13.10.2008

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taz

*  Attac derzeit ratlos
Von Pascal Beucker

Die Globalisierungskritiker haben einen Ratschlag zur Börsenkrise abgehalten - und mussten feststellen, dass ihnen Konzepte zur Lösung der Finanzkrise fehlen. Die Kompromissformel "Das Casino schließen" soll den Dissens in der Bewegung verdecken.

Eigentlich müsste die große Stunde von Attac schlagen. "Jetzt ist die Krise da, vor der wir von Anfang an gewarnt haben", ruft ein Aktivist in die Aula der Rudolf-Steiner-Schule in Düsseldorf. Inzwischen fordern sogar Politiker, die noch vor kurzem das Loblied des Neoliberalismus gesungen haben, die Finanzmärkte umfassend zu regulieren. Es bestehe "die große Chance, dass dieses mächtige Ideologiegebäude zusammengebrochen ist", macht Attac-Geschäftsführerin Sabine Leidig den Versammelten Mut. Doch die Stimmung auf dem Ratschlag der Globalisierungskritiker an diesem Wochenende ist gedämpft. Nicht nur an der Börse herrscht Katerstimmung. Das Netzwerk hat Probleme.

Als "auf Aktion ausgerichtete Bildungsbewegung" sei Attac in der gegenwärtigen internationalen Finanzkrise "die Organisation Nummer eins, um Argumente zu liefern", sagt Attac-Koordinierungskreismitglied Pedram Shayar. Doch gerade das fällt momentan schwer - eine Folge des Generationenwechsels im vergangenen Jahr. Vor allem der Rückzug der Attac-Mitgründer Peter Wahl und Sven Giegold hat eine Lücke gerissen. "Viele Neue kamen mit Tatendrang dazu, gleichzeitig brach aber auch viel Erfahrung und strategische Kompetenz weg", räumt der Koordinierungskreis, eine Art Vorstand des Netzwerks, in seinem Bericht an den Ratschlag ein. Auch gibt es Probleme vor Ort: In etlichen Städten "hängt es ein bisschen" bei der kontinuierlichen Arbeit.

Die Folge sei, dass Attac derzeit "nicht optimal aufgestellt" sei, so der Bericht. Das sei auch der Grund, warum die Organisation so lange gebraucht habe, um auf die Finanzkrise überhaupt zu reagieren. Kompetenz sei in den vergangenen Jahren "nicht gepflegt worden", beklagt Geschäftsführerin Leidig . "Da sind wir ein bisschen blank zurzeit." Vor noch nicht allzu langer Zeit sei es schon schwer gewesen, Attac-Leute überhaupt dazu zu bewegen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, räumt Silke Ötsch von der AG Finanzmärkte & Steuern ein.

Das Motto, mit dem sich Attac nun in der Auseinandersetzung mit der Finanzkrise Gehör verschaffen will, lautet: "Das Casino schließen!" Eine Formel, mit der ein Dissens verdeckt wird: Sollen Börsen nun geschlossen oder nur besser kontrolliert werden? Die Formulierung suggeriert zwar Radikalität, lässt jedoch notwendige Interpretationsspielräume "zwischen denjenigen, die den Kapitalismus abschaffen wollen, und denjenigen, die ihn reparieren wollen", wie es ein Attacler aus Hannover formuliert.

Es ist ein ungelöster Konflikt: Reformismus oder Revolutionarismus? "Wir müssen sehr viel grundsätzlicher werden", fordern Altlinksradikale, wie der K-Gruppen gestählte Werner Rätz. "Manchmal hat man den Eindruck, als wolle Attac schon morgen in die Regierung eintreten", kritisiert auch Peter Strotmann aus Berlin. Hendrik Auhagen aus Konstanz warnt hingegen vor "Radikalinski-Forderungen vom Rand". Es komme vielmehr darauf an, "inmitten des gesellschaftlichen Strudels zu sein". Attac solle sich "davor hüten, in den Wettbewerb einzusteigen, wer den Kapitalismus am meisten verdammt", empfiehlt auch Kokreis-Mitglied Chris Methmann. Die Grundsatzdiskussion soll auf einem "Kapitalismus-Kongress" im März 2009 fortgesetzt werden. "Wir haben wirklich Analyse nachzuholen", beklagt der Kölner Günter Küsters.

Einig waren sich die mehreren hundert nach Düsseldorf gekommenen Attacies, zum Thema Finanzkrise künftig wieder verstärkt in die Öffentlichkeit treten zu wollen. Dazu gehörten auch "provokative Aktionen im Bereich des zivilen Ungehorsams", kündigte Attac-Kokreismitglied Stephan Schilling an.


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