27.11.2008

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Jungle World

*  Raus aus der Warteschleife
Von Pascal Beucker

Klappt es am Ende doch noch mit den 18 Prozent? Ausgerechnet in der Krise kehrt die FDP zurück und empfiehlt sich als Bürgerrechtspartei und Koalitionspartnerin.

Alle zittern vor der Krise, nur die FDP nicht. Während ein Kopfschmerzmittelhersteller Milliarden beim Spekulieren verliert, Banken Stütze beantragen und Autokonzerne um Almosen betteln, haben die Liberalen Grund zur Freude: Erstmals seit Jahren ist die Partei der »marktwirtschaftlichen Vernunft« (Eigenwerbung) nicht mehr überschuldet. Dem Bundesschatzmeister Hermann-Otto Solms zufolge verfügt sie mittlerweile wieder über ein Vermögen von 4,5 Millionen Euro, dem Bankverbindlichkeiten von nur 2,2 Millionen gegenüberstehen.

Doch was den Banken ihre »faulen Kredite«, sind der FDP die noch ausstehenden Strafzahlungen – nach Schätzungen zwischen fünf und zwölf Millionen Euro – wegen falsch deklarierter Großspenden aus der Zeit Jürgen Möllemanns. »Wir wissen, dass da eine Strafe auf uns zukommt, aber wissen nicht, wie das aussieht«, sagt Solms. Aber es könnte, historisch gesehen, schlechter stehen.

Die Auswirkungen des Wall-Street-Crashs von 1929 bescherten auch dem hiesigen politischen Liberalismus seine Great Depression: Waren die beiden damals bestehenden Vorläufer der FDP in den Reichstagswahlen 1928 noch gemeinsam auf 13,5 Prozent der Stimmen gekommen, stürzten sie bei den Juli-Wahlen 1932 auf zusammen nur noch 2,2 Prozent ab. Schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten waren diese Parteien damit in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.

Glaubt man den derzeitigen Umfragen, ziehen diesmal die Turbulenzen des Kapitalismus die Liberalen keineswegs in den Abgrund, obwohl sie ja auch eine grandiose Blamage der Marktradikalen um den Parteivorsitzenden Guido Westerwelle darstellen. Wie der Leiter von Forsa, Manfred Güllner, treffend angemerkt hat, ist die Lage schwierig für eine Partei, in deren Telefonwarteschleife der Abba-Song »Money, money, money« läuft. Weniger als ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl erzielt die FDP aber in der so genannten Sonntagsfrage zwischen elf und 13 Prozent. In den Wahlen 2005 erhielt sie 9,8 Prozent – was schon mehr als beachtlich war für eine Partei, die außer der Parole »Privat vor Staat« nicht viel zu bieten hatte.

Die Zustimmung erstaunt sogar nicht wenige Funktionäre der Partei, die zunächst mit dem Schlimmsten gerechnet hatten. Nachdem die Finanz- und Wirtschaftskrise zunehmend die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gezogen hatte, erlegte sich die FDP aus gutem Grund zunächst vornehme Zurückhaltung auf. Wochenlang suchte sie nach passenden Sprachregelungen, um ihre neoliberalen Grundsätze irgendwie auch in der trostlosen, kapitalistischen Realität zu retten.

Noch zum 500 Milliarden Euro umfassenden »Rettungsschirm« der Bundesregierung für die Banken fiel Westerwelle nichts anderes ein, als »aus patriotischer Verantwortung« die Zustimmung seiner Fraktion zu diesem staatsinterventionistischen »Hilfspaket« zu erklären. In Einklang mit früheren Beschlüssen lässt sich das nur schwer bringen. So heißt es in dem FDP-Grundsatzprogramm von 1997 kämpferisch: »Ferner muss der politische Einfluss im Bankensektor reduziert werden.«

Inzwischen haben »die Freiheitsstatue dieser Republik« (Westerwelle über Westerwelle) und das übrige liberale Führungspersonal eine Lösung für das Problem gefunden. Eine rhetorische Volte – und schon stimmt die liberale Welt wieder: Auch an der gegenwärtigen Misere ist der FDP zufolge vor allem der Staat schuld. Denn der habe nicht die adäquaten, ordnungspolitischen Rahmenbedingungen geschaffen. Das Zusammenspiel von »staatlichem Aufsichtsversagen« und dem »verantwortungslosen Handeln einzelner Finanz-Hasardeure« habe zu der Krise geführt, gab der stellvertretende Parteivorsitzende Rainer Brüderle als Losung aus. »Regulierungsversagen ist aber Staatsversagen, nicht Marktversagen«, meinte Solms. Auch wenn »einzelne Bankmanager« unverantwortliche Risiken eingegangen seien und dafür auch finanziell zur Rechenschaft gezogen werden sollten, so dürften die Manager doch »nicht als Blitzableiter genutzt werden, um das Fehlverhalten der Politiker zu überdecken«, sagte Solms, der auch finanzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion ist. Die Finanzkrise dürfe nicht dazu »instrumentalisiert werden, das Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft und damit die Grundlagen unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung zu untergraben«.

Gleichwohl gibt sich die FDP ungewohnt tolerant: »Für Liberale ist der Eingriff des Staates nicht das Ende der Marktwirtschaft«, verkündete Wolfgang Gerhardt. »Markt ist mehr als Gewinnmaximierung«, schrieb der ehemalige FDP-Vorsitzende und derzeitige Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in einem Positionspapier.

Doch solche ideologischen Verrenkungen können kaum die erstaunliche Renaissance der Partei bewirkt haben. Tatsächlich resultiert sie zu einem nicht unerheblichen Teil aus der Unzufriedenheit, die die Große Koalition im konservativ-bürgerlichen Spektrum hervorruft. Die Sehnsucht nach einer Regierung ohne die Sozialdemokraten ist dort nach wie vor groß – diese kann nur mit der FDP zustande kommen.

Ebenso profitierte die Partei von der Auszehrung der CSU in Bayern, die den dortigen Liberalen und ihrer Vorsitzenden ein überraschendes Comeback mit bundesweiter Wirkung bescherte. Als Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Jahr 2000 zur Vorsitzenden der bayerischen FDP gewählt wurde, übernahm sie einen hoch verschuldeten Landesverband, der in den Landtagswahlen zwei Jahre zuvor mit gerade einmal 1,7 Prozent der Stimmen auf seinem historischen Tiefpunkt angelangt war. Im September schaffte die FDP nun mit acht Prozent das beste Ergebnis der Nachkriegszeit. Erstmals seit 14 Jahren zog die Partei wieder in den bayerischen Landtag ein und stellt seit Ende Oktober sogar zwei Minister – 46 Jahre, nachdem zum letzten Mal ein Liberaler am Kabinettstisch sitzen durfte.

Damit regiert die FDP inzwischen gemeinsam mit der Union in vier Bundesländern: außer in Bayern noch in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Im Januar könnte Hessen dazukommen. Dann verlöre die schwarz-rote Regierung ihre Bundesratsmehrheit – ohne die FDP ginge nichts mehr. Deshalb scheint schon jetzt das Selbstbewusstsein in der Partei grenzenlos, sei es im Fall des BKA-Gesetzes oder der Erbschaftssteuer.

Die schon politisch mumifiziert geglaubte, ehemalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger tritt genau zum richtigen Zeitpunkt wieder bestimmend in Erscheinung. Da die »Partei der Besserverdienenden« angesichts der Krise als Religionsgemeinschaft der Marktgläubigen nicht wirklich überzeugen kann, besinnt sie sich auf ein lange vernachlässigtes Betätigungsfeld: die Bürgerrechte.

Noch im Frühjahr musste die Partei auf diesem Gebiet eine Niederlage hinnehmen. Das Bundesverfassungsgericht entschied damals, dass die von dem FDP-Innenminister Ingo Wolf verantwortete Regelung im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz, die das geheimdienstliche Ausspähen von Privatcomputern ermöglichen sollte, verfassungswidrig sei. Das Wolf zufolge »modernste Sicherheitsgesetz« der Republik schien den Richtern handwerklich schlecht, nicht bestimmt genug, nicht verhältnismäßig. Wolf zeigte sich auch nach dem Urteil uneinsichtig.

An solche Peinlichkeiten wird die Partei derzeit nicht mehr gerne erinnert. Denn die Große Koalition gibt mit ihrer umfassenden und vielfach verfassungswidrigen Politik des Abbaus von Grundrechten der FDP eine willkommene Gelegenheit zur Profilierung. Die Verfassungsbeschwerden gegen die Sicherheitsgesetze, etwa die Online-Durchsuchung, waren der Anfang, der Widerstand gegen das von Union und SPD durch den Bundestag gepeitschte BKA-Gesetz ist die Fortsetzung.

Dabei spielt Leutheusser-Schnarrenberger eine zentrale Rolle: Wer könnte die Verteidigung von Grund- und Freiheitsrechten glaubwürdiger verkörpern als jene einst in Ungnade gefallene Frau, die wegen des »großen Lauschangriffs« von ihrem Ministeramt zurücktrat und nicht davor zurückschreckte, auch gegen ihre eigene Partei vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen? Als marktradikale »Wirtschaftspolitikerin« ist sie noch nie in Erscheinung getreten. Und das ist für die FDP derzeit ein Glücksfall.


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