06.03.2008

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*   Es geht nur mit links
Von Pascal Beucker

Die Empörung in der SPD über Kurt Becks Annäherung an die Partei »Die Linke« ist groß. Doch der vermeintliche Linksschwenk ist nur ein Zeichen pragmatischer Machtpolitik. Denn ohne die Linkspartei wird es für die SPD in Zukunft schwer sein, wieder regieren zu können.

Die Putschpläne wurden schnellstens dementiert. Nein, niemand habe die Absicht, dem SPD-Vorsitzenden eine mögliche Kanzlerkandidatur streitig zu machen, ließen die vermeintlichen Verschwörer um den SPD-Altvorderen Franz Müntefering verkünden. Doch es ist unübersehbar: Kurt Beck ist schwer angeschlagen. Seitdem er sich in Sachen »Die Linke« so dusselig in einem Séparée des Restaurants »Parlament« im Keller des Hamburger Rathauses verplappert hat, geht es turbulent zu bei der alten Tante SPD. Heftig wird über den Umgang mit Lafontaines Truppe gestritten.

Nicht nur wegen seiner hoch fiebrigen Virusgrippe und einer eitrigen Mandelentzündung ist der bettlägerige SPD-Vorsitzende derzeit nicht zu beneiden. Kräftig schlägt man auf ihn ein: Becks Bemerkungen zur Linkspartei kurz vor der Wahl in Hamburg hätten »nicht nur meine eigene Glaubwürdigkeit, sondern auch die der Hamburger SPD aufs Spiel gesetzt«, wetterte Michael Naumann in einem wütenden Brief an seinen Parteivorsitzenden. Im Wahlkampf hatte Naumann immer wieder wortgewaltig eine Zusammenarbeit jeglicher Art mit der Linkspartei abgelehnt. »Für die Freunde der Linkspartei sage ich es so, dass auch ihre Genossen aus der alten DKP und die Freunde von Frau Wegner aus Niedersachsen es verstehen: Njet!« tönte er. Nun sieht sich der beurlaubte Herausgeber der Zeit um den Erfolg seiner Abgrenzungspolitik gebracht: Becks Einlassungen hätten zu einem Stimmenverlust von zwei bis drei Prozent geführt und »womöglich auch den Wahlsieg gekostet«. Die aberwitzige Theorie bezeichnete Hans-Ulrich Jörges im Stern als »hanseatische Dolchstoßlegende«. Naumann könne offenbar nicht verlieren.

Aber Schröders einstiger Kulturminister steht mit seinen Ansichten nicht alleine da. Die konservativen Gruppen in der Partei greifen den Vorsitzenden an. »Herr Beck hat die Wähler betrogen, und das mit voller Absicht«, geiferte der pensionierte SPD-Kanalarbeiter und ehemalige Verteidigungsminister Hans Apel in der Bild-Zeitung. »Für mich gilt der Satz von Kurt Schumacher, des ersten Nachkriegsvorsitzenden der SPD: Kommunisten sind rot lackierte Faschisten!« giftete ebenfalls im Springerblatt der frühere IG-Chemie-Vorsitzende und Schröders Steigbügelhalter, Hermann Rappe. Da will auch Wolfgang Clement nicht abseits stehen. Er polterte in seiner Kolumne in der Welt am Sonntag. »Wenn es nicht noch gelingt, den Zug aufzuhalten, dann treibt die SPD auf einen sehr tiefen Einschnitt zu«, warnte Schröders ehemaliger »Superminister« unter der Überschrift »Beck und der Sittenverfall«. Die Hinwendung zur Linkspartei gehe »ins Mark der deutschen Sozialdemokratie« und könne perspektivisch die Regierungsfähigkeit kosten. »Denn ein mehr oder weniger offenes Zusammengehen mit einer Partei, die im abgestandenen Saft des bürokratischen Kommunismus deutscher Prägung zur Welt gebracht wurde, riskiert jene Öffnung zur politischen Mitte, die sich die Sozialdemokraten mit ihrem Godesberger Programm von 1959 eröffnete«, sagt Clement. Schon Mitte Dezember hatte der derzeitige Unternehmenslobbyist mit seinem Parteiaustritt im Falle einer Zusammenarbeit zwischen SPD und Linkspartei gedroht. »Zwischen Rot und Lafontaine-Rot liegt meine Grenze«, versprach er damals in einem Interview.

Auch Clements Freund Peer Steinbrück warnte in der Frankfurter Rundschau vor der »Linken«. Er halte es »aus Bundessicht und nach den prominenten Bekundungen vor der Landtagswahl für falsch, sich in Hessen von der Linkspartei auch nur dulden zu lassen«. Denn dies könne negative Auswirkungen bei kommenden Wahlen haben. »Gestaltungsfähige Mehrheiten wird die SPD nicht durch die Orientierung hin zu irgendeinem Rand gewinnen, sondern in der Mitte«, urteilt der stellvertretende Vorsitzende und Bundesfinanzminister. Clement und Steinbrück wissen, wie Wahlen zu bestreiten sind. Mit vereinten Kräften schafften sie es, die einst so stolze und erfolgsverwöhnte SPD in Nordrhein-Westfalen in die Opposition zu bringen – um danach ihr »Werk« in Berlin fortzusetzen. Die Bilanz des sozialdemokratischen Duo Infernale und ihrer rechten »Politik der Mitte« sieht so aus: Clement holte als Ministerpräsident 2000 das zweitschlechteste Wahlergebnis für seine Partei an Rhein und Ruhr seit 1962, sein Nachfolger Steinbrück 2005 das schlechteste.

Die Sprecher des »Seeheimer Kreises«, Klaas Hübner, Petra Ernstberger und Johannes Kahrs, gaben eine geharnischte Erklärung heraus: »Es ist uns unerklärlich, weshalb die SPD, die auf eine stolze 144jährige Geschichte zurückblickt, im Westen ein Sammelbecken von Altkommunisten, Sektierern und gescheiterten ehemaligen Sozialdemokraten durch Kooperationsangebote aufwerten sollte.« Solch aufgeregte Warnrufe klingen fast so, als planten die Genossen Beck und Lafontaine, demnächst gemeinsam in einer Volksfrontregierung den Sozialismus auszurufen. Dabei geht es doch nur um die schnöde Anerkennung gesellschaftlicher Wirklichkeit. Beck kann viel vorgeworfen werden: linkem Gedankengut anzuhängen, eindeutig nicht. Nicht zufällig hat der rheinland-pfälzische Ministerpräsident in den Zeiten, in denen er noch auf einen Koalitionspartner angewiesen war, stets lieber mit der FDP als mit den Grünen regiert. Und nicht umsonst lässt Beck in seinem Bundesland immer noch die »Linke« vom Verfassungsschutz überwachen.

Offenkundig werden künftig in den bundesrepublikanischen Parlamenten in der Regel fünf Parteien vertreten sein. Was das bedeutet, hat die CDU längst erkannt und erweitert entsprechend derzeit ihre strategischen Machtoptionen: Sie kann mit der FDP koalieren, wahrscheinlich auch mit den Grünen – und wenn alles schief geht, bleibt ihr noch die Große Koalition. Und die SPD? Für sie sieht es da schon schlechter aus – zumindest solange sie sich gegenüber der »Linken« verweigert. Beispiel Hamburg: Da kann sich Bürgermeister Ole von Beust seiner Wiederwahl sicher sein. Die Frage ist für ihn nur noch, von wem er sich die noch fehlenden Stimmen geben lässt – entweder von den Grünen oder der SPD. Dabei wäre rechnerisch – wie in Hessen und ebenso im Bund – auch anderes möglich. Doch das hatte ja Naumann bereits vor der Wahl »bei dem Leben meiner Kinder« ausgeschlossen. Dadurch hat er sich selbst ins Aus manövriert. Das gilt eigentlich auch für Andrea Ypsilanti. Sie jedoch versucht inzwischen mit ungewissem Ausgang, ihre verbalen Ankündigungen aus dem Wahlkampf zu relativieren. Das hat ihr den Vorwurf des Wortbruchs eingebracht, der auch Beck so zu schaffen macht.

So dilettantisch Becks vorsichtige Korrektur im Umgang mit der »Linken« auch war, so zeugt sie doch von einem Realitätssinn, den viele dem früheren Bundeswehrpersonalrat gar nicht mehr zugetraut hätten. Bis vor kurzem propagierte Beck noch stoisch und stur eine schroffe Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit mit der »Linken« in den alten Bundesländern. Seine Partei werde sich im Westen »mit diesen Leuten nicht abgeben«, verkündete er landauf, landab. Einer seiner Lieblingssätze war: »In der SED-PDS-Nachfolgegruppierung sitzen Leute, die das Gebot der Freiheit mit Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl beantwortet haben.« Das ist nicht einmal völlig falsch – nur dass sich diese Personen historisch bedingt wohl eher im Osten der Republik finden lassen. Also dort, wo Beck und die SPD auch bisher schon eine Kooperation bis hin zur Koalition mit der »Linken« nicht ausschließen wollten. In deren westlichen Landesverbänden finden sich jedenfalls weitaus mehr ehemalige Mitglieder der SPD als der SED. Die SPD wird sie brauchen, um in Ländern wie Nordrhein-Westfalen oder dem Saarland wieder an die Regierung zu kommen. Mit einem »Linksschwenk« hat das nicht zu tun, es geht um schlichte, pragmatische Machtpolitik.

Das ist auch der Grund, warum die – von linken Ideen wenig angetane – nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft Beck beigesprungen ist. Konsequent verweigert sie sich einer Koalitionsaussage für die Landtagswahl 2010, um sich alle Möglichkeiten offen zu lassen. Sie weiß: SPD und Grüne alleine werden den CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers nicht besiegen können. Nicht anders verhält es sich im Saarland für Heiko Maas. Eindringlich warnte der inzwischen vor einer weiteren Tabuisierung der Linkspartei. Die bisherige Methode, zwar im Osten mit ihr zu koalieren, nicht aber im Westen, sei nicht länger zu halten. »Wenn die Mauer in den Köpfen noch nicht gefallen ist und wenn man Berlin für eines der neuen Bundesländer hält, dann geht das – aber nur dann«, sagte Maas. Im Saarland wird im Herbst 2009 gewählt.


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