23.01.2008

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taz

* Bochums Räder stehen still
Von Pascal Beucker 

Autobauer haben die Arbeit niedergelegt, SchülerInnen sind nicht zur Schule gegangen. Ihr Ziel: der Erhalt des Nokiawerkes.

Die Stimmung vor dem Bochumer Nokia-Center ist gedrückt. Es ist zu spüren, dass viele Beschäftigte des finnischen Handyherstellers keine große Hoffnung auf den Erhalt ihres Werks mehr haben. Trotzdem sind sie am gestrigen Dienstag zur Großdemonstration gekommen. Weiterkämpfen wollen sie, bis zum Schluss. "Was bleibt uns denn anderes übrig", sagt ein Nokianer. Von mehreren Sammelplätzen aus starten die Demonstranten ihren Sternmarsch. "Wo bleibt unsere Zukunft?" prangt auf einem riesengroßen Transparent. Aus den Lautsprechern eines Lastwagens dröhnt das italienische Partisanenlied "Bella Ciao".

Die "rote Lucy" Redler verteilt Flugblätter der "Sozialistischen Alternative SAV". Auch andere linke Kleinstgruppen beglückten die Protestierenden mit ihren Traktaten. Auf denen von Attac wird vor wilden Tieren gewarnt: "Das Raubtier muss an die Leine!" Auf einem Plakat der Grünen wird zum Boykott von Nokia aufgerufen: "Kein Handy von Jobkillern". Daran vorbeizieht ein kleines mit orange-weißen CDU-Fähnchen ausgestattetes Grüppchen. Es wirkt etwas verloren angesichts des Fahnenmeers, mit dem sich die SPD in Szene setzt. Sie will keinen Zweifel daran lassen, wessen politische Hochburg das Ruhrgebiet ist. Nur die IG Metall hat noch mehr Winkelemente mitgebracht.

Auch die politische "Prominenz" hat es vor die Nokia-Zentrale verschlagen. Als sich der Demonstrationszug pünktlich um fünf Minuten vor zwölf in Gang setzt, sind Landtagspräsidentin Regine van Dinther (CDU), SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft und NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) ganz vorne mit dabei. "Eine ganze Region lehnt sich gegen die Leute auf", sagt Laumann in Richtung des Nokia-Managements. In gebührenden Abstand dahinter läuft Oskar Lafontaine mit den Seinen. "Die Leute haben erkannt, dass mit diesem Wirtschaftssystem etwas nicht stimmt", sagt der Parteichef der Linken.

Die erwarteten 20.000 sind es nicht ganz geworden, aber immerhin rund 15.000 Menschen haben den Weg zur Solidaritätsdemonstration gefunden. Mit dabei rund 2.000 Bochumer Opelaner. Ab elf Uhr ruhte deshalb in den drei Bochumer Opel-Werken die Fertigung. Auch Kollegen von Opel aus Rüsselsheim, Ford in Köln, VW in Wolfsburg oder Daimler Benz in Wörth bekunden ihre Unterstützung für die von der Schließung ihres Werkes bedrohten Nokianer. Auch zahlreiche Bochumer Schüler haben sich unter die Demonstranten gemischt. Ihnen war freigestellt worden, ob sie am Unterricht teilnehmen oder lieber zur Demo gehen wollen.

Auf dem Riemker Markt, dem völlig überfüllten Ort der Abschlusskundgebung, wettert Berthold Huber gegen den "Wildwestkapitalismus, den wir zutiefst ablehnen und bekämpfen". Nokia wolle aus Profitsucht die Existenz Tausender vernichten. "Da, wo ich herkomme, sagt man, das war ein ganz hinterfotziges Vorgehen", langt der IG-Metall-Chef kräftig zu. "Wenn Sie noch einen Funken Anstand haben, nehmen sie Ihre Entscheidung zurück", forderte Huber den Konzernvorstand auf. Wenn Nokia die Beschäftigten dazu zwinge, "dann werden wir auch kämpfen, auf Hauen und Stechen". Dem Management müsse klar sein: "Eine derartige Auseinandersetzung wird die Marke Nokia nicht ungeschoren lassen."

Mit dem Jubel, den Huber erntet, kann Hartmut Schauerte nicht rechnen. Denn kämpferische Rhetorik gehört nicht zum Repertoire des CDU-Manns. Eigentlich war Bundesfinanzminister Peer Steinbrück als Redner angekündigt. Doch der ist nicht gekommen. Stattdessen ist nun der Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Schauerte da. Ziel sei es, die Entscheidung von Nokia ganz oder zumindest in Teilen zu verändern. Aus der Ferne sicherte auch Angela Merkel ihre Unterstützung zu: "Ich kann für die Bundesregierung sagen, wir werden das, was in unserer Macht steht, auch tun, um den Menschen so weit wie möglich zu helfen."


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