einem solchen Museum könne dann auch »das Schicksal der Zwangsumsiedler seinen Platz in dem entscheidenden und umfassenden Kontext finden«.

Merkel bezeichnete Tusks Vorschlag diplomatisch als eine »interessante Idee«. Eine Alternative zu dem »sichtbaren Zeichen« sei ein solches Museum allerdings nicht. Die Umgangsformen sind freundlicher geworden, die Differenzen aber sind geblieben.


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