26.06.2008

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taz

* Professor mit historischen Fehlstellen
Von Pascal Beucker 

Faruk Sen versteht die Welt nicht mehr. "Ich beziehe deutlich Stellung gegen Antisemitismus in der Türkei und bekomme jetzt Prügel in Deutschland, das kann doch nicht richtig sein", empört sich der Direktor des Essener Zentrums für Türkeistudien (ZfT). Irgendwie kommt der 60-Jährige nicht aus den Negativschlagzeilen heraus. Waren es Ende vorigen Jahres die - inzwischen entkräfteten - Vorwürfe des NRW-Rechnungshofs, er habe Fördergelder für Saufgelage verschwendet, ist es diesmal ein von ihm verfasster Artikel, der ihn in die Bredouille bringt.

Corpus Delicti ist ein Beitrag in der türkischen Wirtschaftszeitung Referans. Darin stellt Sen einen gewagten Vergleich an: Die Türken seien "die neuen Juden Europas". Obwohl sie seit 47 Jahren in Mittel- und Westeuropa beheimatet seien, "werden sie - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß und unterschiedlichen Erscheinungsformen - wie die Juden diskriminiert und ausgeschlossen".

Seit Bekanntwerden des Artikels in Deutschland ist die Empörung groß. Ein "eklatant verzerrtes Geschichtsbewusstsein" bescheinigte ihm der Zft-Vorstandsvorsitzende Fritz Schaumann. Nun soll sich Sen heute auf einer Sondersitzung rechtfertigen. Eine Abmahnung drohe ihm, heißt es. Zurzeit befindet er sich allerdings noch in Istanbul. Erst nächste Woche will er nach Deutschland zurückkehren. "Ich habe um eine Vertagung der Sitzung gebeten", sagte Sen der taz.

Die Aufregung über seinen kruden Vergleich kann er indes nicht nachvollziehen. Schließlich hatte er es doch eigentlich nur gut gemeint - wenn auch schlecht gemacht. Seine Absicht sei gewesen, "gegen Antisemitismus in der Türkei Stellung zu beziehen und insbesondere die Auslandstürken, die in einer mitunter schwierigen Situation in Europa leben, für eine drohende Ausgrenzung der Juden in der Türkei zu sensibilisieren", beteuert Sen. Anlass für den Artikel waren antisemitische Angriffe in türkischen Medien auf den jüdischen Unternehmer Isak Alaton. "Ich habe ihm meine Solidarität bekunden wollen", sagt Sen. Keineswegs habe er den Holocaust relativieren wollen.

Seit 36 Jahren lebt der in Ankara geborene Sen in der Bundesrepublik. Seit Langem schon ist er deutscher Staatsbürger. Das SPD-Mitglied gilt als ein Meister der Kommunikation und des Netzeknüpfens. Aber der Umtriebige, den der Grüne Cem Özdemir einmal spöttisch als "Professor für 1.001 Projekte" titulierte, ist nicht unumstritten. Bereits vor zehn Jahren schrieb Wolfgang Koydl in der SZ über Sens Hang zu drastischen Formulierungen in türkischen Zeitungen: "Zum Glück für den Professor verstehen nur wenige Deutsche Türkisch."


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