11.02.2008

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taz

*  Erdogan fordert zum Deutsch lernen auf
Von Pascal Beucker 

Sie kommen aus Holland und Belgien und feiern ihn wie einen Popstar: den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan. Er ruft dazu auf, Deutsch zu lernen - ohne sich zu assimilieren.

Mit einem flammenden Appell hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die in Deutschland lebenden türkischstämmigen Menschen aufgefordert, sich in die hiesige Gesellschaft zu integrieren. "Wir dürfen uns nicht als Fremde betrachten, sondern müssen uns als wesentliches Element dieses Landes sehen", sagte er am Sonntag vor 18.000 Zuhörern in der Kölnarena. Die deutsche Sprache zu erlernen stehe an erster Stelle. Erdogans Rede allerdings wurde nicht ins Deutsche übersetzt - außer für Journalisten.

Erdogan lobte zugleich, dass sich die Türken in Deutschland bis heute immer noch ihre eigene Identität, Sprache, Religion, Kultur und ihre Solidarität bewahrt hätten. Assimilation, so sagte er, wäre ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".

Darüberhinaus plädierte Erdogan eindringlich für den EU-Beitritt der Türkei: "Es kann keine andere Alternative als die Vollmitgliedschaft geben." Auch wenn es noch einige Mängel in der Türkei gäbe, so sei sie doch auf einem guten Weg: "Wir wollen alle Beschränkungen aufheben, um die Türkei zu einem demokratischen Land zu machen." Strikt lehnte er den Vorschlag einer "privilegierten Partnerschaft" ab: "Niemand kann der Türkei diesen Anzug anziehen."

Schon lange bevor die Tore der Kölnarena öffneten, hatten sich am Sonntagvormittag viele tausend Türken vor der Halle versammelt. Sogar aus Holland, Belgien und Frankreich waren sie gekommen, so wie Yayla Yilmaz aus dem belgischen Maasmechelen. "Wir wollen einfach hören, was Erdogan zu sagen hat", sagte er. "Klar, wir leben hier und werden auch nicht mehr in die Türkei zurückgehen. Aber man interessiert sich doch dafür, was da passiert."

Während die Massen in die Arena drängten, beteten direkt neben einem Treppenaufgang etwa fünfzig Muslime auf Teppichen. Trotz des Lärms wirkten sie völlig versunken. Die 24 Jahre alte Ayse ist in Köln geboren, sie studiert Deutsch auf Lehramt. Dass Erdogan türkische Lehrer hierher schicken will, findet sie nicht gut: "Das können doch türkische Lehrer machen, die hier studiert haben, dafür muss man niemanden importieren."

Nur mit wenigen Worten ging Erdogan auf die Brandkatastrophe von Ludwigshafen ein. "Das muss aufgeklärt werden." Den Angehörigen übermittelte er sein Beileid. Mit einer Trauerfeier hatten gleichzeitig etwa 4.500 Menschen in Ludwigshafen Abschied von den neun Todesopfern der Brandkatastrophe genommen. Die Särge der vier toten Frauen und fünf Kinder waren vor der Ruine des ausgebrannten Hauses aufgereiht und mit türkischen Flaggen bedeckt. Sie werden in die Türkei überführt.

Es ist wahrscheinlich, dass der Brand, bei dem neun Menschen getötet wurden, Folge eines Unfalls war: Laut Medienberichten könnten marode Stromleitungen im Keller die Ursache gewesen sein. Die Sonderkommission der Polizei schließt hingegen keine mögliche Brandursache aus, sagte Polizeisprecher Volker Klein: "Wir legen uns nicht fest."

In Sichtweite der Kölnarena demonstrierten mehrere hundert PKK-Sympathisanten und Anhänger türkischer K-Gruppen gegen den Besuch Erdogans. Fahnen mit dem Bild Abdullah Öcalans wehten im Wind, und auch ein paar Eier flogen. Ansonsten jedoch blieb es friedlich. Der türkische Ministerpräsident bekam von den Protesten ohnehin nichts mit. Die Gegendemonstration durfte nur bis zum Anfang der Veranstaltung dauern, die pünktlich um 14 Uhr mit dem Absingen der türkischen und dem Abspielen der deutschen Nationalhymne begann. Erdogan selbst betrat erst um 15.17 Uhr gemeinsam mit Ehefrau Emine die nicht ganz vollbesetzte Halle - gefeiert wie ein Popstar.

Für den Auftritt Erdogans war in der Domstadt auf unzähligen Plakatwänden großflächig geworben worden - und zwar fast ausschließlich in türkischer Sprache. Versehen mit der Aufschrift "Türkiye'nin Lideri Almanya'da!" zeigten die Plakate einen entschlossen wirkenden Erdogan, der vor einer wehenden Deutschlandfahne mit im Rot eingelassenen Halbmond schreitet. Es gab auch einige Plakate in deutscher Sprache - doch nur an ganz wenigen Stellen. Dadurch würden "unsere jahrzehntelangen Bemühungen um Integration fahrlässig kaputt gemacht", hatte deshalb im Vorfeld die Kölner SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün kritisiert.


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