10.01.2008

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Jungle World

*   Der hessische Hausmeister
Von Pascal Beucker

Roland Koch muss bei den bevorstehenden Wahlen um sein Amt als hessischer Ministerpräsident bangen. Nun greift er auf seine bewährte Methode zurück: Er setzt auf das Ressentiment gegen Migranten.

Was hat er nicht alles versucht, um wieder zu den Gewinnern zu zählen! Eindringlich warnte Roland Koch vor einer drohenden »Linksfront« aus SPD, Grünen und Linkspartei und versprach, er werde sich alle Mühe geben, »so viel für die Wahlbeteiligung zu tun, dass nicht erstmals seit 60 Jahren wieder Kommunisten in den Landtag einziehen«. Auch über ein »Burka-Verbot« an hessischen Schulen dachte Koch nach. »Ein voll verschleiertes Mädchen kann nicht gleichberechtigt am Unterricht teilnehmen«, formulierte er entschlossen. Doch es wollte alles nichts nützen. Stattdessen ergoss sich Spott über den Ministerpräsidenten Hessens, ist doch bislang noch keine einzige Schülerin oder gar Lehrerin unter der Burka an einer Schule des Landes gesichtet worden. Es sah einfach schlecht aus für die Landtagswahl am 27. Januar. Ohnmächtig musste Koch Umfragen lesen, die ihm den Verlust seines Amtes vorhersagten.

Doch inzwischen schöpft er wieder Hoffnung. Dank zweier jugendlicher Schläger aus Bayern hat er endlich sein Thema gefunden. Denn die beiden nicht mit einer deutschen Staatsbürgerschaft ausgestatteten Gewalttäter, die kurz vor Weihnachten einen Rentner in einem Münchner U-Bahnhof brutal zusammenschlugen, lieferten Koch endlich die Vorlage, auf die er so lange gewartet hatte. Der Wahlkämpfer nahm sie noch vor dem Jahreswechsel in der Bild-Zeitung auf: »Wir haben zu viele kriminelle junge Ausländer.« Seitdem lässt Koch keinen Tag ungenutzt, um seine Botschaft zu verkünden: »Ich bin der akzeptierte Sprecher einer schweigenden Mehrheit von Deutschen.«

So präsentierte er zu Beginn der vergangenen Woche einen »Sechs-Punkte-Plan« zur Bekämpfung von Jugendkriminalität, besonders der von »Nichtdeutschen«. Dieser Plan reicht von der Einführung eines »Warnschussarrests« über Sicherungsverwahrung auch bei Heranwachsenden bis hin zu einer Änderung des Aufenthaltsrechts. »Ausländer müssen bei einer Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung zwingend ausgewiesen werden können, und nicht erst wie bislang unter bestimmten Bedingungen nach drei Jahren«, heißt dort. Dann nutzte Koch erneut die Bild-Zeitung, um darzulegen, dass es in »Wohnvierteln mit hohem Zuwandereranteil« klare Regeln zu geben habe, »deren Nichtbeachtung selbstverständlich Konsequenzen haben muss«. So dürften »unsere Sitten und Gebräuche« nicht missachtet werden: »Das Schlachten in der Wohnküche oder in unserem Land ungewohnte Vorstellungen zur Müllentsorgung gehören nicht zu unserer Hausordnung.« Als »brutalstmöglichen Populismus« bezeichnete Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Äußerungen Kochs in Anspielung auf einen häufig zitierten, früheren Ausspruch des hessischen Ministerpräsidenten. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck bezichtigte Koch des »Rechtspopulismus«, der Generalsekretär der Sozialdemokraten, Hubertus Heil, sprach von einem »durchsichtigen Wahlkampfmanöver«. Kochs Einlassungen bewegten sogar den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder auf einer Klausurtagung der SPD in Hannover zu einem Kommentar: »Dieser merkwürdige Mensch sollte wirklich vor seiner eigenen Tür kehren.«

In der Geschichte des Bundeslandes Hessen gelang es vor Koch einzig dem früheren Frankfurter Oberbürgermeister Walter Wallmann, das Amt des Ministerpräsidenten in die Hand der Christdemokraten zu bringen, und das auch nur für eine Legislaturperiode von 1987 bis 1991. Weitaus stärker wurde die hessische Union indes von Wallmanns Vorgänger im Amt des CDU-Landesvorsitzenden, Alfred Dregger, geprägt. Viermal trat der erzkonservative und nationalistische Vertreter des »Stahlhelm«-Flügels als Spitzenkandidat an, und zwar stets mit einer gehörigen Portion schwarz-brauner Deutschtümelei und mit strammen Law-and-order-Parolen. Auch wenn es für ihn nie zum Ministerpräsidenten reichte, so war Dregger doch erfolgreich: Er schaffte es, die hessische CDU in dem sozialdemokratischen Kernland, in dem die SPD von 1946 bis 1987 ununterbrochen regierte, von 26 auf über 47 Prozent zu katapultieren. Neben dem ehemaligen Landesvorsitzenden Manfred Kanther war der 2002 verstorbene Dregger einer der größten Mentoren Kochs.

Allerdings ist Koch die ideologische Orientierung der stockkonservativen hessischen CDU in weitaus geringerem Maß ein Herzensanliegen als seinen politischen Vorgängern. Der Mann ist kein rechter Scharfmacher aus Passion. Das Streben nach der Macht – und ihr Erhalt – ist sein Lebenselixier. So hat der studierte Jurist, der als ein intelligenter Analytiker gilt, zwar von Dregger und Kanther die Skrupellosigkeit gelernt, ist ansonsten jedoch weitaus pragmatischer. Er bedient sich aus ihrem weltanschaulichen Fundus, wenn es ihm zweckmäßig erscheint. Und besonders zweckmäßig erscheint es ihm dann, wenn seine Popularität, so wie zurzeit, so wie auch schon bei der Landtagswahl 1999.

Wie sich die Bilder gleichen: Auch bei seinem ersten Antritt als CDU-Spitzenkandidat schien es überhaupt nicht gut um ihn bestellt zu sein. Lange Zeit sah der damals gerade 40jährige wie der sichere Verlierer gegen die rot-grüne Koalition von Amtsinhaber Hans Eichel aus. Selbst in seiner eigenen Partei hätte Ende 1998 kaum jemand auf einen Wahlsieg Kochs im Februar 1999 gewettet. Zu niedrig schien seine Popularität, zu negativ waren die Prognosen der Meinungsforscher, zu verheerend war die Niederlage der CDU bei der Bundestagswahl im September 1998. Noch in seiner letzten Ausgabe vor dem Jahreswechsel sinnierte der Spiegel über die Chancenlosigkeit des »Experten für Nudeln mit Hackfleischsoße« (CDU-Wahlwerbung). Koch stecke tief im Elend der Christdemokraten, »die seit dem Desaster der Bundestagswahl durch die politische Landschaft irren wie Flüchtlinge durch ein Trümmerfeld«. Er habe »zwar viele Themen, aber keine Botschaft«. Nicht einmal seine markigen Sprüche zur »inneren Sicherheit« wollten so richtig zünden. Er wolle, dass »Straftäter nicht nach Hessen fliehen, sondern aus Hessen flüchten«, tönte Koch und versprach »den härtesten Strafvollzug in Deutschland«. Die Prognose des Hamburger Nachrichtenmagazins lautete: »So opponiert die hessische Union schon fast ein halbes Jahrhundert und wohl auch die nächsten vier Jahre.«

Auch damals kam die rettende Inspiration zur Weihnachtszeit und aus München, allerdings in diesem Fall nicht von zwei jugendlichen Schlägern, sondern vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU). Denn er erfand die Kampagne gegen die von der rot-grünen Bundesregierung geplante doppelte Staatsbürgerschaft. Stoiber lieferte die rechten Parolen zur rechten Zeit, Koch griff dankbar zu. Mit einer Unterschriftenaktion gegen den »Doppel-Pass« schürte der einstige Judo-Stadtmeister von Eschborn ausländerfeindliche Ressentiments. Mit 43,4 Prozent der Stimmen gewann die CDU überraschend die Wahlen, Schwarz-Gelb konnte Rot-Grün ablösen. Dass er seinen Triumph einem Schmutzwahlkampf verdankte, hakte Koch lächelnd ab: »Wir müssen in der Politik häufig Gratwanderungen unternehmen, und diese haben wir blendend bestanden.«


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