29.05.2008

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Jungle World

*  Mit dem Lieblingsfeind zur Macht
Von Pascal Beucker

Auch das noch: Die FDP entdeckt die »soziale Gerechtigkeit«. Mit kurioser Rhetorik und der Bereitschaft zu früher undenkbaren Bündnissen will es die Partei wieder in die Regierung schaffen.

Guido WesterwelleGuido Westerwelle scheut keine Mühen, um sich in Szene zu setzen. Auch an ausgefallenen Orten versucht der liberale Menschenfischer noch seine Schäfchen zu erreichen. Da bleibt nicht einmal die Katholische Nachrichtenagentur von einem Gastbeitrag verschont. »Ein kleiner Kreis Überzeugter, der nur zu sich selber predigt oder gar nur noch mit sich selber streitet, ist zu wenig«, verkündete der FDP-Bundesvorsitzende. »Ähnlich, wie damals das Christentum sichtbar selbstbewusster und stärker wurde, als die Jünger dafür quasi Feuer und Flamme waren, wird auch unsere Bürgergesellschaft nur dann selbstbewusst und stark bleiben, wenn wir außerhalb des kleinen Kreises von Berufspolitikern wieder mehr Zuversicht und Begeisterung wecken können für politische Ideen«, fuhr Westerwelle fort. Nur: Welche Ideen meint er bloß?

Wenn der FDP gar nichts mehr einfällt, dann beschäftigt sie sich mit ihrem Lieblingsthema: der Steuerpolitik. Denn nichts kann freidemokratische Geister mehr erregen als zu hohe Steuern. Wenn andere längst eingenickt sind, können sie sich immer noch trefflich über sie ereifern. Auch auf dem 59. Bundesparteitag, den die FDP vom 31. Mai bis zum 1. Juni in München begeht, widmet sie sich dem Thema: »Im Zentrum der Beratungen sollen dabei die Steuerpolitik und damit Leistungsgerechtigkeit, Chancengerechtigkeit und die Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft stehen.« Das wurde aber auch mal wieder Zeit, nachdem die CSU gerade ihr Steuermodell präsentiert und der SPD-Vorsitzende Kurt Beck prompt auch eines in Aussicht gestellt hatte.

Der FDP-Bundesschatzmeister Hermann Otto Solms wird also in der bayrischen Landeshauptstadt wieder einmal das altbekannte FDP-Steuerkonzept darlegen. The same procedure as every year! Nicht zu Unrecht beklagte der Generalsekretär der nordrhein-westfälischen FDP, Christian Lindner, kürzlich erst eine »argumentative Materialermüdung« in seiner Partei.

Diesmal trägt der Leitantrag des Bundesvorstands den knackigen Titel: »Die gerechte Steuer – Einfach, niedrig, und sozial. Das Nettokonzept der FDP«. Damit will sich die Partei insbesondere gegen die CSU behaupten, die seit Wochen mit einem alten freidemokratischen Slogan für Steuersenkungen wirbt: »Mehr Netto vom Brutto«. Der Leitantrag sieht einen Dreistufentarif bei der Lohn- und Einkommenssteuer vor. Bis 15.000 Euro Jahreseinkommen sollen zehn Prozent, bis 40.000 Euro 25 Prozent und darüber 35 Prozent Steuern gezahlt werden. Die von der Großen Koalition eingeführte »Reichensteuer« mit einem Steuersatz von 45 Prozent ab 250.000 Euro Jahreseinkommen soll wieder abgeschafft werden.

Außerdem sieht der Antrag eine Reform der Unternehmensbesteuerung vor. So soll für Unternehmen künftig nur noch ein Zwei-Stufen-Tarif von zehn und 25 Prozent gelten und die Gewerbesteuer abgeschafft werden. Mit dem Antrag konkurrieren noch zwei weitere der Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Die Nordrhein-Westfalen fordern einen dreistufigen Satz von zehn, 20 und 30 Prozent. Die rheinland-pfälzische FDP tritt mit einem »Flat-Tax«-Modell an.

Für welche Variante sich der Parteitag auch immer entscheiden wird: Mit »sozialer Gerechtigkeit« hat keine zu tun. Das verwundert nur insofern, als dass sich dieser Begriff seit einigen Wochen einer erstaunlichen Beliebtheit in den Reihen der FDP erfreut. Ihre Partei müsse »auch für die Bürger attraktiv werden, die das Portemonnaie nicht so dicke voll haben«, forderte beispielsweise die stellvertretende Bundesvorsitzende Cornelia Pieper. »Mit der FDP muss man zur Wahl das Thema soziale Chancengerechtigkeit verbinden«, sagte sie der Leipziger Volkszeitung. Auch der Berliner Landesvorsitzende Markus Löning verlangte: »Die FDP muss sich mit dem Thema der sozialen Gerechtigkeit auseinandersetzen.« Man dürfe »uns Liberale nicht auf die Steuersenkungspartei reduzieren«, sagte Löning dem Tagesspiegel.

Sogar der ehemalige Parteivorsitzende Wolfgang Gerhardt, der derzeit Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung ist, entdeckt seine soziale Ader: »Wir dürfen in der Gerechtigkeitsdiskussion nicht passiv bleiben.« Die »neue soziale Frage« sei, »wie wir Menschen davor bewahren, aus der Gesellschaft herauszubrechen«. Nicht einmal der Leitantrag des Bundesvorstands blieb von dieser kuriosen Rhetorik verschont. »Soziale Gerechtigkeit ist mit Steuersenkungen allein nicht zu erreichen«, heißt es dort, für die Partei der Marktgläubigen klingt derlei geradezu ketzerisch.

Noch im April hatte Westerwelle auf dem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen FDP den vermeintlichen »Linksruck in der CDU« kritisiert und seine Partei als das »richtige Kontrastprogramm zu Murks und Marx in Berlin« bezeichnet. Der FDP-Fraktionsvorsitzende im nordrhein-westfälischen Landtag, Gerhard Papke, sprach unter Beifall gar von einem »Linkspopulismus, der von der PDS bis zur CDU alle erfasst hat« – außer natürlich die FDP. Bei der liberalen Basis kommt ein solcher Klamauk gut an.

Aber er führt nicht aus dem strategischen Dilemma, in dem sich die Partei befindet. In den bundesweiten Umfragen schneidet sie gut ab. Gleich bleibend erzielt die FDP in der Sonntagsfrage um die zehn Prozent. Doch statt Feierlaune herrscht Depression. Drei Mal ist die Partei daran gescheitert, in die Bundesregierung zurückzukehren. Sie befindet sich derzeit in der erfolglosesten Phase in ihrer 60jährigen Geschichte. Das ist fatal für eine Klientelpartei wie die FDP, zumal sich die Aussichten seit der vergangenen Bundestagswahl weiter verschlechtert haben.

Die FDP stand dank ihres Parteivorsitzenden allzu lange in unverbrüchlicher Treue zur Union. Wohl als letzter hat Westerwelle nun erkannt, dass das Bündnissystem nach dem Auftauchen der »Linken« in Bewegung geraten ist. Erst nach der Pleite in Hamburg Ende Februar und der daraus resultierenden, erstmals in einem Bundesland entstandenen Verbindung der CDU mit den Grünen dämmerte es den Liberalen. Auf einer Klausurtagung am 9. März beschloss das FDP-Präsidium eine erste Änderung. Man werde künftig nur noch Koalitionspräferenzen nennen, die von dem gewünschten Partner auch erwidert würden, verkündete der Vorsitzende anschließend. Sollte es nach der Wahl für ein Zweierbündnis nicht reichen, werde die FDP auch mit anderen Fraktionen verhandeln. »Hamburg passiert uns kein zweites Mal«, kündigte Westerwelle an.

Seitdem wagen es die Liberalen, wenn auch noch zaghaft, bei den vor nicht allzu langer Zeit noch als »Schutzmacht der Feldhamster und Windrädchen« verspotteten Grünen um Sympathien zu werben. Sogar mit seinem Lieblingsfeind Jürgen Trittin, den er einst als »Störfall, reif für die Endlagerung« bezeichnete, glaubt Westerwelle inzwischen »zivilisierte Gespräche« führen zu können – in der Erkenntnis, dass der Weg zurück an die Macht wohl nur gemeinsam zu schaffen ist. Auch die verbalen Verrenkungen in Sachen der »sozialen Gerechtigkeit« dienen dazu, die strategischen Möglichkeiten zu erweitern. Inhaltlich sind diese Anwandlungen selbstverständlich nicht sonderlich ernst zu nehmen. Denn sonst könnte sich die FDP die Diskussion über die drei zum Bundesparteitag eingebrachten Steuermodelle sparen. Aber worüber könnten sich die Delegierten dann noch unterhalten?


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