Die Empörung in der SPD über Kurt Becks
Annäherung an die Partei »Die Linke« ist groß. Doch der
vermeintliche Linksschwenk ist nur ein Zeichen pragmatischer
Machtpolitik. Denn ohne die Linkspartei wird es für die SPD in
Zukunft schwer sein, wieder regieren zu können.
Die Putschpläne wurden schnellstens
dementiert. Nein, niemand habe die Absicht, dem SPD-Vorsitzenden
eine mögliche Kanzlerkandidatur streitig zu machen, ließen die
vermeintlichen Verschwörer um den SPD-Altvorderen Franz Müntefering
verkünden. Doch es ist unübersehbar: Kurt Beck ist schwer
angeschlagen. Seitdem er sich in Sachen »Die Linke« so dusselig in
einem Séparée des Restaurants »Parlament« im Keller des Hamburger
Rathauses verplappert hat, geht es turbulent zu bei der alten Tante
SPD. Heftig wird über den Umgang mit Lafontaines Truppe gestritten.
Nicht nur wegen seiner hoch fiebrigen
Virusgrippe und einer eitrigen Mandelentzündung ist der bettlägerige
SPD-Vorsitzende derzeit nicht zu beneiden. Kräftig schlägt man auf
ihn ein: Becks Bemerkungen zur Linkspartei kurz vor der Wahl in
Hamburg hätten »nicht nur meine eigene Glaubwürdigkeit, sondern auch
die der Hamburger SPD aufs Spiel gesetzt«, wetterte Michael Naumann
in einem wütenden Brief an seinen Parteivorsitzenden. Im Wahlkampf
hatte Naumann immer wieder wortgewaltig eine Zusammenarbeit
jeglicher Art mit der Linkspartei abgelehnt. »Für die Freunde der
Linkspartei sage ich es so, dass auch ihre Genossen aus der alten
DKP und die Freunde von Frau Wegner aus Niedersachsen es verstehen:
Njet!« tönte er. Nun sieht sich der beurlaubte Herausgeber der
Zeit um den Erfolg seiner Abgrenzungspolitik gebracht: Becks
Einlassungen hätten zu einem Stimmenverlust von zwei bis drei
Prozent geführt und »womöglich auch den Wahlsieg gekostet«. Die
aberwitzige Theorie bezeichnete Hans-Ulrich Jörges im Stern als
»hanseatische Dolchstoßlegende«. Naumann könne offenbar nicht
verlieren.
Aber Schröders einstiger
Kulturminister steht mit seinen Ansichten nicht alleine da. Die
konservativen Gruppen in der Partei greifen den Vorsitzenden an.
»Herr Beck hat die Wähler betrogen, und das mit voller Absicht«,
geiferte der pensionierte SPD-Kanalarbeiter und ehemalige
Verteidigungsminister Hans Apel in der Bild-Zeitung. »Für
mich gilt der Satz von Kurt Schumacher, des ersten
Nachkriegsvorsitzenden der SPD: Kommunisten sind rot lackierte
Faschisten!« giftete ebenfalls im Springerblatt der frühere
IG-Chemie-Vorsitzende und Schröders Steigbügelhalter, Hermann Rappe.
Da will auch Wolfgang Clement nicht abseits stehen. Er polterte in
seiner Kolumne in der Welt am Sonntag. »Wenn es nicht noch gelingt,
den Zug aufzuhalten, dann treibt die SPD auf einen sehr tiefen
Einschnitt zu«, warnte Schröders ehemaliger »Superminister« unter
der Überschrift »Beck und der Sittenverfall«. Die Hinwendung zur
Linkspartei gehe »ins Mark der deutschen Sozialdemokratie« und könne
perspektivisch die Regierungsfähigkeit kosten. »Denn ein mehr oder
weniger offenes Zusammengehen mit einer Partei, die im abgestandenen
Saft des bürokratischen Kommunismus deutscher Prägung zur Welt
gebracht wurde, riskiert jene Öffnung zur politischen Mitte, die
sich die Sozialdemokraten mit ihrem Godesberger Programm von 1959
eröffnete«, sagt Clement. Schon Mitte Dezember hatte der derzeitige
Unternehmenslobbyist mit seinem Parteiaustritt im Falle einer
Zusammenarbeit zwischen SPD und Linkspartei gedroht. »Zwischen Rot
und Lafontaine-Rot liegt meine Grenze«, versprach er damals in einem
Interview.
Auch Clements Freund Peer Steinbrück
warnte in der Frankfurter Rundschau vor der »Linken«. Er halte es
»aus Bundessicht und nach den prominenten Bekundungen vor der
Landtagswahl für falsch, sich in Hessen von der Linkspartei auch nur
dulden zu lassen«. Denn dies könne negative Auswirkungen bei
kommenden Wahlen haben. »Gestaltungsfähige Mehrheiten wird die SPD
nicht durch die Orientierung hin zu irgendeinem Rand gewinnen,
sondern in der Mitte«, urteilt der stellvertretende Vorsitzende und
Bundesfinanzminister. Clement und Steinbrück wissen, wie Wahlen zu
bestreiten sind. Mit vereinten Kräften schafften sie es, die einst
so stolze und erfolgsverwöhnte SPD in Nordrhein-Westfalen in die
Opposition zu bringen – um danach ihr »Werk« in Berlin fortzusetzen.
Die Bilanz des sozialdemokratischen Duo Infernale und ihrer rechten
»Politik der Mitte« sieht so aus: Clement holte als
Ministerpräsident 2000 das zweitschlechteste Wahlergebnis für seine
Partei an Rhein und Ruhr seit 1962, sein Nachfolger Steinbrück 2005
das schlechteste.
Die Sprecher des »Seeheimer Kreises«,
Klaas Hübner, Petra Ernstberger und Johannes Kahrs, gaben eine
geharnischte Erklärung heraus: »Es ist uns unerklärlich, weshalb die
SPD, die auf eine stolze 144jährige Geschichte zurückblickt, im
Westen ein Sammelbecken von Altkommunisten, Sektierern und
gescheiterten ehemaligen Sozialdemokraten durch Kooperationsangebote
aufwerten sollte.« Solch aufgeregte Warnrufe klingen fast so, als
planten die Genossen Beck und Lafontaine, demnächst gemeinsam in
einer Volksfrontregierung den Sozialismus auszurufen. Dabei geht es
doch nur um die schnöde Anerkennung gesellschaftlicher Wirklichkeit.
Beck kann viel vorgeworfen werden: linkem Gedankengut anzuhängen,
eindeutig nicht. Nicht zufällig hat der rheinland-pfälzische
Ministerpräsident in den Zeiten, in denen er noch auf einen
Koalitionspartner angewiesen war, stets lieber mit der FDP als mit
den Grünen regiert. Und nicht umsonst lässt Beck in seinem
Bundesland immer noch die »Linke« vom Verfassungsschutz überwachen.
Offenkundig werden künftig in den
bundesrepublikanischen Parlamenten in der Regel fünf Parteien
vertreten sein. Was das bedeutet, hat die CDU längst erkannt und
erweitert entsprechend derzeit ihre strategischen Machtoptionen: Sie
kann mit der FDP koalieren, wahrscheinlich auch mit den Grünen – und
wenn alles schief geht, bleibt ihr noch die Große Koalition. Und die
SPD? Für sie sieht es da schon schlechter aus – zumindest solange
sie sich gegenüber der »Linken« verweigert. Beispiel Hamburg: Da
kann sich Bürgermeister Ole von Beust seiner Wiederwahl sicher sein.
Die Frage ist für ihn nur noch, von wem er sich die noch fehlenden
Stimmen geben lässt – entweder von den Grünen oder der SPD. Dabei
wäre rechnerisch – wie in Hessen und ebenso im Bund – auch anderes
möglich. Doch das hatte ja Naumann bereits vor der Wahl »bei dem
Leben meiner Kinder« ausgeschlossen. Dadurch hat er sich selbst ins
Aus manövriert. Das gilt eigentlich auch für Andrea Ypsilanti. Sie
jedoch versucht inzwischen mit ungewissem Ausgang, ihre verbalen
Ankündigungen aus dem Wahlkampf zu relativieren. Das hat ihr den
Vorwurf des Wortbruchs eingebracht, der auch Beck so zu schaffen
macht.
So dilettantisch Becks vorsichtige
Korrektur im Umgang mit der »Linken« auch war, so zeugt sie doch von
einem Realitätssinn, den viele dem früheren Bundeswehrpersonalrat
gar nicht mehr zugetraut hätten. Bis vor kurzem propagierte Beck
noch stoisch und stur eine schroffe Ablehnung jeglicher
Zusammenarbeit mit der »Linken« in den alten Bundesländern. Seine
Partei werde sich im Westen »mit diesen Leuten nicht abgeben«,
verkündete er landauf, landab. Einer seiner Lieblingssätze war: »In
der SED-PDS-Nachfolgegruppierung sitzen Leute, die das Gebot der
Freiheit mit Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl beantwortet
haben.« Das ist nicht einmal völlig falsch – nur dass sich diese
Personen historisch bedingt wohl eher im Osten der Republik finden
lassen. Also dort, wo Beck und die SPD auch bisher schon eine
Kooperation bis hin zur Koalition mit der »Linken« nicht
ausschließen wollten. In deren westlichen Landesverbänden finden
sich jedenfalls weitaus mehr ehemalige Mitglieder der SPD als der
SED. Die SPD wird sie brauchen, um in Ländern wie
Nordrhein-Westfalen oder dem Saarland wieder an die Regierung zu
kommen. Mit einem »Linksschwenk« hat das nicht zu tun, es geht um
schlichte, pragmatische Machtpolitik.
Das ist auch der Grund, warum die –
von linken Ideen wenig angetane – nordrhein-westfälische
SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft Beck beigesprungen ist. Konsequent
verweigert sie sich einer Koalitionsaussage für die Landtagswahl
2010, um sich alle Möglichkeiten offen zu lassen. Sie weiß: SPD und
Grüne alleine werden den CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers
nicht besiegen können. Nicht anders verhält es sich im Saarland für
Heiko Maas. Eindringlich warnte der inzwischen vor einer weiteren
Tabuisierung der Linkspartei. Die bisherige Methode, zwar im Osten
mit ihr zu koalieren, nicht aber im Westen, sei nicht länger zu
halten. »Wenn die Mauer in den Köpfen noch nicht gefallen ist und
wenn man Berlin für eines der neuen Bundesländer hält, dann geht das
– aber nur dann«, sagte Maas. Im Saarland wird im Herbst 2009
gewählt.
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