05.04.2008

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NRZ

*   Eine Gemeinde im Schockzustand
Von Pascal Beucker 

KIRCHE. Erzbistum Köln sucht in Bergisch Gladbach Opfer sexuellen Missbrauchs per Kanzel-Aufruf. Vorfälle vor über 30 Jahren.

BERGISCH-GLADBACH/KÖLN. Idyllisch liegt die Kirche Sankt Maria Königin im Schatten großer, jahrzehntealter Bäume. Im Schaukasten der Katholischen Bücherei werden Jugendbücher mit Titeln wie „Richtig verliebt, falsch verbunden” und „Liebesschwüre und andere Peinlichkeiten” angepriesen. Im Glaskasten gegenüber hängt ein Plakat für die Erstkommunion. Auf den ersten Blick scheint nichts die friedliche Ruhe des von Eigenheimen umgebenen Gotteshauses in der Kiebitzstraße in Bergisch Gladbach-Frankenforst stören zu können. Der Eindruck täuscht. Die Gemeinde befindet sich im Schockzustand. Grund ist ein unscheinbarer Din-A-4-Zettel, der auf der Rückseite des Kirchenschaukastens aushängt: ein Kanzelaufruf von Dominik Schwaderlapp, dem Generalvikar des Erzbistums Köln. Dessen Inhalt ist hochbrisant: Es geht um sexuellen Missbrauch.

„Liebe Schwestern und Brüder”, beginnt das Schreiben Schwaderlapps, „wir haben mit großem Bedauern erfahren, dass es zu Beginn der 70er-Jahre in der Pfarrei Sankt Maria Königin möglicherweise zu sexuellen Übergriffen auf Jugendliche und Kinder gekommen ist.” Das Kölner Erzbistum werde „alles tun, was der Aufklärung dieser Vorkommnisse dient”, heißt es weiter in dem beunruhigenden Brief, der am vergangenen Sonntag auch im Gottesdienst verlesen wurde. Zuvor war der Gemeinderat per E-Mail informiert worden.

Dort herrscht nun große Betroffenheit. „Das ist ganz furchtbar”, sagt eine Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Gerüchte machen die Runde. Öffentlich äußern zu den mehr als 30 Jahre zurückliegenden düsteren Vorgängen will sich niemand in der Refrather Johann-Baptist-Gemeinde, zu der die Pfarrei Sankt Maria Königin inzwischen gehört. Auch von den katholischen Amtsträgern vor Ort ist keine Auskunft zu erhalten. Man möge sich „an Köln” wenden, lautet ihr Tenor.

Ungewöhnlich offensiv

„Dass das die Gemeinde sehr beschäftigt, ist klar”, sagt Stephan Georg Schmidt, der Sprecher des Kölner Erzbischofs Joachim Meisner. Das Erzbistum habe erst „vor wenigen Tagen” von den Vorwürfen erfahren. Es nehme sie sehr ernst. „Unsere erste Sorge ist, den Betroffenen schnellstmöglich unsere Hilfe und unseren Rat anzubieten”, sagte Schmidt der NRZ. Deswegen habe sich das Bistum in diesem Fall auch für das ungewöhnlich offensive Vorgehen entschieden, sich per Aufruf an etwaige Opfer zu wenden. Ihnen stünde Domkapitular Prälat Robert Kümpel, der Regens des Erzbischöflichen Priesterseminars, als Ansprechpartner zur Verfügung. Inzwischen hätten sich auch bereits die ersten Menschen gemeldet, „die das Gespräch suchen”, so Schmidt. Näheres wollte er dazu nicht sagen.

„Zum Schutz der Betroffenen” lehnte Schmidt es ebenso ab, Einzelheiten zu den Übergriffen zu nennen oder Angaben über die Zahl der Opfer zu machen. Über den mutmaßlichen Täter verriet er nur, dass dieser mittlerweile verstorben sei. Deswegen werde eine 100-prozentige Aufklärung wohl nicht mehr möglich sein, auch wenn die Erzdiözese den „festen Willen” dazu habe. Dass es sich bei dem Beschuldigten um einen Geistlichen gehandelt hat, wollte Schmidt „weder bestätigen noch dementieren”.

Immer wieder Schlagzeilen

Immer wieder erschüttern Missbrauchsfälle die katholische Kirche. Erst kürzlich sorgte der Fall eines pädophilen Priesters aus dem oberpfälzischen Riekofen für Schlagzeilen. Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller hatte den vorbestraften Geistlichen wieder als Gemeindeseelsorger eingesetzt, obwohl Richtlinien der Deutschen Bischofskonferenz genau dies untersagen. Nach denen hätte der Mann nie wieder mit Kindern und Jugendlichen arbeiten dürfen. So konnte er dies doch wieder – und verging sich erneut an einem Ministranten.

Mitte März verurteilte das Landgericht Regensburg den geständigen 40-Jährigen zu drei Jahren Haft und Unterbringung in der Psychiatrie. Einen wegen Missbrauchs vorbestraften Pfarrer wieder in eine Gemeinde zu schicken, sei vergleichbar mit einer Bank, die einen wegen Betrugs Vorbestraften als Kassierer beschäftige, sagte der Richter. Bischof Müller lehnt jede Mitverantwortung ab. Das Bistum habe „nach bestem Wissen und Gewissen” gehandelt.


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