17.04.2008

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* Das langsame Siechtum der Macht
Von Pascal Beucker 

Was schon für Konrad Adenauer galt, gilt immer noch für Georg Milbradt: So lange ein Politiker seine Partei hinter sich weiß, kann er sich fast alles erlauben. Bröckelt erst der Rückhalt, siecht der Mächtige langsam dahin - bis zum Abgang.

Köln - Es war ein plötzlicher und doch nicht überraschender Abgang. So absehbar das Ende der politischen Karriere des schwer angeschlagenen sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt war, so ungewöhnlich und untypisch ist doch seine Rücktrittsankündigung vom Montag.

Denn gewöhnlich geben Politiker erst auf, wenn ihre Lage auch ihnen endlich als völlig aussichtslos erscheint - und das kann dauern. Diesmal nicht.

Finanzkrise hin, Kreditaffäre her: Letztendlich ist der verlorengegangene Rückhalt in den eigenen Reihen der ausschlaggebende Grund für Milbradts Rücktritt - so wie bei den meisten Rücktritten. Weiß ein Politiker seine Partei hinter sich, kann er fast alles überstehen. Dann kann er sich, wie das Beispiel des "brutalst möglichen" CDU-Spendenskandalaufklärers Roland Koch in Hessen zeigt, sogar im Amt halten, wenn herauskommt, dass er gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit die Unwahrheit gesagt hat.

Verliert ein Politiker allerdings den Halt, sollte er zusehen, sich einen würdigen Abgang zu verschaffen.

Und das ist kein einfaches Unterfangen. Der altersstarrsinnige Kanzler Konrad Adenauer ist daran ebenso gescheitert wie Ministerpräsident Erwin Teufel in Baden-Württemberg, CSU-Chef Edmund Stoiber in Bayern, Kurt Biedenkopf in Sachsen.

Monatelang dauerte das Siechtum dieser Mächtigen, monatelang ihr Regieren nach dem Abpfiff. Ohne kräftige Blessuren konnte keiner von ihnen mehr vom Feld. Er sei "unwürdig fortgejagt" worden, konstatierte Teufel verbittert in seiner Abschiedsrede.

Nach sechs Amtsjahren stellten Weggefährten auch bei Milbradt immer häufiger Symptome fest, die aus den Endzeiten von Teufel oder auch Helmut Kohl bekannt sind: Starrköpfigkeit, Beratungsresistenz, Aussitzen von Problemen.

Über seinen Nachfolger sagte Biedenkopf einmal, Milbradt sei zwar ein "hochbegabter Fachmann, aber ein miserabler Politiker". Wenn Milbradt sein Fachterrain verlasse, mache er "einen Fehler nach dem anderen".

Immerhin befindet sich der diplomierte Volkswirt mit dieser Beurteilung geschichtlich gesehen durchaus in guter Gesellschaft: Adenauer dachte einst nicht anders über seinen Nachfolger Ludwig Erhard - und lag damit ebenso richtig wie Biedenkopf.

Tatsächlich ist Milbradt ein Mann der Zahlen, nicht der Politik. Nicht nur an Eloquenz und rhetorischem Talent mangelte es ihm. Als Finanzdezernent der Stadt Münster und auch noch als sächsischer Finanzminister konnte er reüssieren, das Ministerpräsidentenamt war schlicht eine Nummer zu groß für den sturen Westfalen - zumal als Thronerbe von "König Kurt".

Es ist nicht allein die Schuld des spröden Milbradt, dass die CDU heute weiter denn je von Biedenkopfs sonnigen Zeiten christdemokratischer Alleinherrschaft in Sachsen entfernt ist. Aber seine fehlenden Landesvaterqualitäten haben ihren Anteil daran.

Auch hier steht Milbradt in einer imposanten Reihe - unter anderem mit den beiden SPD-Ministerpräsidentendarstellern Wolfgang Clement und Peer Steinbrück, die als Nachfolger des allseits beliebten Johannes Rau das Kunststück vollbrachten, in kürzester Zeit ausgerechnet im vermeintlichen SPD-Stammland Nordrhein-Westfalen ihre Partei in die Opposition zu führen.

Milbradts Scheitern reicht bis in die Neunziger zurück

Bemerkenswert ist, dass sogar jene Kreditaffäre, die Milbradt endgültig in die Bredouille brachte, noch zurückreicht in die neunziger Jahre, also die glücklicheren Tage der Regentschaft Biedenkopfs. Jene Zeit, als bei denen, die aus der alten Bundesrepublik "rübergemacht" hatten, so etwas wie Goldgräberstimmung geherrscht haben muss. Politiker, die im Westen nicht gerade zur ersten Garde gehört hatten, konnten plötzlich im Osten Karriere machen - und kräftig Kasse.

Problematisch wurde das nur, wenn es rauskam. So wie bei den Westimporten in der Landesregierung von Sachsen-Anhalt. 1993 mussten der damalige Ministerpräsident Werner Münch (CDU) und sein gesamtes schwarz-gelbes Team die Regierungsbank räumen. Münch und die vier weiteren Wessis seines Kabinetts hatten sich ihr Ostsalär mit einem kräftigen Aufschlag auf "Westniveau" aufbessern lassen - und konnten die Aufregung darüber nicht verstehen. Schließlich gab es für Beamte aus dem Westen ja auch "Buschzulagen". Juristisch war die Sache nicht zu beanstanden.

Ein wahrer Rücktrittsregen prasselte seinerzeit auch auf Brandenburg ein. Bauminister Jochen Wolf (SPD) ging nach Bekanntwerden eines privaten Grundstücksgeschäfts. Agrarminister Edwin Zimmermann (SPD) musste seinen Posten räumen, weil er die Schaubäckerei seiner Tochter mit öffentlichen Zuschüssen gefördert hatte.

Kulturminister Wolfgang Hackel (CDU) stolperte über Unternehmensbeteiligungen. Justizminister Kurt Schelter (CDU) sollte zeitweise das Ministergehalt wegen privater Schulden gepfändet werden. Wirtschaftsminister Wolfgang Fürniß (CDU) hatte einen Millionenkredit von einem Scheich aus den Vereinigten Arabischen Emiraten bekommen.

Da scheint es in Sachsen immerhin etwas bodenständiger zugegangen zu sein. Auch hier fiel es Biedenkopf und seinem ungeliebten Kronprinz Milbradt offenkundig immer schwerer, zwischen privaten und öffentlichen Interessen zu unterscheiden.

Der eine feilschte um Rabatte bei Ikea, der andere sicherte sich Kredite zur gewinnbringenden Anlage bei der Landesbank. Was beide verbindet: Sie haben bis heute nicht begriffen, dass nicht alles, was legal ist, auch für einen Politiker erlaubt ist. Wie die lächerliche Ikea-Rabattaffäre den letzten Anlass für den Abgang Biedenkopfs 2002 bot, so besiegelte die Kreditaffäre nun Milbradts Ende.

Gute "Nehmerqualitäten" kann sich nur leisten, wer über einen entsprechenden Rückhalt in seiner Partei verfügt - und den hat auf Dauer nur derjenige, der wahlpolitisch erfolgreich ist. Schon der frühere bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß zeichnete sich durch seine phänomenale Begabung aus, Gemein-, Partei- und Eigennutz vorteilhaft miteinander zu verbinden. Eine CSU-Broschüre warb in den siebziger Jahren sogar ohne Arg mit der Geschäftstüchtigkeit des christsozialen Frontmanns: "Der Mehrung seines Vermögens gibt er sich mit demselben Eifer hin, den er in der Politik walten lässt."

Als Strauß 1988 starb, soll er seinen Erben ein enormes Vermögen hinterlassen haben. Wie er das geschafft hatte, darüber gab es immer wieder wilde Gerüchte, doch letztendlich blieb es ein Rätsel. "A Hund is er scho!" – in Bayern ist das ein Kompliment. Gestürzt ist Strauß über seine "Nehmerqualitäten" nie. Aber der bullige Bajuware garantierte der CSU auch absolute Mehrheiten.

Unter Milbradt hingegen sank die so lange erfolgsverwöhnte Sachsen-CDU in Umfragen unter die Vierzig-Prozent-Marke. Da mussten bei seinen Parteifreunden alle Alarmglocken läuten.

Ob seine Rückzugsentscheidung wirklich ein "politischer Befreiungsschlag" war, wie der rücktrittserprobte CDU-Landtagsabgeordnete Heinz Eggert meinte, ist fraglich. Richtig liegen dürfte der frühere sächsische Innenminister mit einer anderen Einschätzung: Hätte er jetzt nicht abgedankt, wäre Milbradt einen politischen Tod auf Raten gestorben.

Bei seiner Rücktrittsankündigung sagte Milbradt, er habe seine Entscheidung auch getroffen, "um Verletzungen zu vermeiden - bei mir und bei anderen." Er hat aus dem traurigen Abschied seines Vorgängers Biedenkopf gelernt. Der hatte sich zuletzt geradezu verbissen an sein Amt geklammert und noch in seiner Rücktritterklärung verbiestert als schlechter Verlierer gezeigt.

Das zumindest kann dem Besserkönner Milbradt nicht vorgeworfen werden.


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