Roland Koch muss bei den bevorstehenden Wahlen
um sein Amt als hessischer Ministerpräsident bangen. Nun greift er
auf seine bewährte Methode zurück: Er setzt auf das Ressentiment
gegen Migranten. Was hat er
nicht alles versucht, um wieder zu den Gewinnern zu zählen!
Eindringlich warnte Roland Koch vor einer drohenden »Linksfront« aus
SPD, Grünen und Linkspartei und versprach, er werde sich alle Mühe
geben, »so viel für die Wahlbeteiligung zu tun, dass nicht erstmals
seit 60 Jahren wieder Kommunisten in den Landtag einziehen«. Auch
über ein »Burka-Verbot« an hessischen Schulen dachte Koch nach. »Ein
voll verschleiertes Mädchen kann nicht gleichberechtigt am
Unterricht teilnehmen«, formulierte er entschlossen. Doch es wollte
alles nichts nützen. Stattdessen ergoss sich Spott über den
Ministerpräsidenten Hessens, ist doch bislang noch keine einzige
Schülerin oder gar Lehrerin unter der Burka an einer Schule des
Landes gesichtet worden. Es sah einfach schlecht aus für die
Landtagswahl am 27. Januar. Ohnmächtig musste Koch Umfragen lesen,
die ihm den Verlust seines Amtes vorhersagten.
Doch inzwischen schöpft er wieder
Hoffnung. Dank zweier jugendlicher Schläger aus Bayern hat er
endlich sein Thema gefunden. Denn die beiden nicht mit einer
deutschen Staatsbürgerschaft ausgestatteten Gewalttäter, die kurz
vor Weihnachten einen Rentner in einem Münchner U-Bahnhof brutal
zusammenschlugen, lieferten Koch endlich die Vorlage, auf die er so
lange gewartet hatte. Der Wahlkämpfer nahm sie noch vor dem
Jahreswechsel in der Bild-Zeitung auf: »Wir haben zu viele
kriminelle junge Ausländer.« Seitdem lässt Koch keinen Tag
ungenutzt, um seine Botschaft zu verkünden: »Ich bin der akzeptierte
Sprecher einer schweigenden Mehrheit von Deutschen.«
So präsentierte er zu Beginn der
vergangenen Woche einen »Sechs-Punkte-Plan« zur Bekämpfung von
Jugendkriminalität, besonders der von »Nichtdeutschen«. Dieser Plan
reicht von der Einführung eines »Warnschussarrests« über
Sicherungsverwahrung auch bei Heranwachsenden bis hin zu einer
Änderung des Aufenthaltsrechts. »Ausländer müssen bei einer
Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung zwingend
ausgewiesen werden können, und nicht erst wie bislang unter
bestimmten Bedingungen nach drei Jahren«, heißt dort. Dann nutzte
Koch erneut die Bild-Zeitung, um darzulegen, dass es in
»Wohnvierteln mit hohem Zuwandereranteil« klare Regeln zu geben
habe, »deren Nichtbeachtung selbstverständlich Konsequenzen haben
muss«. So dürften »unsere Sitten und Gebräuche« nicht missachtet
werden: »Das Schlachten in der Wohnküche oder in unserem Land
ungewohnte Vorstellungen zur Müllentsorgung gehören nicht zu unserer
Hausordnung.« Als »brutalstmöglichen Populismus« bezeichnete
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Äußerungen Kochs in
Anspielung auf einen häufig zitierten, früheren Ausspruch des
hessischen Ministerpräsidenten. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck
bezichtigte Koch des »Rechtspopulismus«, der Generalsekretär der
Sozialdemokraten, Hubertus Heil, sprach von einem »durchsichtigen
Wahlkampfmanöver«. Kochs Einlassungen bewegten sogar den ehemaligen
Bundeskanzler Gerhard Schröder auf einer Klausurtagung der SPD in
Hannover zu einem Kommentar: »Dieser merkwürdige Mensch sollte
wirklich vor seiner eigenen Tür kehren.«
In der Geschichte des Bundeslandes
Hessen gelang es vor Koch einzig dem früheren Frankfurter
Oberbürgermeister Walter Wallmann, das Amt des Ministerpräsidenten
in die Hand der Christdemokraten zu bringen, und das auch nur für
eine Legislaturperiode von 1987 bis 1991. Weitaus stärker wurde die
hessische Union indes von Wallmanns Vorgänger im Amt des
CDU-Landesvorsitzenden, Alfred Dregger, geprägt. Viermal trat der
erzkonservative und nationalistische Vertreter des »Stahlhelm«-Flügels
als Spitzenkandidat an, und zwar stets mit einer gehörigen Portion
schwarz-brauner Deutschtümelei und mit strammen
Law-and-order-Parolen. Auch wenn es für ihn nie zum
Ministerpräsidenten reichte, so war Dregger doch erfolgreich: Er
schaffte es, die hessische CDU in dem sozialdemokratischen Kernland,
in dem die SPD von 1946 bis 1987 ununterbrochen regierte, von 26 auf
über 47 Prozent zu katapultieren. Neben dem ehemaligen
Landesvorsitzenden Manfred Kanther war der 2002 verstorbene Dregger
einer der größten Mentoren Kochs.
Allerdings ist Koch die ideologische
Orientierung der stockkonservativen hessischen CDU in weitaus
geringerem Maß ein Herzensanliegen als seinen politischen
Vorgängern. Der Mann ist kein rechter Scharfmacher aus Passion. Das
Streben nach der Macht – und ihr Erhalt – ist sein Lebenselixier. So
hat der studierte Jurist, der als ein intelligenter Analytiker gilt,
zwar von Dregger und Kanther die Skrupellosigkeit gelernt, ist
ansonsten jedoch weitaus pragmatischer. Er bedient sich aus ihrem
weltanschaulichen Fundus, wenn es ihm zweckmäßig erscheint. Und
besonders zweckmäßig erscheint es ihm dann, wenn seine Popularität,
so wie zurzeit, so wie auch schon bei der Landtagswahl 1999.
Wie sich die Bilder gleichen: Auch
bei seinem ersten Antritt als CDU-Spitzenkandidat schien es
überhaupt nicht gut um ihn bestellt zu sein. Lange Zeit sah der
damals gerade 40jährige wie der sichere Verlierer gegen die
rot-grüne Koalition von Amtsinhaber Hans Eichel aus. Selbst in
seiner eigenen Partei hätte Ende 1998 kaum jemand auf einen Wahlsieg
Kochs im Februar 1999 gewettet. Zu niedrig schien seine Popularität,
zu negativ waren die Prognosen der Meinungsforscher, zu verheerend
war die Niederlage der CDU bei der Bundestagswahl im September 1998.
Noch in seiner letzten Ausgabe vor dem Jahreswechsel sinnierte der
Spiegel über die Chancenlosigkeit des »Experten für Nudeln
mit Hackfleischsoße« (CDU-Wahlwerbung). Koch stecke tief im Elend
der Christdemokraten, »die seit dem Desaster der Bundestagswahl
durch die politische Landschaft irren wie Flüchtlinge durch ein
Trümmerfeld«. Er habe »zwar viele Themen, aber keine Botschaft«.
Nicht einmal seine markigen Sprüche zur »inneren Sicherheit« wollten
so richtig zünden. Er wolle, dass »Straftäter nicht nach Hessen
fliehen, sondern aus Hessen flüchten«, tönte Koch und versprach »den
härtesten Strafvollzug in Deutschland«. Die Prognose des Hamburger
Nachrichtenmagazins lautete: »So opponiert die hessische Union schon
fast ein halbes Jahrhundert und wohl auch die nächsten vier Jahre.«
Auch damals kam die rettende
Inspiration zur Weihnachtszeit und aus München, allerdings in diesem
Fall nicht von zwei jugendlichen Schlägern, sondern vom damaligen
bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU). Denn er erfand
die Kampagne gegen die von der rot-grünen Bundesregierung geplante
doppelte Staatsbürgerschaft. Stoiber lieferte die rechten Parolen
zur rechten Zeit, Koch griff dankbar zu. Mit einer
Unterschriftenaktion gegen den »Doppel-Pass« schürte der einstige
Judo-Stadtmeister von Eschborn ausländerfeindliche Ressentiments.
Mit 43,4 Prozent der Stimmen gewann die CDU überraschend die Wahlen,
Schwarz-Gelb konnte Rot-Grün ablösen. Dass er seinen Triumph einem
Schmutzwahlkampf verdankte, hakte Koch lächelnd ab: »Wir müssen in
der Politik häufig Gratwanderungen unternehmen, und diese haben wir
blendend bestanden.«
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